Mark Padmore singt im Kammermusiksaal Schumann, Wigglesworth und Janáček. Padmore wird begleitet von Ryan Wigglesworth und unterstützt von der Mezzosopranistin Allison Cook.

In den Ton Padmores muss man sich hineinfinden.
In Schumanns Liederkreis op. 39 führt allein schon die helle, knabenhaft-schmale Tenorstimme zu einer ungewöhnlichen Interpretation. Padmores Klang ist unsinnlich, spröde, auch kehlig. Kaum je hört man die mit Vollkraft ausgesungene Bruststimme. Das bedeutet zugleich eine (selbstverordnete) Ausdrucksbeschränkung. Dazu kommt der Vortragsstil des Londoners, Engländers und Briten.
Silbe und Wort werden unter dem Mikroskop des sezierenden Interpreten zerlegt wie das geschlachtete Rind von der Hand des Fleischers. Hinzu kommen Eigentümlichkeiten des gebürtigen Engländers: (zu) helle „e“s und „i“s – die Stimme ist sehr hoch timbriert -, (zu) stark betonte nicht bedeutungstragende Silben. Das mindert den natürlichen Fluss, schafft erst einmal Distanz zur heimeligen Eichendorff-Romantik und führt zur Absage an unmittelbare, subjektive Innerlichkeit. Man hört’s auch. Mondnacht (Es war, als hätt‘ der Himmel) zählt zu den Inkunablen deutscher Innerlichkeitspoesie. Bei Padmore erklingt Mondnacht so, als wär der Sänger ein Bach’scher Evangelist und objektiver Erläuterer eines nur abstrakten romantischen Lebensgefühls. Ähnlich Zwielicht (Dämmrung will die Flügel spreiten), das Padmore zwischen peniblem Legato und opernhaftem Ausruf (Was will dieses Graun bedeuten?) gestaltet und im gehauchten Redegestus der letzten Zeile endet. Das befremdet, wirkt manieriert, expressiv steril gar und betont den Kunstcharakter von Schumanns Opus 39.
Akzeptiert man die enorme Künstlichkeit des Vortrags (verstärkend wirkt etwa auch der vibratolose Einstieg in lange Haltenoten), entfaltet Mark Padmores Singen eine umso größere Faszination. Dann wirken die helle Deutlichkeit der letzten Strophe von Auf einer Burg zwingend, Inständigkeit und Wehmut des Schlusses von In der Fremde beklemmend grell und intensiv. Unversehens wird so auch Mondnacht zur hellsichtigen, in jeder Silbe treffenden Vision – und Padmores Interpretation flugs zu einer Alternative zum herzschauernden, jedoch allzu bekannten und womöglich verbrauchten Innerlichkeitston etwa eines Fritz Wunderlich. Diesen heutzutage unverstellt zu treffen – besser gesagt zu reproduzieren – ist heikel, schwierig, manche sagen unmöglich.
Der enge, nervöse Stand, die beschwörend gerungenen Hände, das Durchbiegen der Knie – Padmore gibt das Bild eines hypersensitiven Gentlemans ab. Auffallend ist die Ähnlichkeit mit dem Tschaikowsky des letzten Lebensjahrfünfts: hohe Stirn, schmales Gesicht, energisches weißes Haar, stechender Blick.
Pianist Ryan Wigglesworth spielt genau, klar und, falls es das gibt, hinreißend sachlich.
Es folgt die deutsche Erstaufführung von Wigglesworths eigener Komposition Echo and Narcissus. Das Werk wirkt klassisch behutsam und behutsam expressiv, Britten-geschult, gediegen und zart zugleich. Es entfaltet eine ruhige Faszination, wirkt fast zu kurz, was zehn Mal ist besser als zu lang. Der Brite Padmore und die Schottin Allison Cook scheinen hier ganz bei sich, können ihre Vokalkunst frei entfalten. Cook steuert Farben und eine verführerische tiefe Lage bei. Fünf Frauen des Vocalconsorts Berlin singen die Chorpartien.

Eine identische Besetzung machen Echo and Narcissus und Janáčeks Tagebuch eines Verschollenen (Zápisník zmizelého) Tandem-tauglich – zumindest was Liedrecitals angeht. Padmore singt auch hier eindringlich, dynamisch detailreich und in überdeutlicher, wiederum manieriert wirkender Artikulation bei tendenziell monochromem Timbre. Die für Janáček typischen Motivrepetitionen steigert Padmore zu erregten Ausrufen. Bei den Spitzentönen des von Enthusiasmus getragenen Schlussstücks (S Bohem, rodný kraju) wechselt Padmore ins Kopfregister. Ein Wermutstropfen bleibt. Ein Janáček-Interpret wie Pavel Černoch klingt sicherlich idiomatischer. Allison Cook singt die černá cigánka, die schwarzäugige Zigeunerin, mit reichem Gefühlsausdruck. Und Ryan Wigglesworth, dessen Gesicht sich in einen Spiegel schmerzvoller Konzentration wandeln kann, ist auch bei Janáček ein ebenbürtiger Begleiter.
Ein überzeugender Liederabend mit klug gewähltem Programm und viel interpretatorischer sophistication. Künstlerischer Ehrgeiz und Kompromisslosigkeit überzeugen.
Keine Zugabe.