So ist das in der Oper. Man muss sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen.
In der Staatsoper Berlin wollte man jetzt offenbar auf Teufel komm raus einen Rigoletto, der niemandem wehtut. Anders ist nicht zu erklären, dass die Wahl auf den Regisseur Bartlett Sher fiel. Bartlett Sher ist berühmt, aber nur in New York. Sher ist in Sachen Inszenierung so etwas wie der gute, alte Hausgeist der New Yorker Metropolitan Opera. So darf man Unter den Linden ab sofort eine gediegene, seltsam diffuse, zutiefst harmlose Mainstream-Inszenierung bewundern. Eine Inszenierung ohne Adrenalin, ohne Pepp und Pfeffer.
Ich beginne mit dem Positiven. Gut gefällt mir die kleinbürgerliche Mehr-Etagen-Wohnung Rigolettos mit piefigen Lampenschirmchen an jeder Ecke. Polsterlehnsessel, Kleiderständer, Drechselmöbel schaffen ein trostloses Einsame-Männer-Ambiente. Kein Wunder, dass Gilda da möglichst schnell raus will. Auch die sinistre, bestürzend normale Absteige Sparafuciles (Bühne Michael Yeargan) überzeugt als realistische Schilderung eines Low-Income-Habitats.
Opernplunder, pathetisch armwedelnd
Wenig Freude bereitet die Pfeilerhalle im Art-Déco-Stil. Sie dient als wenig flexibler Einheitsbühnenraum einer kalten Upper Class. Die Kostüme (Catherine Zuber): Uniformen, die auch noch im 3. Rang nach Opernplunder aussehen. Rigoletto trägt Zylinder, Buckel und Gehstock und sieht aus wie die Wiederkehr des Jack-Nicholson-Jokers aus den Batman-Filmen – so weit zur Frage, wie viel originäre Fantasie diese Inszenierung aufzubringen imstande ist.
Bei Personenregie und Gestenrepertoire herrscht stilistisches Tutti frutti. Pathetisch armwedelnd der Rigoletto von Maltman, schneidend kühl, aber zurückhaltend verliebt der Graf, mit Haut und Haaren verliebtes Jungmädel die Gilda von Frau Sierra.
Ja, natürlich. Bei aller Kritik ist die Alltagstauglichkeit dieser Inszenierung nicht zu unterschätzen. Sie wird Patina ansetzen und als Repertoire-Melkkuh ordentlich Geld einspielen. Aber sollten die Ansprüche der Staatsoper nicht höher sein?

Viel Kritik für die Regie. Und die Sänger?
Nadine Sierra leiht der Gilda ihre lyrisch blühende, intim leuchtende Sopranstimme. Die kann herrlich pulsieren wie in O quanto dolor oder schrecklich verliebt klingen. Der lyrische Ausdruck, die Frische, mit der sie singt, ja die filigrane Ausdruckssüße berühren. Kein Ton der reich timbrierten Stimme klingt gleich. Höhepunkt ist die Arie im 1. Akt, Caro nome, auch wenn die Koloraturen wenig flüssig und spontan und Spitzentöne wie mit Hauch überzogen klingen. Etwas weniger liegen ihr die Rezitative im 3. Akt. Eine feine Interpretation, für die das Kommen allein sich lohnt.
Superlaut, wenig Tonschönheit
Der Herzog von Michael Fabiano, kostümiert im drögen Kordel- und Tressenkostüm, ist ein Draufgänger mit scharfem Tenorklang ohne wirklich feine Mezzavoce und ohne allzu viele Zwischentöne des Schmerzes und der Lust. Im Quartett des dritten Akts (Bella figlia dell‘ amore) ist wenig von ihm zu hören. Szene und Arie Ella mi fu rapita – Parmi veder le lagrime (Sie wurde mir geraubt – Ich meine die Tränen zu sehen) singt er tonschön, doch mit derb geöffneten, maximal brustigen Spitzentönen. Einige Buhs.
Als Rigoletto wurde Christopher Maltman in Wien neulich bejubelt. Ich tue mir schwer mit seinem voluminösen, harten, fast bühnensprengenden Singen. Für Verdi besitzt Maltman meiner Meinung nach wenig Tonschönheit, ist das von viel Vibrato löchrige Legato doch zu rau, ist das Timbre säuerlich, so vokal eindrucksvoll seine Gesangsleistung auch ist. Für seine wütende Invektive gegen die Höflinge (Cortigiani, vil razza dannata) erhält er viel Applaus. Sein Superlaut-Bariton lässt Sierra und Fabiano in den Ensembles kaum Entfaltung.
