War die Schwert-und-Sandalen-Oper (unübertroffen: Callas als Norma, del Monaco als Pollione) eigentlich nicht so tot wie Alexander der Große? Jetzt wagt die Staatsoper Berlin eine Wiederbelebung. Für Samson et Dalila von Camille Saint-Saëns greift Regisseur und Opernneuling Damián Szifron ganz tief in die Trickkiste der Breitwandoper. Szifron zeigt Bibelspektakel pur. Man traut seinen Augen kaum. Samson wandelt im Heiligen Land in Jesuslatschen. Die Philisterkrieger stecken unter scharfgezackten Helmen und in Rüstungen aus Metallschuppen, während die geknechteten Israeliten sich in antike Wallegewänder hüllen (Kostüme: Gesine Völlm).
Doch Szifron will das ganze antike Kostümspektakel. Und was macht da Bühnenbildner Étienne Pluss? Türmt Felsen und Säulen zu einem hyperrealen Antiken-Setting (Schauplatz: das antike Gaza). Bei so viel Ausstattungsopulenz gerät die Personenregie konventionell bis klassisch reduziert.
Das Beste aber ist, dass die Inszenierung funktioniert. Die Herangehensweise Szifrons ähnelt in ihrer pingelig detailverliebten, historisch pseudo-korrekten Haltung dem sehenswerten Parsifal Philip Stölzls an der Deutschen Oper. Man kann streiten, ob diese „Samson“-Inszenierung selbstbewusst konservativ, trashig ironisch oder einfach nur strulledoof ist. Egal. Sie ist optisch hochinteressant und unterfüttert die schematisch vorhersehbare Handlung mit wimmelig wogenden Bildräumen. Kurz, sie interessiert den Zuhörer von der ersten bis zur letzten Minute. Fehlt hier eine Deutung? Die Kritik an Damián Szifron ist vorhersehbar. Aber angestaubtes Bibeldrama, hochtrabende 19.-Jahrhundert-Lyrik und der heroisch Gestus der französischen grand opéra finden hier für spektakulöse zweieinhalb Stunden kongenial zusammen.

Zumal die Sänger ersten Ranges sind.
Der tragische Superheld Samson findet in Brandon Jovanovich eine hochgewachsene, maskuline Verkörperung. Ein Hingucker ist der besonders als blutüberströmter Leidensmann. Die Stimme ist ein fester, um heroische Nuancen nicht verlegener Tenor mit attraktiv helldunkler Mittellage. Sie zeigt sich nur in der höchsten, dann fahlen Höhe ohne viel Metall begrenzt. Zwar versagte der Komponist seinem Historien-Heros eine Arie mit Wiedererkennungswert. Doch für die zwischen dramatischen Rezitativen und heroischen Aufschwüngen sich bewegende Partie findet Jovanovich einen eigenen Weg.

Elīna Garanča singt die Arie Mon cœur s’ouvre à ta voix mit Traum-Legato und kühlem Kupfer in der Stimme. Fast androgyn der Gift-Zauber der tiefen Bruststimme, mit der sie jeden einzelnen der (Endungs-)Vokale (tendresse, ivresse) in Samsons Herz träufelt. Kontrolle und Klang sind exzeptionell. Genauso gelang zuvor schon die Anrufung um bösen Liebeszauber Amour! viens aider ma faiblesse!, mit der der 2. Akt beginnt. Willensstark und gewissermaßen kriegerisch ist das Vibrato, bronzefest die Mittellage. Mit ihrem Turandot-Kopfputz à la Callas im 3. Akt wird sie von der Liebes- zur Todesgöttin: Als Bühnengestalt ist Elīna Garanča gleichermaßen glaubhaft als hochnäsige Priesterin wie als eiskalte Verführerin. Ein Zückerli reicht der Regisseur der Dalila noch: Sie darf den geifernden Oberpriester erdolchen.
