Freundlicher Applaus, ein Buh für Czernowin, dazu der übliche lautstarke Enthusiasmus von Fan-Grüppchen. Wie war die jährliche Uraufführung an der Deutschen Oper? Claus Guth liefert eine passgenaue, hyperklare Regiearbeit, die fast für sich alleine bestehen kann. Und Chaya Czernowin schafft mit Heart Chamber eine Oper, die anmutet wie eine mikroskopisch genaue Autopsie der Liebe. Herzkammer ist leidenschaftlich und illusionslos, irre intim und kühlkontrolliert. Für den Hörer bedeutet das Werk 1 Stunde 22 Minuten Hochkonzentration.
Aber zuerst zu Claus Guth. Bühne, Licht, Optik sind betörend. Die Drehbühne zeigt dem Zuschauer rotierenderweise ein kaltes Betonhaus, eine kongenial ausgeleuchtete Freitreppe und einen leeren Nichtraum (zwei Stühle, sonst nichts, Bühne: Christian Schmidt). Das Liebespaar präsentiert uns der Regisseur als streng symmetrisch agierende Menschen mit minimalem Real-Hintergrund. „Er“ lehnt dekorativ am Architektenschreibtisch, „Sie“ an der Küchenzeile. Die glasklaren und nachtdunklen Bilder aber, die Guth für die flüchtigen Begegnungen, die Annäherungen und Abwendungen findet, üben auf den Zuschauer einen kühlen Sog aus. Der Sog wird vertieft durch Videoeinspielungen, die das Bühnenbild atemberaubend virtuos auflösen (Videos: rocafilm, banaler geraten nur die Filmeinspieler: „Er“ und „Sie“ auf der Wilmersdorfer, in der Altbauwohnung).
Angesichts dieser perfekt ausgemessenen und doch so wild-schönen Bildersprache wirken Handlung und Personenkonstellation seltsam schematisch. Frau und Mann begegnen sich, verlieben sich, der erste Zoff, Trennung. Dabei agieren „Sie“ (Patrizia Ciofi, altmodischer Rock) und „Er“ (Dietrich Henschel, Schlabberjackett) so gehemmt und unfrei, als lasteten sämtliche Paar-Diskurse der letzten 50 Jahre auf ihren Schultern. Ihre „inneren Stimmen“ (Noa Frenkel und Terry Wey ganz in Schwarz) dürfen sich lebendiger geben. Patrizia Ciofi singt virtuos auf und mit dem Atem, mit geheimnisvollen, intonationssicheren Spitzentönen in Spoken unspoken, ist aber hörbar keine Neue-Musik-Expertin. Sie singt prägnanter, genauer als Henschel. Als „Er“ wirkt Henschel in seinem grämlichen Akademiker-Dasein manchmal so gediegen schläpplich wie der Schauspieler Walter Sittler. Noa Frenkel gefällt mit schönen Koloraturen in Dream III.
Schlagkräftig, solistisch besetzt
Chaya Czernowin gliedert Heart Chamber in 13 Abschnitte. Dazu gehören Szenen im engeren Sinne, Träume, Monologe, auch Soloszenen. Eine Handlung zeichnet sich ab. Die Stationen sind: Begegnung im Park, Anruf (zähe Glissandi vom Blech), gemeinsamer Spaziergang, „Liebesduett“ (Unspoken questions/Intimate), Streit (The Hurt) und Entfremdung. Dazwischen spannt Czernowin ein dichtes Netz aus vielstimmig verdichtetem Tutti und sorgfältigster Transparenz. Ganz bei sich ist Czernowin in den Passagen polyphonen Flüsterns und exquisit artikulierten Atmens. Bei dem rasselnden, dynamisch abgedimmten Gezirpe von Dream III und Euphoria muss ich an die 50.000 Kakerlaken aus Indiana Jones denken. Das Libretto wirkt simpel, besitzt aber dank seiner Lyrik-ähnlichen Verdichtung durchaus Meriten.
Zahlreich ist das Aufgebot an Nebenstimmen. Sie seien genannt. Es singen die Mezzosoprane Anna-Louise Costello, Jennifer Hughes, Verena Tönjes, Verena Usemann, die Soprane Rachel Fenlon, Jana Miller, Micaëla Oeste, Robyn Allegra Parton, die Bässe Christoph Brunner, Andrew Munn, Simon Robinson sowie Philipp Schreyer und die Tenöre Hans-Wagner Moreira, Lawrence Halksworth, Dieter Gillessen und Martin Fehr. Vielleicht nimmt man all diese Sänger bei einem zweiten Besuch bewusster war. Als „Stimme“ ist Frauke Aulbert zu hören.
Als bestens präpariert erweisen sich das schlagkräftige, solistisch besetzte Ensemble Nikel, das gewiefte SWR Experimentalstudio (Klangregie: Joachim Haas, Lukas Nowok, Carlo Laurenzi) und das tadellose Orchester der Deutschen Oper, letzteres unter dem erfahrenen Johannes Kalitzke. Schade eigentlich, dass das Orchester so wenig zu tun hat.