Ein schmieriger Sparafucile mit weicher, voluminöser Bassstimme ist Jan Martiník, eine kraftvolle, aufregende Mezzo-Maddalena Elena Maximova. Als käufliche, eiskalte Giovanna (im militärisch anmutenden Kostüm) kommt Corinna Scheurle zum Einsatz. Von den Höflingen ist Giorgi Mtschedlischwili ein Monterone mit breiter, etwas flacher Stimme, Adam Kutny ein gefährlicher Marullo in Nazi-fies glänzenden Schaftstiefeln. Andrés Moreno García singt den Borsa, David Oštrek eindrucksvoll den in seiner Wut noch würdevollen Ceprano. Als dessen in glamourösem Gold gewandete Gattin ist die junge, feine Stimme von Serena Sáenz zu hören.
Was bekommt Berlin eigentlich dafür?
Dem nicht unproblematischen Berliner Premierenabend gibt Andrés Orozco-Estrada am Pult Halt. Er wählt für Verdi einen Mittelweg zwischen düsterem Drama und lässigem Italiensound. Der Kolumbianer, der 2017 bei den Berliner Philharmonikern debütierte, hat feines Gespür für das jeweils richtige Tempo. Das wirkt nämlich rhythmisch klar, federnd, biegsam, nie schematisch. Die Staatskapelle darf im schichsalsschweren Vorspiel sinnlich schwelgen. Orozco-Estrada gibt dem Tutti symphonische Wucht, aber er mischt es mit Instinkt ab. Das klingt spontan und doch irgendwie klassisch ausgewogen. Frisch das Tempo zu Possente amor, vielleicht um Fabiano exponierte, lange Spitzentöne zu ersparen. Der dritte Akt kommt mir schwächer vor, sicherlich auch wegen des von Maltman zu Tode gebrüllten Quartetts. Die Ensemble-Tutti fallen generell leicht ab.
Der Staatsopernchor steht von der Regie verlassen wie das Rotkäppchen im Walde, singt aber auch in den rhythmisch heiklen Passagen nicht immer sattelfest.
Dieser diffuse, geschmäcklerische, anbiedernd eklektizistische, dabei erschreckend kopf- und herzlose Sher-Rigoletto stellt eine Koproduktion mit der Met dar. Was bekommt Berlin eigentlich dafür, dass New York uns einen belanglosen Broadway-Regisseur geschickt hat?
Am Schluss Buhs und viel lauwarme Begeisterung.
Foto: Brinkhoff/Mögenburg
Weitere Kritiken und Berichte zur Berliner Rigoletto-Premiere: vokale Körperverletzung (Kai Luehrs-Kaiser), Vergessenswert (Andre Sokolowski). Audiokritik auf Deutschlandradio: Auf das blasse Minimum zurückgeschraubt (Julia Spinola), Deprimierend (Manuel Brug)
Ja, eindeutig, der Tiefpunkt der Saison. Eine Kooperation mit der Met muss nichts schlechtes sein und gegen einen etwas konservativeren Rigoletto wäre nichts einzuwenden gewesen. Ganz im Gegenteil – er hätte einen interessanten Gegensatz zu der gewagten Inszenierung an der Deutschen Oper abgeben können. Dass solche Inszenierungen prinzipiell funktionieren zeigt auch der erfolgreiche Falstaff oder die von Flimm inszenierte Manon Lescaut im Filmbiz. Vermutlich wurde Barlett Sher aber mit Blick auf die zu erwartenden Touristen in Berlin engagiert. Fabiano hatte wahrscheinlch einen schlechten Tag, er singt sonst verlässlicher. Dennoch werde ich im Herbst noch mal gehen, dann mit Garifullina und einem vermutlich viel lyrischeren Francesco Demuro al sHerzog.
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Bin ich froh, dass ich bei der ADFC-Sternfahrt war statt bei dieser Premiere.
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Ich habe angesichts der gespielten Oper auch nicht wirklich mit Ihrer Anwesenheit gerechnet.
