Da ist sie, die vorweihnachtliche Wiederaufnahme von Falstaff in der beherzt zupackenden Regie von Mario Martone, in der das Personal spektakulär im Poolwasser planscht, und weil alles an Falstaff so unwiderstehlich italienisch ist, spielt die Oper auch nicht im englischen Windsor, sondern auf einer Dachterrasse in Rom, Palermo oder Napoli oder vielleicht doch in Berlin.
Die spritzige Handlung um den unbelehrbaren Schwerenöter spult Martone an der Staatsoper Berlin souverän und an der Grenze zum Klamauk, aber stets pointensicher ab, nur das letzte Bild mit Fummel-Frei für alle und allzu pittoresk arrangierter Brutalität passt mehr schlecht als recht zu Verdis allerletztem Meisterwerk.
Besetzung und Sänger sind haargenau dieselben wie zur Premiere. Das ist Kontinuität, die sich auszahlt.
Als gewitzter, in seiner verblendeten Maßlosigkeit durch und durch sympathischer und ziemlich prolliger Frauenheld beherrscht Michael Volle mit gargantueseker Ausdruckslust, gar nicht so üppigem Bäuchlein und vollsaftigem, eher deutsch schallendem als italienisch legatoweichem Bariton die Bühne. In den entscheidenden Momenten schnappt Volle jedoch zu wie eine Schwarze Mamba. Das macht ihm heute kaum keiner nach und niemand vor. Bei solch vokalem Sex-Appeal hilft nur eines, ein Frauen-Trio, das in Sachen Männern die Hosen anhat, aber angesichts solch geballter Ladung von Machismo auch mal schwach werden kann.
Da ist an erster Stelle die resolute, auch vokal lustvoll zupackende Quickly von Daniela Barcellona zu nennen, die es mit zehn Falstaffs aufnehmen könnte, während die ehrsame Bürgersfrau Alice in der Gestalt von Barbara Frittoli mit zartbesaitetem, cremig-pastosem Lyrismus gefällt. Etwas im Schatten steht die kaum einmal eigenständig – Verdi und Librettist Boito wollten es so – zu Wort kommende Meg von Katharina Kammerloher. Den eifersüchtig über Gemahlin und Eheglück der Tochter wachenden Messer Ford verkörpert Alfredo Daza sonor und klangschön. Daza liegt die Rolle ausnehmend gut. Allein schon wegen Fenton (Francesco Demuro) und Nannetta (Nadine Sierra) lohnt das Kommen. Ein so adrettes Frischverliebten-Pärchen muss sich erst einmal finden, er wundersam klangschön bei Stimme, sie mit kostbar funkelndem Timbre und hauchfeiner Höhe. Zumal die beiden das ganz ohne altbackenes Buffa-Turteln spielen. Die beiden ansehnlich versifften Halunken Bardolfo und Pistola (Stephan Rügamer und der seltsam matte Jan Martiník) wollen sich hingegen nicht recht ins flotte Verdi-Parlando der Damen fügen. Bleibt noch der Dr. Cajus von Jürgen Sacher, der erstens, da sacht vertrottelt, und zweitens, da in biederstes Langweiler-Beige gekleidet, bei den Frauen mit Karacho durchfällt. Dafür singt er mit viel Einsatz.

Barenboim am Pult der Staatskapelle Berlin hält die Fäden zusammen, scheut Grellheiten nicht, lässt es krachen und das Orchester auf Flötenfüßen scharwenzeln, aber Barenboim findet auch den Ton für die zarte Lyrik der Nannetta-Fenton-Momente. Wo Verdi Melodien versteckt hat, wo Gedanken nur kurz aufleuchten oder die Musik (fast) beredt schweigt, da reichen auch Barenboims Musikalität, seine Farbfantasie, sein Sinn für Timing hin. Nur die kammermusikalisch feingewebte Struktur dieser commedia lirica bekommt leichte Schlagseite, da hätte sich der emphatisch anstachelnde Barenboim ein bisschen mehr Akkuratesse leisten können.
