An der Deutschen Oper wird derzeit das dreiteilige Drama „Meyerbeer“ aufgeführt. Nach dem ersten Akt Die Hugenotten hebt sich nun der Vorhang zu Akt 2 mit Namen Der Prophet. Anfang März folgt mit Dinorah der dritte und letzte Akt.
Le Prophète ist eine Oper ohne positiven Held und ohne Liebe, genauer gesagt eine grand opéra mit fünf Akten, viel Chor und noch mehr historischem Background. Rabenschwarzer Pessimismus durchtränkt Libretto (Eugène Scribe, Émile Deschamps) und Musik (komponiert 1839-1849), wenn die Dynamik des historischen Augenblicks den Wiedertäufer-Rebell Jean ins Verderben reißt. Die Uraufführung fand 1849 unter Anwesenheit von Verdi, Chopin und Berlioz im revolutionären Paris statt. Zahlreich die Volksansprachen, massenwirksam die Choreinsätze, keine einzige Szene geschieht in intimer Privatheit. Alles ist öffentlich. Alles ist Demagogie. Ideologie ist Verführung. Kaum eine Oper aus dem ehrwürdigen 19. Jahrhundert wirkt heutiger.
Die Inszenierung von Olivier Py dürfte nicht so schlecht sein, wie die Premierenkritik zu Le Prophète suggerierte. Ist doch das Bühnenbild aus beweglichen Fassaden und Innenräumen ein getreuer Spiegel der komplexen, düsteren Handlung. Wie ein Eishauch legt sich ein kalt-schwärzlicher Einheitston über Sänger und Spielort – und fungiert so als organisierende Riesenklammer, derer das Riesenwerk so dringend bedarf (Bühne und Kostüme: Pierre-André Weitz). Mit vorgehaltener Pistole gesungene Arien indes erscheinen wie ein Witz aus der schlechtesten aller Regietheater-Kisten. Obendrein erhöhen MP-Gefuchtel und Vergewaltigung auf offener Bühne eher selten die Triftigkeit eines Opernabends. Ein subtiler Bildermeister ist Py hier nicht.
Doch alles in allem hält Py das Opern-Schlachtschiff Le Prophète auf Kurs und steuert Regie-erfahren den sicheren Hafen des 5. Aktes an.
Die an Bord befindlichen Solisten bringen allesamt ordentlich Leben in die Bude.
Tragende Säule des Abend ist der Jean de Leyde von Gregory Kunde, der dem anstrengenden Propheten-Part schmeichlerische Pianoschattierungen, heldische Farben der Mittellage, spröden Kantilenenschmelz und Spitzentöne abtrotzt. Clémentine Margaine haucht der Mutter Fidès mit wuchtiger Mezzo-Präsenz musikdramatisches Leben ein, während sich Elena Tsallagowa für Jeans Verlobte Berthe mit tadellos biegsamem Sopran einsetzt. Das demagogisch-dämonische Trio fatale (in den unvermeidlichen Soldatenmänteln) wird verkörpert von den Wiedertäufern Derek Welton (schönes Aussi nombreux que les étoiles), Gideon Poppe und Thomas Lehman.
Keine Meyerbeer-Oper ohne effektvolle Chorauftritte, und der Chor der Deutschen Oper, meist als mausgraue Verführungsmasse Volk kostümiert, schallt dazu mit vokaler Größe: wuchtig drohend im 3. Akt Du sang!, eindrucksvoll donnernd im Bacchanal Gloire, gloire au prophète des 5. Akts.
