Medea schreit, Medea wütet, Medea zetert. Medea schreit ihren Schmerz heraus. Aber in der Oper wird natürlich gesungen, nicht geschrien. Arien und Ensembles bändigen den archaischen Ausdruck zu kunstvollem Furor, zumal in Luigi Cherubinis klassizistischer Version. Die stammt von 1797, ist aber bei weitem nicht die Ur-Medea, jedoch, auch dank Maria Callas, die bekannteste Version. Nun lädt die Staatsoper Berlin zum Medea-Experiment. Das furiose Antikendrama um die verstoßene Zauberin aus Kolchis inszeniert Andrea Breth. Die Neuinszenierung ist glänzend besetzt, aber Breth verordnet strenge Diät. Das Ergebnis ist zwiespältig. Zwar zeigt die Drehbühne eine moderne Lagerhalle mit Lüftungskanälen, Industrierolltor und rostig versifftem Außenklimagerät
(Bühne: Martin Zehetgruber). Medea wütet in einem Gewerbegebiet irgendwo zwischen Piräus und Korinth. Da stapelt sich eine öde Kistenlandschaft. Weit und breit keine Spur von lieblich blauer Ägäis. Macht Breth da etwa einfach nur schnödes Regietheater? Nein, weit gefehlt.
Andrea Breth rät zur Medea-Diät
Breth geht ihren Cherubini kühl und klassisch an. Kleiden tut man sich in zeitloser Moderne, ausgenommen ist nur die Migrantin Medea, die in einer unkleidsamen Gewandgardine steckt (Kostüme: Carla Teti). Mit einem zu Otello-Bühnenbraun abgedunkelten Teint, mit Flechtsträhnchen und magischen Stirnzeichen wirkt sie wie ein Fremdkörper in einer merkwürdig saftlosen Gegenwart. Als wütende Furie tigert Medea (Sonya Yoncheva) gesenkten Kopfs wie ein schnaubender Stier über die Bühne. Das Weiße ihrer verdrehten Augen sieht man noch im Rang. Was angesichts der Musik von Cherubini, die stets eine unsichtbare Geschmacksgrenze wahrt, auf Dauer doch etwas pathossatt wirkt. Medea als ruheloser Zirkustiger.
Allerdings kann Sonya Yoncheva auf ihre Ausdruckskraft und Präsenz vertrauen. Und fährt dann noch, ganz die rachespeiende Mama, beeindruckend schweres Soprangeschütz auf. Ihre Stimme ist tragfähig, transportiert souverän Klang und Wort. Ihr Sopran hat nochmal an Kraft und dramatischer Tiefe zugelegt. Ich höre allerdings auch, dass dem Piano Wärme fehlt, wie auch die Textdeutung nicht Sonya Yonchevas Stärke ist. Besonders die Sopranspitzen sind nur noch Klang und kaum kongenial illuminierte Wort-Ton-Phrasen. Wer wie Yoncheva eine solche Sopranwuchtbrumme sein eigen nennt, verliert eben auch manchmal das Gefühl für Gestaltungsdetails. Jason, der sie verstößt, (Charles Castronovo) ist ein unsympathischer Schnösel in fliedrigfarbenem Anzug, der mit dem Dienstpersonal knutscht. Castronovos nobel vibrierender Tenor indes ist zu markantem, attraktiv kehligem Schönklang gereift. Besonders die Mittellage blüht betörend auf und ist von männlich-verschattetem Timbre.
Die Stimme in der Brokatrobe
Die Dircé der Elsa Dreisig steckt als Nebenbuhlerin in beinah ebenso großen Nöten wie Medea. Von den Dienerinnen wird sie getriezt, vom Vater als nettes Dummchen unter Wert verkauft, und über ihrem Blondhaar dräut der Racheschatten Medeas. Der frische Perlschimmer von Dreisigs Stimme freilich glitzert wie die Brokatrobe, die ihr übergestülpt wird. Marina Prudenskaya reicht ihre Néris als packend angeschärfte Mezzo-Studie. Der Créon von Iain Paterson ist ein trister Pantoffelheld, der aber, wenn es um die Verwandtenwurst geht, gnadenlos patriarchalisch agiert. Vokal indes ist er ein seriöser, respektheischender Vater mit Bassreserven. Beim Französischen ist Frau Dreisig natürlich unschlagbar, aber auch Castronovo zieht sich ordentlich aus der Affäre, was man von der Bulgarin Yoncheva nur bedingt und vom Schotten Paterson schon gar nicht sagen kann.
Die beiden Begleiterinnen der Dircé, Sarah Aristidou und Corinna Scheurle, singen sich klangglitzernd durch die Eingangsszene, während der Staatsopernchor, der Staub von dreitausend Theaterjahren im Haar trägt, sich darauf beschränkt, mitfühlend göttlichen Beistand zu erflehen und Handlungsempfehlungen auszusprechen.
