Das Zafraan Ensemble wird 10! Und kombiniert in seiner Jubiläumssaison neue und neueste Musik mit Berliner Kompositionen ab 1910. In sage und schreibe zehn Konzerten. Der Name der Konzertreihe: „UA Berlin“ (=Uraufführung Berlin). Wie das geht? Jeweils ein Jahrzehnt Berliner Musik trifft an ganz verschiedenen Orten auf zeitgenössisches Komponieren.

Los geht’s am Sonntag im Radialsystem, und zwar mit dem Konzert „Die 1910er – Hälse mit Kreuzen“. Das Berlin der 1910er-Jahre wird von den Zwölftönern Schönberg und Eisler vertreten, das „neue“ Berlin von Poppe (geb. 1969) und Wessel (geb. 1991). Geheimer Bezugspunkt der Kompositionen aber ist und bleibt Schönbergs Pierrot lunaire, uraufgeführt 1912 in Berlin.

Dass sich die Neuen nicht vor den Altmeistern verstecken müssen, zeigt Gelöschte Lieder (1999) von Enno Poppe. Poppes Lieder entpuppen sich als schrilles, verschlungenes, aber auch extrem neugieriges Werk, das keine 20 Minuten kurz ist. Farbe ist für Poppe zweitrangig, motivische Mutation alles. Das ist ungeheuer spannend, zumal das Leise genauso erfrischend komponiert ist wie das Laute. Das ganze Stück rotiert sozusagen wie ein Hurrikan um jene chaotische Aus- und Abbruchstelle im Schlussteil. Auf das motivische Mäandern Poppes folgt Palmström (1925) von Hanns Eisler nach Gedichten von Morgenstern, diese Zwölfton-Fingerübungen des phänomenal begabten jungen Eisler, deren hintergründigen Unsinn die Sopranistin Eva Resch subtil und sopran-fein in den dunklen Saal trägt.

Damit sind wir bei der Uraufführung des Abends. Absinthe von Florian Wessel gibt sich als fernes Schmerzens-Echo der Pierrot-Musik zu erkennen, inklusive expressiver Cellokantilene, aber so richtig Hand und Fuß hat das Ganze irgendwie (noch) nicht, was aber nicht heißt, dass man einem Stück von Wessel nicht bald wiederbegegnen möchte. Ganz im Gegenteil: her damit!

Folgt Pierrot lunaire (1912), Schönbergs op. 21, dem Eva Resch einen Mix aus kindischer Erregtheit und verliebter Trunkenheit spendiert. Das kommt Macaron-leicht daher. Reschs Sopran, biegsam wie ein Florett, lupft zärtlich Vokale, zelebriert larmoyante Wehmut. Ganz nebenbei entdeckt man eines der charismatischen Werke des musikalischen Expressionismus. Das hat schon was, wie Resch da ein Glissando des armen Pierrot wie Kaugummi dehnt. Hübsch das nur sekundenschnelle Galgenlied. Und das Zafraan Ensemble zeigt unter der Leitung von Miguel Pérez Iñesta, dass es nicht nur Zeitgenössisches „kann“. Tiefsinnig, charmant, witzig.

Fazit: kluges Programm, prima Konzept, dufte Umsetzung.

Ob die kesse Moderation von Mark Scheibe das Gelbe vom Ei ist, bezweifle ich allerdings. Gut möglich, dass es Leute gibt, die so was mögen. Ich mochte es nicht.

Nächster Termin: „UA Berlin – die 1920er Jahre“ im Meistersaal Berlin am 30.10.