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Barenboim verlängert um 5 Jahre – super
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Perfekt ich weiß schon wer sich ärgert Manuel Brug und Vanmagazin, so viel gestänkert und hat doch nichts genutzt
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Ich las, daß Neuenfels im Publikum war. Ne bessre Rigoletto-Inszenierung als die seine habe ich nie gesehn, auch nicht an der Met. Einen bessren Rigoletto als Ingvar Wixell ?? Schwer zu suchen.
Optimale Rigoletto-Besetzung : Olga Peryetatko, Ingvar Wixell, Albrecht Pesendorfer, Ivan Magri.
Noch was hinzuzufügen ?
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Clementine Margaine als Maddalena, nicht zu vergessen. Manchmal gibt es auch große Oper, wenn die Bühne sich nicht dreht.
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Wenn ich ein Kritiker der Neuenfels-Premiere vor 35 Jahren gewesen wäre, so hätte ich geschrieben : was für ein modernistischer Scheißdreck ist das denn, nur Hendricks singt gut, und was zum Teufel sollen die Frösche ? So ändern sich die Zeiten.
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War heute. Sänger gut Orchester gut Inszenierung mager aber nicht total übel. Fabiano hat eine schöne Stimme, singt nur etwas laut und steif aber durchaus mit gefühl – aber verglichen mit anderen Ducas, die man so hört war das schon ziemlich gut. Trotzdem hat er mich kalt gelassen.
Maltman sehr imposant, wusste gar nicht dass der so eine Stimme hat… war schon erstklassig, für Italiener bestimmt gewöhnungsbedürftig. Arg grob sang er schon. Als Giovanni gefiel er mir besser.
Ich habe aber noch nie erlebt dass ich spürte dass ich Rigoletto hassen könnte.
Aber genau so erlebte ich die letzte Szene. Der Rigoletto kam mir während der ganzen Zeit als Comic oder Film-Figur vor und die Inszenierung ließ mich im Ungewissen ob das Absicht oder Zufall ist. Für mich war dieser Rigoletto eine destruktive Figur ein Krimineller und Monster seiner. Tochter gegenüber. Zutiefst unsympathisch wie er voller Selbstmitleid sein Schicksal und den Fluch beklagt
ich dachte bei den letzten Akkorden nur: Sorry du hasts verdient.
Bei der Seichtheit der Inszenierung kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen dass die Inszenierung auf diese Wirkung aus war.
Ziemlich albern die Szene wo Gilda bei Sparafucile erst virtuell anklopft wie um zu sagen „Hallo ich bin die Gilda, gleich komme ich und ihr könnt mich um die Ecke bringen“ und beim zweiten Klopfen klopft sie dann real. Also nee.
Mtchedlichwili mit beeindruckender Präsenz, der sah echt zum Fürchten aus.
Dritter Rang Hörplätze kaum verkauft.
Sehr viel Applaus, am meisten für den Rigoletto, dann Gilda, dann Fabiano. Auch Dirigent mit viel Applaus.
Wenn ich den Bericht oben lese denke ich dass bei der Premiere die Leute viel missgünstiger sind als an den folgenden Abenden.
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Schon klasse wie die Sierra die Partie beherrscht ohne Leerlauf zu produzieren. Das hört man doch selten so.
Die hat eigentlich keine Schwachstellen, oben gut, unten gut, Timbre top, Beweglichkeit top. Die Caro nome Arie geht der Orozco Estrada kurios langsam an, hatte bei den Koloraturen Mitleid mit Sierra aber vielleicht wollte sie es auch so. Mir ist die Arie gegen Schluss zerfallen.
ach ja disparat auch die Charakterisierung der Gilda. Die Schläge die sie bei ihrer Entführung austeilt fand ich witzig aber machten auf mich den Eindruck eines isolierten Regie Einfalls.
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btw…. die wütende Empörung der Presse hab ich nicht ganz verstanden
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hier ist ein Beispiel für eine großartige Sängerin, die gerade 80 Jahr alt wurde :
ich persönlich habe noch nie eine Mimi on stage gesehn, die so singen und fühlen konnte
die ist die erste
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btw… BPO war großartig mit Barenboim.
Sie gar nicht mehr bei Phillies?
so long
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Die Staatsoper und damit Barenboim sind wohl mittlerweile von allen guten Geistern verlassen, sofern da noch welche vorhanden.
Sehe gerade die Anzeige, Staatsoper für alle, und wer das moderiert.
Schlimmer und peinlicher gehts wohl nimmer, was hat da dieser Werbeträger für Hörgeräte zu suchen. Peinlicher gehts nimmer
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