Mit dem Tristan kann ich gut und gerne zufrieden sein. Er vereinigt wohl den derzeit gefragtesten Wagnertenor, eine vokal erstaunlich gewachsene Isolde, prächtige Darsteller für Brangäne, Melot und Kurwenal und einen Marke von großem Format.

Die Protagonisten erledigen ihre Vokalaufgaben gut. Da sind Andreas Schagers Tristan (einfach erfreulich, wie gut es klingt, wenn einer singt, was in den Noten und im Text steht, und die Stimme dazu hat), Anja Kampes Isolde (klar, warmes Individualtimbre, dabei kaum Stahl, aber flirrender Ausdruck in den Spitzentönen) und René Papes Marke (packender Vortrag). Der erste Akt gehört Anja Kampe, der dritte Andreas Schager. Alle drei artikulieren wunderbar deutlich, singen textverständlich, wissen was jede Silbe und jeder Vokal bedeuten. Kräftig und markant, aber etwas wolliger in der Textur als die drei Hauptfiguren der Kurwenal von Boaz Daniel

Schager hat für die schaurig schönen Stellen Ruhe, Kampe für die lyrischen Mut zur Genauigkeit. Beide machen das großartig. Im 3. Akt tippt Schager ein paar Spitzentöne nur an. Was für eine Entwicklung hat Anja Kampes Isolde-Stimme seit der Premiere im Februar 2018 genommen!

Die Inszenierung von Dimitri Tscherniakow meidet wie kaum eine das alte Gestenrepertoire. Nicht ein Auftritt schleppt unguten szenischen Plunder mit. Der 1. Akt grüßt von der öden Offizierslounge eines Schiffs. Der 3. entführt in ein gutes altes russisches Landhaus (Ofen, verschossene Tapete, gigantische Stuckrosette, links der Alkoven). Die Lachanfälle des Liebespaars sagen mehr über die Unmöglichkeit der Liebe aus als jedes Händchenhalten. Entlarvend das zutiefst grausame, suggestive Spiel Tristans mit Isolde im zweiten Akt. Vielleicht ist dies die faszinierendste, verstörendste derzeit in Berlin zu sehende Inszenierung, sicherlich aber die reichste Wagner-Inszenierung. Zusammen mit Julia Spinola (Kritik in der NZZ) war ich der einzige in der ganzen weiten Wagner-Welt, der die Inszenierung von Anfang an gelungen fand.

Tristan und Isolde Staatsoper Berlin

Ein Genuss der gestochen scharf artikulierende Melot von Stephan Rügamer (Das sollst du, Herr, mir sagen). Der Mezzo der Brangäne von Violeta Urmana hat schon Flugrost angesetzt, strahlt aber jederzeit herbe Ammen-Autorität aus. Die Habet Acht!-Rufe werden mit jahrzehntelanger Bühnenerfahrung ausgesungen. Adam Kutny singt den Steuermann. Als Hirt und Seemann lässt Linard Vrielink seine schöne, junge Stimme hören. Auch er hat sich entwickelt.

Daniel Barenboim gibt der bis in jedes Taktviertel doch immer wieder bestürzend klaren Musik das pochende Herz. Die Instrumentenstimmen fügt sich zur Überfülle des polyphonen Geflechts. Interessant, wie die Streicher weich und flexibel klingen, so dass sie kammermusikalisch direkt tönen. Wunderbar, wie die Staatskapelle Berlin den Zusammenhalt wahrt, selbst wenn Barenboim aufeinandertürmt und drängt. Aus den großen Bögen der Musik steigen die unvergänglichen Figuren herauf, man weiß nur nicht, ob aus der Tiefe der Musikgeschichte oder der des eigenen Bewusstseins. Das Orchester singt, bindet alles zu Inhalt. Die Musik ist mehr, als ein Akt fassen kann. Das Orchester klingt hörbar besser als zur Premiere. Finde ich jedenfalls.

Was Tristan angeht, gibt es keinen Dirigenten und kein Orchester, die das besser können (gilt auch für Parsifal).


Kritiken und Berichte der Berliner Tristan-Premiere 2018: Liebe der Zukunft (von mir), Der faule Zauber namens Persönlichkeit (Julia Spinola)

Kritik der aktuellen Vorstellung: Dreist hypnotisiert (Hundert11)