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Schnell noch in Die Sache Makropulos, diesen tiefsinnig-spröden Operntrüffel im Raritätenrepertoire der Musiktheaterbühnen. Denn die Oper wird abgesetzt. Schade eigentlich. Ist die Story um die 338 Jahre alte, ewig junge Opernsängerin Emilia Marty nicht Janáčeks beste Oper? David Hermanns Inszenierung widersteht der Versuchung, ein morbides Gespenster-Prag zu zeigen, das sich ans sogenannte „Kafkaeske“ anbiedert.

Angenehm das luftige, flexibel wandelbare Saalgeviert, das von Treppenläufen und Zugängen verschiedenster Art umgeben ist (Bühne: Christof Hetzer). Ein Rohrkrepierer ist allerdings die Idee, die Marty mittels ihrer die Jahrhunderte überbrückenden Zweit-Identitäten simultan zu vervielfachen: Ditt is eindeutig zu brav, zu gewollt. Während des großartigen Monologs der sterbenden, nun doch nicht unsterblichen Diva lenkt das Quintett aus zappelnden Marty-Klonen sogar nervig-störend ab.

Die Sache Makropulos Evelyn Herlitzius Deutsche Oper Berlin

Wie zur Premiere liegt die Titelrolle der Emilia Marty in den Sopranhänden von Evelyn Herlitzius. Die war vor sieben, acht Jahren die berührendste, menschlichste, umwerfendste Walküren-Brünnhilde weit und breit und spielt und singt die unnahbare Marty nun als tragische Untote – und eben nicht als herzlosen Engel, der aus der Kälte der Geschichte kam. Herlitzius‘ Präsenz ist enorm, sowohl vokal als bühnenmäßig (nicht ganz glücklich allerdings die esoterisch durchhauchte, burgundrote Gewandung und Haartracht). Die Stimme lodert in der hohen Lage nach wie vor mit intensiver Energiekonzentration. Unüberhörbar indes sind auch die säuerlichen Spritzer Sopran-Essig. Beeindruckend allerdings die nach wie vor flinke Attacke, meisterhaft, wie Herlitzius Leid und Tragik dieser unheimlichsten Frauenfigur der 1920er-Opernjahre vergegenwärtigt. Typisch ist Herlitzius‘ hypnotische Mimik, schön die verinnerlichte, wenn auch inzwischen farblosere Mittellage. Insgesamt eine machtvolle Interpretation.

Der Albert Gregor von Aleš Briscein gefällt mit sehnigem Tenor, der mit leichtem Überdruck geführt wird. Den Anwalt Kolenaty stellt der bestens disponierte Seth Carico dar. Im Pierrot-Kostüm singt Clemens Bieber den Hauk-Šendorf, einen der Verflossenen aus der großen Zahl von Martys Liebhabern. Die aufstrebende Sängerin Krista singt Jana Kurucová mit frischem, leuchtendem Mezzosopran. Schön, dass mit Briscein und Kurucová wenigstens zwei Sänger aus der ehemaligen Tschechoslowakei singen. Ein drohend energischer Jaroslav Prus ist Philipp Jekal. Den Janek, Prus‘ liebeskranken, der Faszination Marty vollständig erliegenden Schlappschwanz-Sohn, verkörpert Gideon Poppe. Vitek, der Mitarbeiter Kolenatys, ist bei Paul Kaufmann in guten Händen. Maiju Vaahtoluoto und Flurina Stucki bilden als Putzfrau und Zofe ein komödiantisch akzentuiertes Damenduo, und als Theatermaschinist ist Andrew Harris zu hören.

Die Partitur ist vielleicht eine der stärksten der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Sie entfaltet einen unwiderstehlichen Sog. Schon die Ouvertüre wird effektvoll von Bühnenfanfaren zerrissen, um die sich die nadelstichartigen Ostinati der Holzbläser gruppieren. Typisch Janáček dann auch die drängend sehnsüchtigen Hornrufe. Überhaupt sorgt die stupende Atemlosigkeit der sprachähnlichen Phrasen und sprachmelodischen Motive, die sich splittrig übereinandertürmen, für ständige Hochspannung. Und doch kann das Orchester auch pantheistisch jubeln. Denn in Janáček, dem ruppigen und unwirschen Mähren, schlug ein weiches, heißes Herz. Vor dem gut aufgelegten Orchester der Deutschen Oper Berlin steht Marko Letonja, der heuer für ein Gleichgewicht aus Struktur und Sentiment einsteht, das Feuer bei Janáček nie ausgehen lässt und die beredsame Biegsamkeit der Musik gebührend ausstellt. Das hat Pfiff und Biss. Letonja lässt dabei auch innige Augenblicke zu. Nur in punkto Trennschärfe werden nicht alle Wünsche erfüllt.

Premiere war 2016. Nach gerade einmal acht Vorstellungen soll jetzt Schluss sein. Das Programmheft ist nicht wirklich interessant. Liest jemand die schlauen Texte von Beckett, Canetti, Péter Nádas? Mich hätte zum Beispiel der Bericht eines soliden Brünner Journalisten zur Uraufführung 1926 oder eines soliden deutschen Zeitungsmannes zur deutschen Erstaufführung 1929 in Frankfurt interessiert.

Foto: Bernd Uhlig


Weitere Kritiken: die Premierenkritiken von Volker Blech (Morgenpost) und von Ulrich Amling (Tagesspiegel)