Die große Ballettszene im 3. Akt nutzt die Drehbühne. Py zeigt uns eine zackige Ballett-Schau, die sich mittels Stunteinlagen als kurzweilig genug erweist, um die Walzer- und Quadrillen-Viertelstunde mehr als anständig zu füllen. Unter Enrique Mazzola spielt das Orchester der Deutschen Oper wie aus einem Guss. Soloeinsätze, Tutti, Farben, Tempo, das Blech, das sitzt, alles passt, aus dem Graben schallt es schlagkräftig oder detailverliebt, je nach Partitur-Erfordernis, und so spult Mazzola im Verein mit den Musikern die Folge der Massen-Tableaus imponierend verlässlich ab. Selten hört man das DO-Orchester so präsent, so glänzend vorbereitet. Gleiches gilt notabene für den erfrischend souveränen Chor.
Als Oberthal ist Seth Carico ein vitaler, baritongeschmeidiger Bösewicht wie aus dem Bilderbuch. Mit wohlklingenden Stimmen stechen die Bäuerinnen (Jacquelyn Stucker, Anna Buslidze) während des Chœur des patineurs (des Chors der Schlittschuhläufer, laut Libretto spielt der Akt an einem zugefrorenen nahe Münster) im 3. Akt heraus. Wertvolle Nebenrollen-Jobs verrichten Ya-Chung Huang und der sonore Byung Gil Kim (Bauer, Wiedertäufer) sowie die hochbewährten Kräfte Michael Kim, Samuel Dale Johnson und Timothy Newton (Bürger).
Langandauernder Applaus.
Premierenkritiken: Komataufen im himmlischen Jerusalem (Manuel Brug), Tagesspiegel-Kritik Machtkrampf in Münster (Ulrich Amling)
Ohhh freu auf Samstag
Ich fand die Inszenierung unmittelbar nach der Premiere, gewöhnungsbdürftig. Wesentlich besser fand ich sie nach dem Wasserschaden, da waren einige Änderungen, hoffentlich ist es jetzt auch so
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Gehe auf jeden Fall noch mal in die Hugenotten, bei Prophet bin ich noch am Überlegen. Aber wahrscheinlich wird der Prophet nächste Saison eher nicht gespielt, dann kommt vermutlich wieder mehr Strauss auf den Spielplan, der auch immer teuer ist. Also vielleicht doch ein zweites Mal. Wie dem auch sei, großen Respekt für die Deutsche Oper. Die Begeisterung im Publikum war gestern groß.
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Meine Freude währte nicht lange.Spätstens am Schluß war meine Geduld mit diesser bescheuerten Inszenierung am Ende.
Ich hasse Opern, die nicht zu Potte kommen, wie z.B. Mozartopern. Hier war das Gesinge am Schluß endlos und langweilte trotz guter Leistungen nur.Kein Vergleich mit den Hugenotten.
Falls jemand Ahnung hat, kommen nicht Teile der Baritonarie am Beginn des 2. Aktes auch irgendwie in den Hugenotten vor?
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Sie Ärmster. Mir ging es am Wochenende anders herum. Ich war nochmal in Prophet und Hugenotten und fand den Propheten musikalisch und von der Inszenierung her interessanter. Beim ersten Mal wars anders herum. Der Beifall beim Propheten war am Samstag doch deutlich maßvoller als bei er Wiederaufnahme, und gestern Abend gab es nach der zweiten Pause ein interessantes Bravo-und-Buh-Gefecht betreffend die Leistung des Dirigenten, die Buhrufer kamen eher vom Rang.
Ich fand ja, dass im Propheten irgend ein Stück der Arie des Franz (Jour et Nuit) aus Hoffmann auffällig ähnelte.
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Danke,
den Beifall habe ich nicht mehr mitbekommen, muss ich zu meiner chande gestehen, obwohl alle ihn verdientt haben. Aber dieses Gesinge der beiden, vertrieb mich.
Ach Hoffmann???
Ich fand eher die erste große Arie der Valentine, wenn sie von der Natur schwärmte…
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Die Buhs vor dem fünften Akt fand ich ungerechtfertigt. Das Orchester zeigte den ganzen Abend großes Einfühlungsvermögen für die besondere Sprache Meyerbeers. Selbstredend waren die Sänger große Klasse. Bravi!
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