
Rákoczi-Marsch mal anders: Méphistophélès mit dem Kuchenmesser oder der Streit um den Weltkriegskuchen / Foto: Matthias Baus / staatsoper-berlin.de
Terry Gilliams Damnation de Faust ist wunderbar leicht und hat auch Schwächen.
Terry Gilliam, Trickfilmer, Regisseur und Comic-Schaffender, lässt sich nicht lumpen. Er zündet im Schillertheater Berlin eine Regie-Rakete nach der anderen. Von einem kleinen szenischen Feuerwerk zu sprechen wäre eine Untertreibung. So britisch Gilliams bunte Bilderkanonade auch wirkt, so sehr fußt die Regie-Idee auf Thomas Mann: Dessen Doktor Faustus versinnbildlicht bekanntlich den Niedergang der deutschen Geistesgeschichte von Goethe bis Göring. Bei Gilliam geht das besonders stracks: Kaum sinniert Faust in urdeutscher Seelen-Landschaft (Bühnenbild Hildegard Bechtler), da singt Marguerite ihre Romanze als KZ-Abtransports-Kommentar sozusagen in eigener Sache. Das ist britisch-flott, das ist Nazi-fesch. Merke: Wenn die SA-Männer auf der Bühne tanzen, hauste dir vor Lachen auf den Ranzen.
Den Höllenritt serviert der britisch-amerikanische Regisseur als wilde Fahrt im Motorradgespann (kühn federnd dazu die Pizzicato-Viertel der Celli und Bässe) direkt ins Inferno – bei AC/DC hieß so was noch Highway to Hell. Meist klappt sie ganz gut, Gilliams Berlioz-Strategie, nämlich innere (Seelen-)Landschaften mit äußeren (Bühnen-)Landschaften kurzzuschließen. Nur nicht in Teil drei. Wenn da draußen gerade der 9. 11. 38 abgeht, live und ungekürzt, dann gibt Gilliam die billige Bühnenrampensau und schießt übers Ziel intelligenter Stückinterpretation schmählich hinaus (Es mag ja sein, dass man in London den diversen Aktivitäten von waschechten Theater-Nazis immer noch mit geheimem Grusel zusieht). Das ist langweilig, zu kurz gegriffener Historik-Humbug, schlecht.

„Oh! qu’il est doux de vivre“: Faust lässt sich gehen / Foto: Matthias Baus / staatsoper-berlin.de
Es ist 1846, als die Uraufführung von La Damnation de Faust stattfindet. Die Benennung als Légende dramatique (Berlioz dachte zuerst an Opéra de Concert) weitet diskret Gattungsgrenzen. So ist Berlioz‘ Faust-Vertonung halb Oratorium, halb Oper. Kein Wunder, dass eine ganze Reihe von Instrumentaljuwelen wie der notorisch bekannte Rákoczi-Marsch handlungsstauend wirken. Es ist Terry Gilliams Verdienst, diese Staus besonders bildmächtig aufzulösen. Aber auch mit Gilliam bleibt Berlioz‘ Faust ein Opern-Hybrid, ein episodischer, phantasmagorischer Bilderbogen erlesener Musik, dem zum Quotenkracher lediglich die harte Handlungsstringenz fehlt. Wie gut, dass in der Oper auch gesungen wird.
Die Sänger: Kožená, Castronovo, Boesch
Magdalena Kožená singt die keusche Marguerite, die Faust auf einer Nazi-Party – Hitler schaut sinnreich in die Weiten – als schwerttragender Siegfried zu liebendem Leben erweckt, und die dann zur Deportationsjüdin wird. Durch Ballade und Romanze singt sich Kožená mit vollem Mezzo-Ton und kostbar glühendem Klang, wenn auch das sanft ausdruckssteigernde Vibrato bisweilen der Unversehrtheit der Linie gefährlich wird.
Faust, der schuldverstrickte Sinnsucher, der Deutscheste aller Deutschen, wird von Charles Castronovo mit Nietzsche-Tolle verkörpert. Die Rolle verlangt viel Höhe, sehr viel Höhe. Wie Jonas Kaufmann bei seinem außerordentlichen Pariser Faust, so bewältigt Castronovo die Noten ab dem Fis teilweise im Falsett. Doch Castronovo kann auch Pathos, besitzt ein attraktives metallisches Timbre, klingt dann männlich und unverqualmt lyrisch. Die Lebensüberdruss-Nummer „Nature immense“, die Invocation à la nature, legt der Italiener als beeindruckenden heroischen Monolog hin.

Nix mit blond und blauäugig: Gretchen mit Menorah / Foto: Matthias Baus / staatsoper-berlin.de
Als sardonischer Méphistophélès trällert Florian Boesch in Auerbachs Keller ein antisemitisches Liedl. Boesch gibt sich artikulationsfähig (wenn es zum Französisch à la José van Dam auch noch ein wenig hin ist), zeigt klug gebändigtes Vibrato, hat böses Kupfer in der Baritonstimme. Student Brander (Jan Martiník solide) wird als SA-Mann schnell zum Unsymphath. Und die Stimme aus dem Himmel kommt von Chor-Alt Miho Kinoshita. Wie öfters ist zu bedauern, dass keine der Hauptrollen von Frankophonen gesungen werden.
Don’t panic, it’s a real Rattle
Nun aber zu Rattle. Simon Rattle, der mit den Philharmonikern eben noch durch Bruckner-Gewitter gegangen ist, dirigiert intensiv und dicht, bündelt die koloristisch kühnen Tonmassen mitreißend, proklamiert hitzige Tutti – aber akzentuiert auch lichtscharf. So entstehen Momente packender Schärfe (der schneidige Rákoczi-Marsch), die diffizil zu singenden Chorszenen (mehr Genauigkeit wäre mehr gewesen) weiten sich um stürmische Binnenstimmen. Es ist ein intelligenter, hinreißender Berlioz, der aus dem Graben kommt. Auch die Instrumentalsolisten profitieren. Das Englischhorn-Solo (Eingang Akt 4) gerät bannend. Ein sehr guter Abend der Staatskapelle Berlin.
Der Applaus ist durchaus mit Buhs durchsetzt, die dem Regie-Team um Terry Gilliam gelten, doch groß.