Foto: Matthias Baus
„…spielt die Oper auch nicht im englischen Windsor, sondern auf einer Dachterrasse in Rom, Palermo oder Napoli.“ Dann fährt also Quickly mit dem Motorrad nach Kreuzberg/Friedrichshain um Falstaff und Kumpanen vor der Panoramabar heimzusuchen? Erstaunlich, dass die Inszenierung dermaßen schwach und undeutlich gearbeitet ist, dass nicht einmal einem geübten Operngänger auffällt, dass Martone das Stück in Berlin ansiedelt. Ein schlimmer Abend.
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Das hat mir ein Freund auch gerade geschildert. Volle ist kein Falstaff, die anderen Sänger beurteilt er auch wie Schlatz.
Allerdings ist er in der Pause gegangen, saß 14. Reihe, er hatte Angst um sein Gehör, bei der Dampferkapelle
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Aber insgesamt schon eine astreine Besetzung
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Interessanterweise haben wir in der Pause diskutiert, wo genau die Inszenierung spielt. Beim letzten Bild ist mir das Tacheles eingefallen, die beiden Polizisten mit Berliner Wappen zeigen auch in diese Richtung. Auf Panoramabar sind wir nicht gekommen, ist auch nicht ganz unser Milieu. Die Sänger sind bärenstark, super überzeugend und am besten eindeutig Volle mit einer voll und ganz überzeugenden Vorstellung, nicht zu vergessen Alfredo Daza in einer seiner besten Rollen.
Ein Bekannter fragte sich, warum die Übertitel nicht zusätzlich in der Originalsprache anzeigt werden, zumindest bei bekannten Opern wie Traviata, Carmen. Stimmt eigentlich. In der Komischen Oper kann man allerdings zwischen fünf Sprachen wählen.
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Ich sah heute die Produktion zum zweiten Mal und bin nach wie vor begeistert. Da auch Sänger und Orchester in sehr guter Verfassung waren, war es ein in jeder Beziehung mitreißender Abend. Die Nannetta von Nadine Sierra war ein himmlisches Vergnügen, die mit ihrer unverwechselbaren Stimme unheimlich anrührend sang. Außerdem sieht sie noch umwerfend aus. Die Krone des Abends gebührt aber ohne Zweifel Michael Volle, für den der Falstaff die einzige Verdi-Partie überhaupt ist. Daumen hoch für so viel Persönlichkeit, für diese Präsenz auf der Bühne und was für eine Stimme. Ein kaum zu überbietendes Rollenporträt! Wir können dankbar sein, dass Volle in Berlin wohnt und regelmäßig an den Berliner Häusern singt. Daniel Barenboim stellte wieder unter Beweis, dass es kaum einen wie ihn gibt. So viel Saft und Kraft, Leidenschaft und Gefühl sind in diesem Orchester vorhanden. Chapeau!
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Sierra zeigte schönes Bein wie in der Premier‘, und Volle ist ein Falstaff. der jetzt nicht mehr nach Holländer klang, sondern auch das „quand‘ ero Paggio“ perfekt hinbrachte. Wen gibts noch, der das so darstellen kann ? Ich habe Berry, van Dam, Raimondi, Terfel, Weikl und Maestri in der Rolle gesehn, und Volle ist in der ersten Reihe. Da gibt es kein „besser“ oder „schlechter“ mehr, sondern nur noch „anders“.
Die Schlußfuge war schneller als beim ersten Mal, kein Experiment mehr, sondern mit (Selbst)vertrauen dirigiert und gelungen. Und, wenn ich etwas kritisches sagen darf, Herr Barenboim, die Hörner im letzten Bild manchmal etwas zu laut. Daß das Hornsolo im BER-Tower wie ein Jagdhorn klingt, ist offenbar beabsichtigt.