Die Premiere und Uraufführung ist ausverkauft. Vier weitere Vorstellungen am 21. 11., 26. 11., 30. 11. und 6. 12.
Fotos: Michael Trippel
Weitere Premierenkritiken von Chaya Czernowins Heart Chamber: Im Fluss der Geräusche (Volker Blech), Spürbar gewaltiger Textballast (Ulrich Amling), Unterhaltungstheater für die gehobenen Stände (Uwe Friedrich, Kritik auf BR Klassik)
Was für eine missgünstige, kleinliche Kritik.
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Bei der DO grassiert in dieser Saison die Absageritis. Stemme singt nicht Tosca.
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Ach, Stemme als Tosca wird überschätzt.
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Banale Figuren, dünne Handlung. Hat sich nicht gelohnt
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Nee, find ich nicht. In Così fan tutte sind Handlung und Personen auch banal. 36 Stunden nach der Premiere sehe ich Heart Chamber insgesamt positiver als in meinem Bericht oben beschrieben.
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Wollte mal endlich wieder einen Ballo erleben.
bin jetzt etwas ratlos. Kennt jemand die Tamara Wison?? Habe mir einiges auf youtube angehört, und bin eigentlich entschlossen nicht zu gehen. Strauss Wagner ok, aber dann gibts da ne Aida, da flogen mir in der Nilarie fast die Ohren ab, und dann die Amelia??? Bei Kang weiss man ja auch nicht, in welcher Form er derzeit ist
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Kenne ich auch nicht. Aber Tamaara Wilson sang Aida an der Met im wechsel mit Netrebko und Radvanoski, dürfte also nicht ganz so schlecht sein. Yoesp Kang fand ich immer sehr gut als ich ihn gehört ab ist allerdings schon ein Weilchen her. Ich gehe vielleicht am 2. oder 3. Termin. Die Videos legen zumindest nahe, dass sie in den Ensembles gut durchdringt aber auch viel wobble in der Stimme. Wenn der Dirigent Nägele heißt bekomm ich schon fast wieder Zweifel. Ist der vom württembergischen Landestheater?
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Danke Claudio,
ich warte auch erstmal bis zur 3. Aber gerade die Nilarie ist bei youtube zu hören und da flogen mir ein bisschen die Ohren weg, deshalb wurde ich so zweifelhaft.
Kang fand ich die letzte Zeit , die aber auch ne Weile wieder her ist, auch recht gut.Hat aber sehr wenig gesungen in der letzten Zeit
Mit Beginn der Spielzeit 2017/18 ist der junge deutsche Dirigent Nikolas Maximilian Nägele als Kapellmeister und musikalischer Assistent des Generalmusikdirektors an der Deutschen Oper Berlin tätig. Hier leitet er Vorstellungen von DIE ZAUBERFLÖTE, DER BARBIER VON SEVILLA, DIE FLEDERMAUS, CARMEN und LA TRAVIATA.
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Kein Wunder bin ich dem Nägele noch nicht über den Weg gelaufen – – – bis auf Traviata sind das Opern denen ich aus dem Weg gehe an DO und Linden
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Jetzt singt Lehmann für Brück, der mal wieder abgesagt hat
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Claudio,
ein Bericht aus 2. Hand, Dirigat flau, die Wilson wohl so wie vermutet, zwar einige wenige schöne Töne, Kang wohl auch ausser Form und Fr.Miller auch nicht so, wie gewohnt. Einzig Fr. Tsallagova. Also hat sich der Besuch für mich erledigt
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So ein M… Ich hab mich eigentlich schon gefreut. Danke jedenfalls, Herr Mohrmann
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Hat jemand eigentlich jemals einen Patz der günstigsten Kategorie für Heart Chamber gesehen?
Auf der Buchungsseite sind die letzten 2 Reihen ganz oben gar nicht angezeigt. werden die überhaupt verkauft?
Nicht dass ich wegen sechs Euro einen Aufstand mache aber ich nehme doch gerne die günstige Variante
https://deutscheoperberlin.eventim-inhouse.de/webshop/webticket/seatmap?eventId=7946https://deutscheoperberlin.eventim-inhouse.de/webshop/webticket/seatmap?eventId=7862
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Ist mir noch gar nicht aufgefallen. Wahrscheinlich gibts die billigsten gar nicht. Ich will auch noch mal rein, weiß nur noch nicht wann. Bin erst Sonntag wieder in Berlin. Für den Saint-Säens schwant mir schon Böses, wenn man die Vorschau-Bilder sieht. Regisseur Szifron: „ein argentinischer Film- und Fernsehregisseur sowie Drehbuchautor“. Urrgggh. Naja, abwarten. Stimmt, in Maskenball könnte ich auch mal wieder rein. War vor Jahren eine meiner Lieblingsopern von Verdi, dann irgendwie nicht mehr.
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Tatsache, stehe jetzt vor dem gleichen Problem mit den günstigen Plätzen bei Heart Chamber. Ich bin da im Zweifel auch knausrig. Würde noch mal am 6. gehen. 34 Euro, das sind mit Abo-Vergünstigung 27. Mal sehen.
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