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Wiederaufnahme von Cendrillon, Massenets quirliger Aschenputtel-Oper von 1899 – und Wiedergutmachung an Jules Massenet, den in Deutschland immer noch sträflich vernachlässigten Opernmagier der Belle Époque. Die Geschichte vom armen Aschenputtel hüllt Massenet in zärtliche, sinnliche, wunderbar glitzernde Musik, was Regisseur Damiano Michieletto aber nicht davon abhält, den Märchen-Stoff in einer schmuddligen Ballettschule mit viel VHS-Charme abzuspulen.

Dort liegt nämlich Lucette alias Cendrillon, vor kurzem noch eine hoffungsvolle Nachwuchs-Balleteuse, mit kaputtem Bein und zerbrochenen Träumen im Krankenbett. So ein Pech! Denn alle übrigen Ballettschüler fiebern dem Tanz-Casting entgegen. Allerdings sind die eine eher amateurhafte, wenn auch rührend ambitionierte Gurkentruppe. Toll, wie einzelne bitterböse Regie-Einsprengsel verstören, so des Königs brutaler Tritt gegen die am Boden liegende Lucette. Das Ballett als Spiegel bitterbösen Lebens, das scheint angesichts aktueller MeToo-Vorwürfe in der gar nicht so idyllischen Ballettwelt nicht zu weit hergeholt. Prinz und Aschenputtel sind schlussendlich so genervt von dem ganzen Trubel, dass sie der schnöden Tanzwelt Ade sagen.

Cendrillon Komische Oper 2018

So ganz geht Michielettos Kniff zwar nicht auf. Etwas vordergründig wirkt die ganze Geschichte am Ende doch, wegen gewisser Nähe zum TV-Rührstück. Aber es reicht dicke für einen kurzweiligen Opernabend, in dem Michieletto souverän Herzschmerz und Satire mischt.

Die Sänger erfreuen durchweg, allen voran Nadja Mchantaf als unglückliche Cendrillon, deren Schicksal sich so wunderbar wendet. Mchantaf zeichnet Lucette als patentes, todunglückliches Mädl, das dennoch lodernde Träume hat. Der schwer melancholische Prinz (Karolina Gumos, reiche Stimme, die beste des Abends) überzeugt in der Hosenrolle als hagere, eckige Jünglings-/Frauengestalt. Die Fee profitiert von Nora Friedrichs‘ federleichtem Höhensopran. Als böse Stiefmutter und großmächtige Schreckschraube plustert sich Doris Lamprecht (Madame de la Haltière) zu einer feinen Charakterstudie auf. Deren Töchter Noémie (Mirka Wagner) und Dorothée (Marta Mika, Casting-Nummern 79 und 80) glänzen als dralle Giftspritzen. Nur Werner van Mechelen (der Mann singt Wagners Alberich in Hamburg und Berlin) als Hausmeister Pandolfe ist eine Fehlbesetzung, zu machtvoll ist die Stimme, zu holprig das Französisch, zu uncharmant die Gesanglinie. Als König gibt es Carsten Sabrowski zu hören, köstlich das trottelige Preisrichter-Dreigestirn aus Doyen (Christoph Späth), Premier (Philipp Meierhöfer) und schnöseligem Superintendenten (Samuli Taskinen, mit Superdoofen-Brille und öligem Seitenscheitel). Als alte Fee treibt Evelyn Gundlach ihr Sternenstaub werfendes Unwesen. Die Bühnenhandlung wird sogar balletös gewürzt, und Komische-Oper-Chef Ainārs Rubiķis holt aus dem motivierten Orchester genügend Prickeln und melodische Finesse heraus, um Massenet gebührend glänzen zu lassen. Auch das quirlige, festliche Vorspiel sitzt. Den duftigen Charme und den feinen Esprit solcher Musik, die auf weichen Fin-de-Siècle-Pfoten daherkommt, hört man hierzulande einfach zu selten.

Foto: Monika Rittershaus


Weitere Kritiken: die 2016 erschienene Premierenkritik im Tagesspiegel.