Denn hinter der starken Frau, die den stärkeren Mann ins Verderben stürzt, steht der Oberpriester des Michael Volle, herrlich herrisch gesungen als intrigante, im 1. Akt wutschnaubende, im 3. Akt die Hass-Sau rauslassende Priester-Type. Glutvoll entflammt züngelt das „Hass“-Duett im 2. Akt, auch dank der knorrigen Gewalt von Volles Bariton. Volle (im schicken Priestermantel) ist hier Garanča ebenbürtig. Als auf hölzernem Tragesitz hereingekarrter Abimelech wettert Kwangchul Youn empört gegen Glaubensfeinde. Wolfgang Schöne stellt den alten Hebräer mit einer Aura aus Weisheit und Autorität dar (leichte Intonationsunsicherheiten). Berührend, wenn auch nicht sehr idiomatisch das Solo Il nous frappait dans sa colère. Die beiden angstbibbernden Philister singen Andrés Moreno García und Jaka Mihelač, der Bote (Javier Bernardo) bildet mit den beiden Philistern ein kurzes, interessantes Trio.
Der Staatsopernchor gibt bald das bibelfest wehklagende Hebräervolk, bald den orgiastisch feiernden Philistermob. Hier darf man endlich auch als Bewegungskollektiv bühnenbeherrschend agieren. Dann tragen die Frauen turbanartige Vermummungen. Aber so genau wie die DO-Kollegen an der Bismarckstraße singt man nicht.

Es ist wieder einmal ein Abend der Staatskapelle und Daniel Barenboims. So farbmächtig, so warm leuchtend, so auf einem Atem getragen spielen sie heute Saint-Saëns, als sei ihnen der in Deutschland wohl immer noch unterschätzte Franzose seit dem Staatskapellenkonzert vor zwei Wochen ans Herz gewachsen. Holzbläser entfalten ihre Klangfarbenfächer, die Streicher ziehen ihre Linien wie zärtliche Lassos um Motive und Melodien. Daniel Barenboim dirigiert ruhig und überlegen. Die Musik exponiert Schönheit, Sensibilität und Klarheit, endlos sind die Bögen, erlesen der Sinn für großräumige dynamische Wirkungen. Erstaunlich und erfreulich, wie Samson et Dalila (Uraufführung 1877 auf Anregung Liszts in Weimar) vollkommen unberührt scheint von Wagners pessimistischer Lust zum Tod.
Nur schade, dass die Inszenierung bei der Tempeleinsturzszene nicht effektvoll die Pappkulissen zusammenstürzen lässt. Das wär’s doch gewesen.
Kein Klatschen in der kurzen, zehnsekündigen Pause zwischen 1. und 2. Akt. Einhellig der Beifall für Sänger und Orchester. Schallend die Buhs, ebenso zahlreich die Bravo-Rufe für das Regieteam.
Fotos: Matthias Baus
Weitere Kritiken: Jubel- und Buhstürme (Volker Blech), Der Regiestar wird ausgebuht (Frederik Hanssen), Barbarischer Kitsch (Andre Sokolowski). Mehr Premierenkritik/-berichte folgen.
Sorry, diese sogenannte Inszenierung ist einfach nur Quark. 3 Akte schüttet ein von Oper bislang unbeleckter Filmregisseur einen unerträglichen Inszenierungsmüll auf die Bühne der Lindenoper. Was reitet die Berliner Opernhäuser, dass sie zum wiederholten Mal einen Debütanten engagieren, der in schöner Vorhersehbarkeit ein anspruchsvolles Werk vor die Wand fährt? Wenn ich William Wylers Ben Hur oder Petersens Troja sehen will, gehe ich ins Kino. Aber so ein dröges und äußerliches Ausstattungsspektakel in der Oper – nein danke!
Ein sehr enttäuschender Opernabend. Nur die herrlichen Stimmen entschädigten für so viel uninspirierten Mist.
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Billig und peinlich
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Julia Spinola fand die Inszenierung auch Nichtssagend. Ihre Besprechung hab ich vor 2 Stunden im Deutschlandradio gehört. Als einzige Überraschung wurde die Tötung des Oberpriesters durch Dalila genannt. Eine Deutung fehle vollständig. Also sie war not amused.