Und der Pistola bräuchte eigentlich einen richtig derben, kräftigen Baß, aber man kann ja nicht alles auf einmal perfekt hinkriegen, Mesner, Doktor Grenvil oder Sarastro. Abbado lud für die Rolle noch einen Gast ein.
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Das meinen Sie nicht ernst, dass Volle Quand’ero paggio perfekt sang? Meiner Meinung war dies fast das einzige von Volle, was danebenging.
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Nicht am 21. Dezember. In der Premiere, ja, aber jetzt nicht. Jeder muß mal üben.
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Vielleicht gilt einfach nur die Frage : „il cornuto, chi e, chi e ? vi siete fatto muto ?“
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Hier ist noch ’ne Oper, die schon seit bestimmt 20 Jahren nicht in Berlin aufgeführt wurde. Gesungen von einem Tenor, den Ulrich Harbott als einen beschrieb „der noch singen und phrasieren kann“ :
Nur Peter Seiffert konnte es ähnlich, aber nicht ganz so gut, weil ihm das tschechische fehlte.
Tun wir uns alle zusammen, um dieses Wunder an Emotion, das laut operabase nur in Deutschland und an allen Dorftheatern der Tschechei aufgeführt wird, hier zu beleben ?
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Kommt am 6. Januar als Livestream aus der Bayerischen Staatsoper.
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Peter Dvorsky nicht zu vergessen. Zusammen mit der besten Marenka aller Zeiten, Gabriela Benackova. Hier die Werbung :
Natürlich ist tschechich ein seltsames Gefühl. Aber richtig, wenn man genauer drüber nachdenkt.
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Wer könnte im Augenblick einen besseren Ford singen als Alfredo Daza ? Michael Volle, zum Beispiel. Aber sicher nicht Astor Piazzola.
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Der kann nur Germont. Oder Rodrigo. Oder sonstwieso Schwächlinge.
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der als Ford ??
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Ideale kann man sich auf alten Cappuccilli-CDs als Zugabe anhören
aber nicht als Hauptstück
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dorthin führt es, wenn keiner die Oper mehr versteht :
au weia
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Eigentlich fehlt mir nur noch ein Dirigent mit dem Falstaff, und das ist Thielemann. Wahrscheinlich werde ich ihn erst sehn, wenn er Nachfolger von Barenboim an der Lindenoper geworden ist und sich das zutraut. Wäre interessant zu sehn, ob er das besser kann als den Otello.
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Thielemann an der Staatsoper??
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Au j, wenn der dann loslegt, sind den Besuchern vorher die Ohren weggeflogen und die Bude bricht zusammen, wenn er nicht vorher mit seinen Intrigen alles beendet hat
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Ich kenne keine jüngere Berliner Inszenierung, in der das Publikum so viel lacht. Ich saß in der Vorstellung am ersten Feiertag im 2. Rang. Gelacht wurde in gleichen Teilen etwa über den Text von Boito, über die Einfälle der Inszenierung und über den Falstaff von Volle. Bloß als Volle in Bild 1 von Akt III ins Hemd sieht um zu kontrollieren ob er wirklich so dick ist wurde am 25. nicht ganz so laut gelacht wie sonst.
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Dann haben Sie wahrscheinlich die Reise nach Reims im Juni in der DO wohl nicht erlebt. Ich war vier mal drin, und jedes Mal Gelächter.
Aber Aufführungen zu Weihnachten in der Oper sind eh immer so ein Ding. Eigentlich ein Grausen, denke nur an das Verhalten vieler in der Nabucco Aufführung. In der Staatsoper ist es mit Touris ja noch schlimmer, man muss ja etwas zum Angeben haben, wo man war
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Nur Flughafenbauer sind schlimmer…
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Deshalb haben sie den Falstaff auch über die Weihnacht angesetzt. Sonst ist er nämlich niemals ausverkauft.
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