Da ist es, das große Berliner Meyerbeer-Wochenende. Die Deutsche Oper zeigt innerhalb von 24 Stunden beide Polit-Epen Meyerbeers: den Propheten und die Hugenotten. Da heißt es nicht lange fackeln. Augen zu und durch.

Am Samstag also Le Prophète, das sprödere, pessimistischere, politischere, auch klangfarblich düster gefärbte Werk, das überraschend um eine tragische Mutter-Sohn-Erzählung gravitiert, zudem orchestrale Opulenz hinter historischer Plausibilität versteckt. Und dann am Sonntag jene Hugenotten, die mit einem gepflegtem Gelage beginnen und in Blutvergießen und Massaker endigen.

Wenn Olivier Py in Le Prohpète also die Geschichte um den Wiedertäuferkönig Jean in sattes Industrialisierungs-Grau bettet, so funktioniert dies gut, wenn man von einigen Regietheater-Macken absieht (hohe Waffendichte auf der Bühne, Hang zu dekorativer Brutalität). Besonders die virtuos gehandhabte Drehbühne

schafft einen permanenten Fluss raffinierter Fassaden-Tristesse (Pierre-André Weitz), der von Sängern und Tänzern (Opernballett der Deutschen Oper Berlin) geschickt genutzt wird.

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Die Hugenotten an der Deutschen Oper Berlin

So wie von Gregory Kunde, einem bärig-knuddeligen Zauderer und nur bedingt charismatischen Religionskrieger Jean, der die enormen Akt-Längen mit typischen Opern-Gesten zu meistern versucht. Sängerisch aber lässt Kunde Metall und Legato strahlen, bringt waghalsige Sprünge über das System und heikle Wechsel zwischen Halb- und Vollstimme unter einen Tenor-Hut.

Als seine Mutter Fidès meistert Clémentine Margaine (grau zerzauselter Haarschopf, große Bühnenpräsenz) die kraftraubende Rolle mit intensivem Mezzo und virtuosem Saft in den Arien. Meyerbeers Arien pendeln ja faszinierend zwischen Belcanto-Verve und romantischem Weltschmerz. Elena Tsallagowa (Berthe, Kleid in Unschuldsweiß) verströmt flammendes Gefühl, lässt ihr makelloses Sopranmaterial tönen. Der mafia-fiese Oberthal von Seth Carico (herrlich passend der akkurate Schwarzbart) und das Eiferer-Trio aus Derek Welton, Thomas Lehman (beide mit wuchtiger Bösewichtstimme) und Gideon Poppe (präsenter Tenor) schlüpfen perfekt in ihre Rollen als gewissenlose Instinkt-Politiker und Polit-Verführer.

Hier die ausführliche Kritik zu Le Prophète von der Vorstellung vom 23. 2. lesen.

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Meyerbeers Prophet

Keine 24 Stunden später dann Les Huguenots. Mit routinierter Übersicht breitet David Alden die blutige Religionsfehde  aus, gespielt wird in Kostümen irgendwo zwischen 1870 und 1930. Auch das funktioniert erstaunlich gut, auch hier schafft die Bühne (Giles Cadle) variabel bespielbare Räume, wobei Alden die Handlung zusätzlich mit hübschen Einfällen auflockert.

Im direkten Vergleich wirkt David Aldens Arbeit runder und konzilianter, Olivier Pys Inszenierung aggressiver und konsequenter. Die Sänger bei den Hugenotten sind durch die Bank jünger, auch infolge von Umbesetzungen in den Hauptrollen.

Liv Redpath brilliert als ewig lächelnde Königin, agiert so koloraturgewandt wie kokett, exponiert schwerelose Staccati und schwebende Piano-Töne, etwas mehr Herrscherinnen-Gusto würde der Rolle freilich gut tun. Olesja Golownewa ist aus anderem Holz geschnitzt, singt mit Leidenschaft und Genauigkeit bis in die brustige Tiefe hinab (feines Vibrato der Mittellage, um die Spitzentöne muss indes gekämpft werden), und im blutigen Finale kämpft sie wie eine Löwin um ihren Liebsten Raoul. Der wird von Anton Rosizkij imponierend höhensicher gesungen, die Belcantolinien zieht der Russe tenorschmal nach und vergisst dabei auch die mezzavoce-Feinheiten nicht (auffällige Vokal- und Nasalvokalverfärbungen). Der Marcel von Ante Jerkunica ist ein Katholikenfresser, der seine Basspranke ausfährt, freilich heute Abend kein besonders genauer Sänger ist. Irene Roberts‘ Page tönt selbstbewusst intensiv, der Saint-Bris von Derek Welton metallisch unkonziliant.

Hier die detaillierte Kritik zu Les Huguenots vom 2. 2. lesen.

Schnürt Enrique Mazzola am Samstag im Graben ein rundum stimmiges, süffig-vollmundiges, farbreiches, aber eben auch angenehm straffes Propheten-Paket, so lässt  Alexander Wedernikow am Sonntag in Les Huguenots die Zügel lockerer, treibt nicht voran, das klingt schlaffer, robuster, gar ungenau, wenngleich lyrische Farben, besonders an den leisen Stellen, löblicherweise zu Wort kommen.

Bei den Chorensembles reicht die Spanne von beschaulichen Genrebildern (die berühmte Eisläuferszene im Propheten) bis hin zur kollektiven Proklamation von Leid und Affekt. Was der Chor der Deutschen Oper flugs zu plastischer Wucht steigert – und immer wieder wird das beeindruckend genau gesungen. Die massive Geschlossenheit der Chöre vereint auch in den spektakulären Finales Jubel und Tod, Trauer und gellenden Hass.

Apropos Meyerbeer-Wochenende. Am kommenden Wochenende sind alle drei Meyerbeer-Werke in einem Rutsch zu hören – dann auch mit der vorletzten Meyerbeer-Oper Dinorah, die am Mittwoch ihre konzertante Premiere erlebt.