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Ick weeß nu nich mehr ob der Text in der SZ der gleiche ist wie im DLF aber vom Sinn her identisch
https://www.sueddeutsche.de/kultur/barenboim-dirigiert-einem-echten-loewen-sind-sandalen-zu-klein-1.4696579
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Wer die ersten Minuten der Oper mit wachen Augen und Ohren erlebte, konnte nicht umhin, die Oper als Kommentar zur Situation der Juden in Deutschland zu lesen. Der getötete Junge während des Vorspiels, die Klagen des Hebräerchors… Dazu Barenboim, der dirigiert… Das berührte mich innerlich. Selbst wenn die Oper vermutlich schon einige Jahre zuvor geplant wurde, so ist der Stoff, der vom bedrohten jüdischen Volk erzählt, nach dem versuchten Massaker von Halle von tieferer Bedeutung erfüllt. Dass sich die Inszenierung jedes Kommentars zur aktuellen Lage enthält, macht das Unausgesprochene nur noch spürbarer.
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Habs auch gesehen.
Ist schon grenzwertig das ganze Pappmaschee und Styropor
Könnte auch von 1960 sein.
2. Akt stinknormale Ausstattungsoper mit Budenzauber und Sex und Gewalt
Filmregisseur goes Opernregissseur — und es bleibt eine traurige Geschicht
So long
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Wunderbare Inszenierung! Ich empfehle dringend einen Besuch! Endlich einmal kein moderner Sch…. Einfach nur hinreißend, mit welch handwerklicher Meisterschaft Bühnenaufbauten und Kostüme geschaffen wurden. Wirklich peinlich sind aber die Kritiken, die die Inszenierung verreißen und dann auch noch den Eindruck vermitteln es hätte nur Buhstürme gegeben. Meinem Eindruck nach waren Buhs und Bravos 50 – 50 verteilt. Aber vielleicht sitzen die Kritiker bei der Premiere in einem Elfenbeinturm und hören nur das, was sie hören wollen. Wenn ich Julia Spinola zitieren darf: „Jubel für die Musiker und lautstarke Buhs für ein Regieteam, das so weit hinter den Regieerrungenschaften der letzten fünfzig Jahre zurückbleibt, dass es noch dem konservativsten Opernbesucher den Atem verschlagen musste. „
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Ich habe selten etwas beeindruckenderes gesehn (gehört, müßte ich sagen, weil es nur der 3. Rang links war) als diese 10 Minuten „mon coeur s’ouvre a ta voix“. Hier stimmte alles, und sogar der Tenor war gut, was heutzutage gar nicht so einfach ist. Vielleicht geh‘ ich nochmal auf die rechte Seite um zu sehn, was da auf der linken so los ist.
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meetoo##
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War nun endlich gestern auch drin. Musikalisch top andres kann man das nicht sagen. Jovanovich war indisponiert angekündigt (also die Dame die das angekündigt hat hatte nun wirklich kein Bühnenstimme, das kann der Matthias Schulz besser ) und sang anfangs ziemlich ungeschlacht , fing sich aber rasch und lieferte eine astreine Vorstellung ab. Muss auch deutlich besser als in der Premiere gewesen sein wenn man sich die Berichte durchliest. Mezzavoce äußerst gut, selbst messa di voce war da :-) Garanca super schön auch weil sie vor der Pause durchaus viel zu singen hat. Was für eine edle, vielschichtige Stimme. Meiner Meinung nach passt die kühle Stimme zur französischen Oper sehr gut. Hoffentlich hören wir Garanca bald wieder in Berlin . Also die Garanca ist ähnlich beeindruckend wie Netrebko und di Donato. Volle war einfach eine Wucht. Überlege oben ich nicht noch versuche, am Samstag eine Karte zu bekommen obwohl ausverkauft ist. Für mich ware n alle drei Sänger auf super Niveau. Die Chören waren eindrucksvoll, das Orchester auch. hatte mit Guggeis gerechnet aber Barenboim dirigierte. Das ist ja nicht das schlechteste :-)))
Sehr viel Applaus und da war meinem Eindruck nach auch viel Applaus für die Inszenierung dabei.
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