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Inzwischen bin ich der Meinung, dass die Bewertung der Qualität von Stücken von John Adams entscheidend von der jeweiligen Laune des Hörers abhängt. Heute Abend gefällt mir Adams‘ City Noir (2009, Uraufführungsdirigent: Dudamel) ausnehmend gut.

Das jazz- und filmfixierte City Noir ist zuerst einmal eine gut halbstündige, dreiteilige Hommage an Los Angeles. Auf zu neuen Jazz- und Hollywood-Ufern also in der Philharmonie Berlin? So einfach ist es nicht.

Obwohl, zunächst einmal schon. Denn Mister Minimalism frickelte viel luxurierende Streichereleganz unter opalisierendem Bläser-Goldstaub in seine Partitur. Es leben die Westküsten-Clichés! Ich höre suggestiven Schwung, rhythmische Exuberanz, Eleganz und Komplexität. Und doch, bei allen atmosphärischen Anleihen ans Kino-Los Angeles der Vierziger ist City Noir womöglich nicht nostalgischer als Brahms kontrapunktische Vierte.

Doch, es steckt mehr dahinter. Da sind zuerst Besetzung und Instrumentation. Sie haben symphonischen Anspruch. Es spielen 6 Hörner, inklusive Bassklarinette 4 Klarinetten, 4 Trompeten. Zugleich fehlt City Noir jeglicher tragische Gestus. Das Eroica-Erbe der Gattung Sinfonie, Adams verschmäht es. Stattdessen dominiert eine „fluency“ (Guardian), eine schwebend leichte, von Mikro-Aktivitäten der Bläser und Streicher durchzogene Entspanntheit melodischer Wellen und Kurven, eine spezifische Adams’sche Syntax, aufgebrochen von höllisch komplizierten, bis ins Mikroskopische reichenden, kontrapunktischen Attacken. Dazu räkeln sich die süffigen Tentakel von Timothy McAllisters Altsaxofonspiel. Gábor Tarkövis konzentriertes Trompetensolo demonstriert demgegenüber den statischeren Klang der Trompete.

Unter Gustavo Dudamel spielen die Berliner Philharmoniker Adams‘ locker-flockige L.-A.-Sinfonie mit enormer Präzision der Artikulation, zugleich komplex und schimmernd durchsichtig.

Alles in allem also ein krönender Abschluss der Adams-Residency der Philharmoniker.

Dudamel? Moment!

Dudamels Wundermannglanz wich in den letzten Jahren ja vereinzelter Skepsis. Das Feuer, das Dudamels erste Auftritte beseelte (unvergessen seine Bohème, seine Beethoven-7. – Staatsoper, Staatskapelle), schien zu weichen. Dudamels gebremste Tempi fanden nicht nur Freunde.

Doch er lebt, der Dudamel-Zauber.

In Antonín Dvořáks 9. muss Gustavo Dudamel böhmische Farbe bekennen.

Wie hält er’s mit der Neuen Welt? Auch in der Neunten fällt auf: Dudamel ist die streicherüppige Breite nicht fremd, ja, es herrscht – im Adagio – ein eigentümlich gedämpfter Klang, eine amorph abgerundete Attacke, es tönt magisch farbreich, ist fast süffig im Klangbild, besonders im sordinierten Geigengesang des Satzschlusses. Auch sonst favorisiert Dudamel nicht den klaren Durchstich. Eigentümlich die schleppende Entwicklung des Kopfsatzes, dessen Thema so tänzerisch-elastisch wie selten klingt, eigentümlich auch, wie jede symphonische Straffung außen vor bleibt. Als komponierte der Symphoniker Dvořák hier ohne Ecken und Kanten, ohne Ösen und Haken. Stattdessen: pure Klanggegenwart. Das Trio gerät kostbar sanglich, das Scherzo orgiastisch federnd. Die Holzbläser finden kübelweise solistisches Glück, die Streicher proben glückhaftes Sich-Verströmen. Man höre die honigtriefenden hohen Streicherkantilenen des Finales. Luxe, calme et volupté – das ist ein Klang wie direkt aus Matisses Farbtube.

Solch knochenlose Musikstrukturen gibt’s weder bei Rattle, noch bei Jansons, noch bei Nézet-Séguin. Macht nichts. Dudamels Sensualität, seine Fähigkeit, eine fließende, schier narkotisierende Klanggegenwart herzustellen, sind ungebrochen. Nur passt das nicht jedem. Mir schon.

Herr Terwilliger schon wieder am Solo-Horn. Das BRSO hat erst am 15. wieder Auftrittstermin, dann auch mit Dudamel und 1. Mahler.