Allen Corona-Unkenrufen zum Trotz: Ultraschall, das Neue-Musik-Festival aus Berlin, findet statt. Nicht dabei sind zwar die Orchester RSB und DSO. Aber es wird live vor den Mikros gespielt – oder vormittags aufgenommen und abends gesendet (auf Kulturradio oder DLF). Es lebe das Radiokonzert. Auf neun Konzerte bringt es das Festival so, vier immerhin werden live musiziert.
Ultraschall-Tag 1 beginnt mit dem paritätisch besetzten (2 ♀, 2 ♂) und bestens präparierten Notos Quartett, das kein Streich-, sondern ein Klavierquartett junger Leute ist. Zwei Uraufführungen stehen im Fokus, Schwarze Perlen des Österreichers Bernhard Gander und Spirals des US-Amerikaners Bryce Dessner. Beide Werke verpflanzen quer zum Neue-Musik-Konsens ostinate (Metal-)Rhythmen in die Neue Musik. Das hat seinen Reiz und seinen Preis. Insbesondere letzteren, wenn wie bei Gander strikte Terrassendynamik und starre Motivkulminationen zu Hörfrust und Einförmigkeit führen.

Dessners Spiral-Werk hingegen klingt umso soßiger, je konzilianter es ist, und schlittert geschmackssicher in die Kitschzone. Klar abgesetzt dagegen erklingt Still Movement with Hymn (1993) von Aaron Jay Kernis aus Philadelphia. Thematisch umkreist Kernis‘ Stück den Bosnienkrieg, es erreicht den Hörer über leise Töne und leise Trauergesten.
Donnerstag: Ensemble Mosaik mit Mastel & Galindo Quero
Dann eine Uraufführung von Konstantia Gourzi. Den ökologisch inspirierten, einem frugalen Melos frönenden messages between the trees für Viola solo mag man den in sich gekehrten Monolog-Charakter nicht absprechen, auch wenn dessen neu-alte Einfachheit nicht recht verfangen will. Es musiziert der Bratschist Nils Mönkemeyer. Insgesamt also ein durchwachsener Start in die publikumslose Radio-Corona-Edition von Ultraschall.
Was bringt der zweite Tag? Donnerstag, 20 Uhr wird jedenfalls live aus dem Großen Sendesaal an der Masurenallee gesendet.
Es geht gleich in medias res mit Joshua Mastel und spread in lobes like lichen on rock (2020). Klug thematisiert das Stück natürliche und menschengemachte Wachstumsprozesse und kondensiert Hyper-Phänomene zu geheimnisvollem Blubbern, Knistern, Flüstern. Das tönt mal vergnüglich, mal bedrohlich und entfaltet speziellen Reiz, ohne das Neue-Musik-Rad gleich neu erfinden zu wollen. Von der Spanierin Irene Galindo Quero fasziniert das uraufgeführte si callalo pudié sentirsas. Es gibt hier eine verrätselte Klarheit karger Bläserstimmen, die zunehmend von Bruchstücken zweier rezitierter Gedichte von Ángela Segovia überlagert werden: Es verstummt die fragile Polyphonie, je deutlicher der Text wird.

Das Ensemble Mosaik interpretiert mit akribischer Verve. Den Beschluss macht Ulrich Kreppein mit dem gut halbstündigen Nachtstück (2018). Hier dient wieder einmal außermusikalisches Material, in diesem Fall eine achtstündige Feldaufnahme aus einem Hotel im nächtlichen Seoul, als Inspirationsquelle. Das Ergebnis ist eine locker gefügte Klangereignis-Geräusch-Studie, die wie eine jener Video-Stills wirkt, die einen auf Ausstellungen so gerne ratlos machen. Interessant, aber zu lang, zu sporadisch.
Freitag: Sopran und Klarinette pur
So weit also die Live-Übertragung in Deutschlandfunk Kultur, übrigens zur besten Sendezeit. Sodann beschließt (als Vorab-Produktion) ein Auszug aus der topaktuellen Presidential Suite von Mathias Monrad Møller den Ultraschall-Donnerstag. Tiffany (2017) verarbeitet Aussagen der diesseits des Atlantiks herzlich unbekannten, gleichnamigen Trump-Tochter, was teils erfrischend virtuos, teils langatmig anzuhören ist. So hingebungsvoll das Berliner Ensemble Phønix16 unter der Leitung von Timo Kreuser auch musiziert. Die Krux ist, dass die tagespolitische Aktualität da auch nicht weiterhilft.
Dann mal nichts wie rein in Tag 3.
Der Freitag bringt ein Live-Konzert aus dem Heimathafen Neukölln für Sopran und Klarinette. So intim die Besetzung ist, so weit öffnet sich der Programmfächer. Kein Stück gleicht dem anderen. Das Programm entzückt. Zwischen die Alt-Meister Manoury, Hosokawa, Rihm und Aperghis schieben sich neue und neuste Werke diverser Herkünfte und Dispositionen.
Zuerst Xanadu (1989) von Philippe Manoury, benannt nach Orson Welles‘ Citizen Kane. Hier ist der Gesangspart deklamatorisch durchgestaltet, während die Klarinette (Nina Janßen-Deinzer) spielerisch Gegengewichte setzt. In dem mininaturhaft kurzen fiskeheijren findes (2019) lässt der junge Spanier Mikel Urquiza die Sopranstimme virtuos und frappierend artifiziell agieren. Die Textquelle ist dieses Mal Lyrik der dänischen Dichtern Inger Christensen. Ganz anders erfolgt der Zugang bei Zu singen von Wolfgang Rihm nach einer einzelnen, späten Gedichtzeile Hölderlins (2006). Rihm arbeitet hier mit jener sorgfältigen Linearität, die sein Spätwerk oft auszeichnet. Große Sprünge, extreme Lagen und Wortnähe führen zu einer auf Ausdruck und Versenkung zielenden Tonsprache. Bleibt nur die Frage, ob Zu singen einfach überlebte Spätkunst darstellt oder nicht doch von tadelloser Meisterschaft ist. Und schon ist man bei der ersten Uraufführung des Abends.
Arnulf Herrmann lädt den Wiegenliedklassiker Rockabye mit viel abgründigem Schrecken auf. Die Mittel hierfür sind abgehackter Vortrag und spukhafte, ins Piano abgleitende Melismen. Nur der Einsatz von Ratsche und Spieluhr sind dann doch des Guten zu viel.

