Die Berliner Konzertsaison hat gerade einmal zwei Monate hinter sich, da wirft die Staatskapelle Berlin ihren Saint-Saëns-Abend in den Ring. Es gibt weniger Saint-Saëns-Abende als wünschenswert wäre.

Im 3. Violinkonzert von 1880, einem Werk voll mendelssohnscher Eleganz, melodiöser Sinnlichkeit und wildem Saltarello-Übermut, ist die Georgierin Lisa Batiashvili zu hören. Der Ton ihrer Guarneri ist schlank und edel. Ihr Spiel ist flüssig, kultiviert bis in die Spitzen ihres bewundernswert variablen Vibratos. Zum Höhepunkt wird das Finale mit seinem Melodienreigen, den Batiashvili mit Eleganz, unvergleichlicher Eloquenz und Charme meistert. Leidenschaft ist bei Batiashvili stets mit Noblesse verbunden, Beseeltheit fußt unmittelbar auf untadeliger Technik. Der rigorose Subjektivismus manch anderer Geigerinnen ist nicht ihre Sache. Einzige Kritik: der bisweilen aufgesetzt wirkende samtigsatt volle Ton der tiefen Lage (besonders im 1. Satz). Dennoch ist ihre Interpretation großes Geigen-Kino. Hörenswert die sachliche, genaue Solo-Oboe im 2. Satz.

Was für ein großartiges Stück übrigens, wo man Bruchs blutleeres Konzert doch so oft hört.

Die Geigerin tritt in einem mit schwarzen Blütenblättern behängten Tülltraum auf (habe ich sie in diesem Kleid nicht schon einmal gesehen?). Das Dekolleté beherbergt ein Kreuz. Das Haar, perfekter Sitz, perfekt gefönt, fügt sich dem Erscheinungsbild angemessen ein.

Staatskapelle Berlin Barenboim Unter den Linden

Konzerte Unter den Linden tönen intimer als jene in der Philharmonie. Der Saal klingt „schön, trennscharf, dabei warm“ (Jan Brachmann).

Es folgt die Sinfonie Nr. 3 (1886), ein frisches, leidenschaftliches, im Sinfonien-Land Deutschland kaum geliebtes, weniger noch verehrtes und nur leidlich gepflegtes Werk. Es ist eine spannende Aufführung. Die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim spielt mit bekennerhaftem Engagement. Aber welch ungewohnte Wege geht Camille Saint-Saëns mit seiner dritten Sinfonie (Orgel: Christian Schmitt). Zwei große Sätze, in Unterabschnitte unterteilt wie 4. Klavierkonzert und 2. Cellokonzert. So viel Chuzpe, so viel Formfantasie besaßen die Vorzeigesinfoniker Brahms und Bruckner nicht. Geprobt wurde gut. Barenboim fördert – wie meist im französischen Repertoire – Feuer und Beredtheit, aber kein trennscharfes Tutti. Einmalig in der Coda gerade bei diesem französischen Meister der ausgelassene Meistersinger-Ton. Was für eine Freude.

Es gibt weniger Saint-Saëns-Abende als wünschenswert wäre, und Lisa Batiashvili könnte ich alle zwei Wochen hören, meinetwegen auch ein drittes Mal in besagtem Kleid.