Deutsches Brauchtum mit französischer Musik / Foto: Matthias Baus / staatsoper-berlin.de
Weitere Premierenkritiken von La Damnation de Faust in der Regie von Terry Gilliam:
„Plakative Musical-Ästhetik“ (Julia Ruth Spinola im Radiobeitrag bei DLF)
„Missbräuchlich“ (hundert11 – Konzertgänger aus Berlin)
„Teufel, Nazi, Jüdin“ (Kultur-Extra)
„Wenn der Führer träumt“ (nur über die Inszenierung, Brugs Klassiker)
Ah, Sie waren auch nicht bei ASM und Muti?
Ich habe nach den Vorab-Fotos das Schlimmste befürchtet aber dann fand ichs gan passabel.
Der Beifall schlug ja auch zur positiven Seite aus, trotz der Buhs.
In England waren sie ja ganz hin und weg bei der Premiere an der English National Opera. Aber die Engländer ticken auch etwas anders.
Gut der Monthy Python Typ kleckert nicht, klotzt lieber.
Aber irgendwie passt es ja zum Thema. Komisch fand ich die Tänzer, die den Mephisto begleiten.
Gesungen 1a von Castronovo. Boesch auch, fand ich aber etwas hart, Kozena ihre Stimme ist ganz schön schwer geworden.
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Nein, schweren Herzens habe ich auf Mutter & Muti verzichtet. Das Tschaikowsky-Konzert habe ich noch nie mit ihr gehört, überhaupt das Konzert lange nicht mehr..
Mir ging es anders herum. Die Szenenbilder fand ich vorab beeindruckend (sind sie ja auch, die altmeisterliche Vedute, die Studierstube), live hat sich der Eindruck dann relativiert. Insbesondere der dritte Teil war uninspiriert, auch vom Bühnenbild her. Und irgendwann waren es zu viele SA-ler. Auch dass sie Jüdin ist, wirkt als Gimmick und D’amour l’ardente flamme als Romanze auf dem Weg in die Vernichtung, das ist starker Tobak…, naja, Schwamm drüber, alles in allem fand ichs gar nicht schlecht.
Rattle wie gesagt überwältigend, die Streicher seeeeehr gut, als Ganzes ähnlich gut wie damals Pelléas Unter den Linden.
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Saß zwei Reihen hinter Katharina Thalbach.
Teilweise unendlich geschmacklose Inszenierung.
Mal fix die Judenvernichtung mit ein paar Inszenierungsideen verbunden und fertig ist die ganze Chose.
Mein Favorit war Castronovo, klang unheimlich edel.
Die Staatskapelle unter Rattle ein Traum.
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Na, Sie gewinnen dieser Inszenierung ja immerhin einiges Positive ab. Ich fand es naiv, abgeschmackt, teils empörend. Und ich bin eigentlich ungern empört.
Castronovos Nietzsche-Tolle erinnerte mich mehr an Tintin und der Würfelkoffer im ersten Bild an einen Lieferando-Radler.
Musikalisch fand ichs sehr gut.
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Ich finde es schwierig, zu einem ausgewogenen Urteil zu kommen. Einiges war sehr gut, einiges unterirdisch. Trotzdem fand ich den Faust auf attraktive Weise modern, so nervös, so hager, wie Castronovo ihn verkörperte. Übrigens hatte ich einige an King Arthur zurückweisende Déjà-vus (die Szenenmalerei, die Weltkriegserzählung auf zweiter Ebene).
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Ganz verstehe ich die Aufregung nicht. Giliams Sicht auf die Dinge war doch ziemlich schlüssig. Nicht umsonst ist Terry Gilliam ein ziemlich intelligenter Satiriker und La Damnation de Faust ein genialer Versuch, ausdrücklich KEINE Oper über den Faust-Stoff zu schreiben. Wenn Gilliam sich also des Faust annimmt, so darf man ruhig eine Inszenierung erwarten, die abseits des Erwartbaren liegt. Was ja sehr richtig ist. Warum also die ganze Nörgelei? Faust handelt schließlich von so Nettigkeiten wie der Hölle und dem Teufel. Übrigens war die Musik von Berlioz für seine Zeitgenossen sicherlich auch eine Zumutung. So what? Über der ganzen Diskussion um SA und Progrom vergisst man, dass die Personenführung spannend bis zum Schluss war und etliche Details unheimlich beziehungsreich waren, wie zum Beispiel die Otto-Dix-Anspielungen in Auerbachs Keller.
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Ja, die knallrote Dix-Dame war gut, ebenso der Beinlose auf seinem Rollerchen.
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Nicht bei Rattle Sacre gewesen?
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Nein, leider leider nicht. Kurzurlaub. Wie wars?
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Mir hat’s sehr gut gefallen. Kurzweilige Regie, großartige Sänger.
Bravo Staatsoper
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