Jürgen Flimm konnte ganz schön lustige Sachen inszenieren. Doch Flimms temporeicher, amüsanter Figaro, in dem jeder mit jedem flirtet, ist nur vordergründig vordergründig. Hinter Pleiten-Kurzweil und Pannen-Leichtigkeit tut sich eine Ernsthaftigkeit auf, die etwa in der Schwermut der Gräfin oder in Figaros bedrohlicher Aggressivität ihr Recht fordert. Vordergründig eine Sommerfrischenposse mit extra viel spritziger Buffa-Turbulenz, erweist sich Le Nozze di Figaro an der Staatsoper Berlin als traurig eingefärbtes Menschen-Theater, bei dem es viel zu lachen gibt. Dass der transzendente vierte Akt bei Flimms Vorliebe für sich verselbständigende Buffamotorik schwächer ist, verwundert allerdings kaum.
Vom Premieren-Ensemble singen noch Graf, Gräfin, Figaro und – sofern nicht krank – Susanna sowie die meisten Nebenrollen.
Der prachtvoll volltönende Bariton Ildebrando D’Arcangelo ist als tollpatschiger Conte colossale mit Schmalzlocke kaum zu toppen, agiert stimmlich wie darstellerisch glänzend. Hinter dem szenischem Klamauk-Feuerwerk, das der Italiener zündet, steckt ein Schwerenöter aus Passion, dessen Libido das Frauen-Trio um die Contessa nur mühevoll bändigen kann. Vokal extrem beweglich und durchschlagend, ist es zugleich der Triumph des Sängerschauspielers. Seine so liebesbedürftige Gattin ist bei Dorothea Röschmann (stets mit keckem, schiefem Hütchen mit Feder) in besten Sopranistinnen-Händen. Die wissende Röschmann lässt ihre mit Liebesfrust unterfütterte Stimme guttural vibrieren, der betörende Piano-Schimmer ist noch da. Sie bringt das Kunststück fertig, als Contessa sanft am Liebes-Aus zu leiden und gleichzeitig das Glücksgegluckse reifer Frauen perfekt hinzubekommen. Leidenschaftliche Mozart-Plädoyers sind die Rezitative ebenso wie ihre beiden Arien, die kurze Cavatina Porgi Amor und die zweiteilige Arie Dove sono (wie stets bei Röschmann gefährdet: die Spitzentöne, heuer die As).
Als Susanna ist heute nicht die erkrankte Anna Prohaska (vor zwei Jahren mit kostbar timbriertem und vibratolos androgynem Sopran ) zu hören, sondern die klangreich und frisch tönende Evelin Novak. Hüpft Prohaska als rotbeschopfte Augenweide im strandweißen Sommerkleidchen über die Bühne, so wirkt Novak geerdeter. Novak ist ernster und auch beim Intrigenspinnen stets ein bisserl besorgt, ob das alles klappt mit den Intrigen. Prohaska singt Deh vieni non tardar im 4. Akt als faszinierend manierierte Kunstmusik. Prohaskas Botschaft: Die Liebe? Ditt is schwierig. Novaks Botschaft: Die Liebe? Das höchste der Gefühle! Susannas Liebster heißt bekanntlich Figaro, und den zeichnet Lauri Vasar als anstelligen Verlobten und raubeinigen Protorevolutionär zugleich. Vokal brilliert Vasar (in gestreifter Knickebockerhose und mit Erich-Mühsam-Brille) als leichtfüßiger Kammerdiener, der ebenso gut für’s Grobe wie für’s Zärtliche ist. Den wieselflinken Cherubino singt Emily D’Angelo mit kühl-klarem und überaus beweglichem Mezzosopran und spielt dazu erfrischend fesch.
Bleiben nachzutragen die Nebenrollen. Die zickige Marcellina singt Corinna Scheurle (für die erkrankte Katharina Kammerloher). Als Bartolo frohlockt Otto Katzameier in der perfiden Rachearie im 1. Akt. Das bonbonbunte und zappelige Kammerkätzchen Barbarina gibt Sónia Grané (stimmlich hätte ich sie mir ruhiger gewünscht). Der Musiklehrer Basilio mit Hut ist Linard Vrielink, den mit draller Dienstfertigkeit glänzenden Richter Don Curzio singt Peter Maus und den servil polternden Gärtner Antonio Olaf Bär.