Cherubinis Meisterwerk ist in Würde gealtert. Es ist klar und kühn, aber auch gefangen zwischen strenger Form und dem hohen Pathos von Musik und Libretto. Insbesondere die Sprechstellen werden zum Stolperstein. Sie führen zu nervigem Stop-and-Go (Musik, Dialog, Musik, Dialog). Das lässt den dramatischen Fluss stocken. Mitreißende Finali und zündende Ensembles wie bei Rossini gibt’s nicht. Das ficht Barenboim und die Staatskapelle Berlin nicht an. Zusammen sorgen sie für die warmtemperierte Orchestergrundlage und servieren die Ouvertüre mit Biss, die Arien mit Emphase, und füttern darüberhinaus Cherubinis Musik mit dunkel glühendem Gefühl. Hier wird dramatische Spannung aufgebaut, da lässt man die Tempozügel schmiegsam schleifen. Ein Genuss.
Fazit: musikalisch ein gelungener, inszenatorisch ein spröder, aber keinesfalls uninteressanter, sängerisch ein fast makelloser Abend.
Foto: Bernd Uhlig
Weitere Premierenkritiken: Maria Ossowski (RBB) prohpezeit vielleicht etwas zu kühn den Hit der Saison. Herr Hansen (Tagesspiegel) hält Yoncheva für eine Fehlbesetzung. Und Herr Luehrs-Kaiser nörgelt etwas lustlos herum, auch wenn er in der Sache meist richtig liegt (Kulturradio).
Da ist alles zusammen was man sich an Sängern wünschen kann!
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Beschämend wie 50 Prominente den ganzen Saal 10 Min warten lassen.
Vielleicht sollte man doch den Spitzensteuersatz mal wieder anheben bei dieser Bagage? Richtig wie Barenboim sich genervt umdreht !
Die Sänger ein Traum. Sehe es auch so dass Castronovo hervorragend war. Yoncheva überraschend stark. Dachte immer Norma wäre mindestens zwei Stufen zu hoch für sie. Seit gestern denke ich das nicht mehr.
Bei Breth weiß ich nicht so recht
Wahrscheinlich eine ihrer schwächeren Arbeiten trotz guter Ansätze
Mir kam diese Lagerhalle doch zu willkürlich vor, die Bühne drehte sich zu oft etc etc
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Geht mir auch so. Bei Breth weiß ich auch noch nicht so recht, 24 Stunden nach der Premiere. Gleiches bei Yoncheva. Die Stimme ist eher was für Yolanta. Als Traviata war sie vor 3 Jahren schlicht großartig. Aber bei Cherubini? Da gibt es derzeit bestimmt 30 Sängerinnen, die Médée befriedigender singen würden. Es fehlt ihr das Gefühl, Leidenschaft durch Farben auszudrücken. Als Norma soll sie ja auch Licht und Schatten gehabt haben. Ich geh wohl nochmal rein, Yoncheva lohnt ja trotzedem, die Besetzung ist schon klasse, fast Wiener oder Münchner Verhältnisse hier.
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Mir sagte Andrea Breths Deutung des Medea Stoffes zu. Ruhig und besonnen zeigt sie was wichtig ist und lässt weg was unwichtig ist. Medea ist ein würdiger Nachfolger von ihrem denkwürdigen Wozzeck. Ja und ja, Sonja Yoncheva ist eine der besten, was man von den anderen hervorragenden Sängern ohne Abstrich auch behaupten kann. Die Buhs fand ich ungerechtfertigt, sind bei einer Premiere aber durchaus als Qualitätsbeweis zu werten. Einfach beeindruckend wie Breth und Barenboim den Staub von Cherubini wegpusten.
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Liest sich, als wär man dabei. Bin doch jetzt sehr gespannt und sängerisch voller Vorfreude, geh am Freitag zur 2. Vorstellung.
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Sorry, ich fand die Oper über weite Strecken langweilig. Von Verdi ist man Feuer und Leidenschaft gewöhnt, davon hatte diese angebliche so wichtige Oper ziemlich wenig. Dazu lange Szenen, wenig Drama, die Konzentratrion auf eine Hauptperson, ich könnte noch tausend Dinge aufzählen. Mir hat es nicht gefallen.
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Ich habe das Ding jetzt zwei Mal gehört und bin nach wie vor weder von der Inszenierung noch vom Stück selbst überzeugt. Bei der Medea ist mir unklar, ob die versöhnlichen Töne, die sie anschlägt, etwa wenn sie Créon anfleht, echt sind oder ob Kalkül. Das Gleiche bei Jason: Zu Beginn knutscht er mit einer der Mägde ist später aber ein besorgter Familienvater und Medea gegenüber recht freundlich. Da lässt mich die Regie allein. Das Schlimmste aber: Ich fühle nicht mit Medea. Für mich ist sie eine keifende Unruhestifterin, die die unschuldige Dircé in den Tod schickt, die ja nun wirklich nichts für die ganze Tragödie kann. Die Oper als ganzes ist flügellahm. Entweder die Arien sind lyrisch und ruhig oder erregt und leidenschaftlich, dann aber immer mit Geigentremolo. Dazwischen gibt es nichts. Das ist auf Dauer öde. Keine Ahnung, was der Regisseurin anzulasten ist und was dem Stück, das vermutlich noch gekürzt wurde. Medea wie ein außer Kontrolle geratenen Teenager auf dem Schulhof erscheinen zu lassen, empfand ich auch nicht als geglückt.
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Mir ging es ähnlich. Ich habe Médée nun zwei Mal gehört und habe auch beim zweiten mal Probleme mit dem Stück, mit der Inszenierung und auch mit Yoncheva gehabt.
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