Eine Repertoirevorstellung von Verdis Otello in Andreas Kriegenburgs Inszenierung.

Das Schlafzimmer Desdemonas: eine Cortenstahl-Gruft. Der Hauptschauplatz: ein Flüchtlingslager im Kriegsgebiet, in Szene gesetzt als Menschen-Hochregallager und pittoreskes Wuselbild des Elends (Bühne: Harald Thor). Faszinierend sorgfältig die Zeichnung Otellos als trauriger Tropf, der sich von Jago ohne Gegenwehr übertölpeln lässt. Die flache Bühne stärkt das Kammerspielhafte, nicht immer zum Gunsten der Oper. Schön, wie die Kinder Desdemona vor der rasenden Wut Otellos schützen, indem sie sie, einen blickdichten Cordon sanitaire bildend, in ihre Mitte nehmen.

Der Otello von Russell Thomas hat Lyrik, finsteres Pathos, männliche Verletzlichkeit. Mit Hosenträgern und bulligem, fast halslosem Oberkörper repräsentiert er einen kraftstrotzenden Aufsteiger, dem an Desdemonas Bett jeder Schneid und unter den Militärs jeder äußerliche Adel abgeht. Dass der US-amerikanische Tenor Schwarzer ist, mag nebensächlich sein. Doch aufregend ist der erste nicht nur schwarz geschminkte, sondern an Haut und Haaren schwarze Otello, den ich sehe, doch, und zwar bis tief in die tragische Schlussszene hinein. Die Stimme, die Thomas mitbringt, passt zur Tragik der Figur. Die Mittellage schallt männlich verschattet, klingt latent melancholisch. Die Höhe ist dünner, klingt mehrmals angestrengt. Das Ora e per sempre addio misslingt: theatralisches Seufzen, verrutschter Spitzenton. Das Liebesduett aber singt Thomas sublim, mit überlegener Phrasierung. Es ist ein Höhepunkt eines alles allem überzeugenden Verdi-Abends.

Auch wegen der damenhaften Desdemona der Chinesin Guanqun Yu, dem aufgehenden Stern am Sopranhimmel mit pianoschön flutendem Sopran. Nicht vom schlechtesten: die gute Tonqualität, die innigen, ansatzlos ansetzenden Spitzentöne. Ihr Singen hat feinen Ausdruck. Gleiches lässt sich von ihrem Agieren sagen. Man könnte es linkisch nennen, transportierte die Sopranistin nicht so viel behutsames Gefühl dabei.

Otello Deutsche Oper Berlin Russel Thomas

Der herbe Jago von George Gagnidze gestaltet ein überzeugendes Porträt (nur vielleicht ist das Gestenarsenal allzu schematisch), er knurrt, säuselt, droht, sein Bariton hat giftigen Biss, das Credo Grimm, wenn auch die Stimme selbst wenig Körper und Klang zu besitzen scheint. Attilio Glaser ist eine gute Besetzung für den Cassio, energisch im Trinklied, vital und elegisch im Terzetto des 3. Akts. Der väterlich sonore Gesandte Lodovico wird vom Bass Ievgen Orlov verkörpert, allerdings wenig textdeutlich. Hörenswert auch der spöttische Rodrigo von Burkhard Ulrich und der profunde Montano von Byung Gil Kim. Viel Applaus heimst Ronnita Miller als Emilia ein, und den Herold singt Bryan Murray.

Mit Paolo Arrivabeni am Pult bin ich nur bedingt zufrieden. Er holt Farbe und Lyrik aus dem Orchester. Doch das Tempo ist behäbig, und so ist eine Akt-übergreifende Dramatik Fehlanzeige. Dem Tutti fehlt Biss, den Aktionen des Chors fehlen Spontaneität und Kernigkeit, wenn auch im Chor gewohnt gut gesungen wird. Ein Vorteil: So viel Bedächtigkeit macht das Trinklied im 1. Akt oder das pezzo concertato im Finale des 3. Akts durchhörbar. Das hat dann auch Pepp.

Der Saal ist angenehm gekühlt. Viele Lücken in den Reihen. Und das bei einer Vorstellung, die sängerisch wohl besser ist als viele anderen Berliner Verdi-Abende. Aber Otello ist immer noch der „andere“ Verdi, Kernrepertoire zwar, aber weniger kulinarisch, anstrengender. Was auch für die Regie von Kriegenburg gilt.

Foto: Bettina Stöß


Kritiken und Berichte der Premierenvorstellung 2010: Desdemona, dein schwarzes Haar (Christine Lemke-Matwey), Schlachtplan für die Liebe (Julia Spinola)