Nach einer kleinen Pause setzt sich der hochkarätige Abend mit Toshio Hosokawas Three Love Songs (2005) fort. Die Lieder nach Gedichten der um 970 geborenen japanischen Dichterin Izumi Shikibu entstehen aus dem Gegensatz von Klang und Stille. Die Vertonung wirkt auch ohne Textverständnis unmittelbar. Überdies führen Haltetöne, die in Abwärts-Glissandi enden, zu überaus aparten Hörreizen (Sarah Maria Sun singt das intensiv). Im fliegenden Wechsel durch die Jahrhunderte (zumindest, was die Texte angeht) folgt die Gedichtvertonung Qu’est devenu ce bel œil. Autor ist der franzöische Renaissancedichter Lejeune, Komponist der Schweizer Jannik Giger. Die Uraufführung geizt nicht mit Idiomen und Klangfarben, findet aber nicht zur Konzentration der anderen Beiträge. Georges Aperghis‘ Cinq couplets (1988) kehren zum Deklamationsstil à la Manoury zurück. Auch hier wird die Stimme sehr hoch geführt, jetzt freilich im Kontext einer höheren Spaßmacherei. Die von Aperghis verwendete Fantasiesprache erhöht durchaus den Spaßfaktor. Der Kanadier Thierry Tidrow schlussendlich transformiert in Die Flamme (2017) ein groteskes Morgenstern-Gedicht zu einer düsteren Allmachtsfantasie, was die Kontrabassklarinette dazu anspornt, ein virtuoses Feuerwerk abzufackeln.
Der Konzertabend ist auch deshalb so angenehm, weil Ruth Jarre immer noch eine der souveränsten Moderatorinnen im Lande ist.
Übrigens ist Ultraschall 2021, was die Anzahl der aufgeführten Stücke angeht, nicht ganz so Frauen-dominiert wie letztes Jahr (13 Stücke ♀, 29 ♂).
Sämtliche Konzerte sind 30 Tage nachhörbar. Von wegen Wos nix kost, is nix wert.
yep, hat gepasst. Wunderbar. Wenn auch Livestream besser gewesen wäre aber Radio geht auch. Bravo Sarah-Maria Sun
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O Mann was für eine Kommentarenhorde in der Welt unter Brugs Artikel
https://www.welt.de/kultur/article224688757/Placido-Domingo-wird-80-Aus-dem-Tenorhelden-ist-eine-tragische-Witzfigur-geworden.html
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Ja, Neue Musik ist jetzt nicht so ganz meins, auch wenn ich mir immer vornehme mehr von dem Zeug zu hören :-) Seltsam was der RBB inzwsichen für Rezensenten auf der Seite hat. Ich empfehle das hier als Nachtlektüre
https://www.rbb-online.de/rbbkultur/themen/musik/rezensionen/buehne/2021/01/ultraschall-berlin-eroeffnungskonzert-mit-dem-notos-quartett.html von einer gewissen A. B. die in ihrem zweiten Leben China-Reportagen und Firmenporträts verfasst. Dürfte jedenfalls die schlechteste Rezension auf RBB der letzten 20 Jahre gewesen sein. Hätten sie auch die Ossowski schreiben lassen könne, die sieht zwar immer alles durch die rosarote Brille aber man spürt immer die Begeisterung für die Musik.
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Besser als gar nicht berichten. Liest sich aber in der Tat wie eine Ankündigung. Die Ossowski ist doch gar nicht schlecht. Bauchgefühl ist immer noch das Wichtigste beim Musikhören. Sie war immerhin die einzige mit mir, die dem Lohengrin im Dezember was abgewinnen konnte.
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Auch Petrenko gehört? Trifonow doch sehr gemäßigt, fast klassisch, was Zugriff und Disposition anging, exzentrisch war nur die Haltung aufm Schemel, Tempo auch son bissl bieder. Hab es aufgenommen und hör noch 2, 3 Mal durch. Den guten, alten Meetooler Gatti hab ich ausgelassen, Programm war auch mittel. Aber die Philharmoniker müssen ihn ja lieben. Beim Concertgebouworkest hat er nicht mehr dirigiert, wenn ich nicht was verpasst hab.
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