Die Akte 1 und 2 sowie 3 und 4 folgen einander ohne Pause. Außer Basilios Arie In quegli anni in cui val poco wird keine Nummer ausgelassen.
Das Orchester folgt Alessandro De Marchi willig, Klangbild und Duktus sind härter als unter Heras-Casado vor zwei Jahren – und wohl auch trockener und gedrungener. Deshalb kommt die Buffa-Kurzweil, die die Staatskapelle auffährt, auch widerborstiger daher. Das klingt temperamentvoll, wenn auch nicht immer gefühlvoll. Das Tempo ist rasch, der Puls unruhig. Zwischen harschen Einwürfen, die wie Kugelblitze dreinfahren, flitzen reaktionsschnelle, aber auch bisweilen strohig klingende – und vibratolose! – Streicher daher. Vor zwei Jahren trug Heras-Casado die Sänger locker-leicht auf Piano-Händen. Heute klingt De Marchi historisch-vibratolos. Aber bei den beiden großen Finales biegt De Marchi jeweils wunderbar vorwärts drängend auf die Mozart-Zielgerade ein.
Viel Applaus.
Foto: Clärchen und Matthias Baus
Da muss ja Fr. Röschmann sowohl mit Stimme als auch mit der Gestaltung in einen Jungbrunnen gefallen sein. Die drei Male die ich sie in den letzten zwei Jahren gehört habe, waren stimmlich eine Qual und die Gestaltung sehr altjüngferlich..
Warum nicht Fausts Verdammnis besucht wird, die es leider nur noch zwei mal gibt und dann ist Schluss, verstehe ich auch nicht
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Ich habe schrecke vor Fausts Verdammnis derzeit noch zurück wegen der zwei Absagen.
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Im Augenblick ist Runnicles noch angekündigt, aber der Ersatz war wirklich gut. Der Tenor auch gut, bin immer gespannt auf Nachwuchs War eigentlich so, das ich ihn mir, wenn bei mir gesundheitlich nichts dazwischenkommt, am Samstag nochmal. Er wurde auch angekündigt, das es nicht sicher war, ob er abends singen konnte. Endlich auch ein Mephisto, den man hörte im Gegensatz zu Youn, und Roberts sowieso
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Großes Stühlerücken beim Troubadour: Sulimsky für Gagnidze, La Colla für Sartori. Sulimsky ist immerhin als Jago in Wien angesetzt. Sartori wäre gerade als Manrico gut gewesen. Bei La Colla weiß ich nicht recht, sein Rollendebüt in London soll gut gewesen sein.
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Sartori in dieser bescheuerten Inszenierung und den bekloppten Kostümen müsste allerliebst ausgesehen habe
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Die Inszenierung geht ohne wirklich umzuhauen.
Beim ersten Mal faszinierend, beim dritten Mal albern
Kam mir so vor als wär die Handschrift des Regisseurs wichtiger als das Stück aber ist ja öfters so…
Mal sehen was die Wiederaufnahme bringt – diese junge Kim dirigiert
Fand Stölzls Parsifal an DO übrigens besser aber Rienzi schlechter
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Parsifal ist eh nicht meine Oper, und die Inszenierung fand ich auch völlig daneben. Der Rienzi gefällt mir, freue mich auch schon drauf.
Den Troubador schenke ich mir auch, da die Staatsoper eh nicht mein Lieblingsort ist. Die beiden Damen würden mich schon reizen, nach denen vorige Saison an der DO, aber bei der Akkustik dort, befürchte ich, das es mit den beiden sehr laut wird
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Rienzi im April ist bei mir fest eingeplant, Rienzi hab ich noch nie gehört. Schade nur, dass Runnicles nicht dirigiert. Ich glaube Rienzi würde er ausgezeichnet machen.
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Denn wird es aber Zeit mit dem Rienzi….. wenn ich mich nicht irre, macht der Rogister das sehr gut, hatte ihn schon mal, wenn ich mich nicht irre. Der Einzige, vor dem mir etwas graust, ist der Torsten Kerl…
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