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Schon wieder ein Jahr rum. Schon wieder ein Silvesterkonzert.

Es ändert sich ja sowieso nichts. Rattles Haupthaar wird einfach nicht weißer, und die Berliner Philharmoniker spielen noch genauso gut. Nur Trifonow wird immer noch besser. Doch davon gleich.

Während die Inhaltsangabe von Dimitri Kabalewskis Oper Colas Breugnon kaum spannender klingt als die von Hindemiths Cardillac, ist die Colas-Breugnon-Ouvertüre zackig genug, um all jene Weihnachtsgeschenke zu vergessen, die man eh nicht haben wollte. Es gibt diese einigermaßen berühmte Toscanini-Aufnahme von 1943. Na, die Philharmoniker machen das auch nicht schlecht.

Der Schmachtfetzen des Abends ist Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 3. Es spielt der noch immer junge Daniil Trifonow, der inzwischen noch fesselnder spielt, als er es vor zwei Jahren tat. Es ist ja nicht so, dass tiefes Hinabbeugen des Kopfes in Richtung Tasten automatisch hervorragendes Klavierspiel hervorbrächte. Aber Trifonow spielt hervorragend. Die Technik ist von höchster Klarheit. Hin und wieder zügelt er sich – dann klingt sein Spiel wie heute beim einleitenden Thema in Satz Nr. 1 sachlich konzentriert und er sitzt steif aufrecht. Überhaupt sollte man sich nicht von habituellen Eigenarten Trifonows ablenken lassen („wie der schon am Flügel rumlümmelt“), Trifonow ist ein hochkonzentrierter Künstler, er spielt vom Kopf her. Noch in den irrwitzigen Akkordhäufungen des Kopfsatzes spürt man die stählerne Ordnung. Trifonow bleibt stets Herr dessen, was er spielt.

Anmerkungen: Die Kadenz besitzt nicht die quasi quadrophone Fülle, die Lang Lang ihr zu entlocken vermag, und für die Kulminationsstellen des ersten Satzes wird man eventuell Bronfman vorziehen. Und der Anschlag „lebt“ nicht ansatzweise so wie der von Argerich. Trifonov ist auch nicht so durch und durch typisch russisch, wie man vielleicht erwarten würde (geboren Nischni Nowgorod…): Das Rubato raushängen ist definitiv nicht Trifonovs Sache, und sein Spiel wirkt hundert Mal glenngouldiger als alles, was man von Kissin kennt. Aber das sind Unterschiede des Stils, weniger der Qualität.

Die Abstimmung zwischen Orchester und Solisten klappt ganz gut, gemessen an den Rubato-Fallstricken, mit denen das d-Moll-Konzert gespickt ist wie eine Wildhasenkeule mit Speck. Ob Trifonow einer der wirklich Großen wird, hängt davon ab, ob er 1.) so gut bleibt, wie er ist, und ob er 2.) noch ein kleines bissl besser wird.

Late-Night-Besucher haben bei der William Walton Façade-Suite ein doppeltes Déjà-vu-Erlebnis, Façade gab es dort schon zwei Mal – u.a. dirigierte Barbara Hannigan. Der fein gemeißelte Nonsens der Walton-Komposition ist sogar subtiler als der Nonsens in Dinner for One, und das will doch was heißen. Als Antonín Dvořáks Slawische Tänze op. 72 erklingen, deren Tauglichkeit für ein Silvesterkonzert Simon Rattle schon 2011, 2013 und 2014 getestet hatte, ist das diesjährige Silvesterkonzert fast schon vorbei. Die fundamentalen Stärken der Berliner Philharmoniker kommen bei Opus 72 gut zur Geltung, wenngleich ich immer fand, dass die Tschechische Philharmonie die Tänze wärmer und stimmiger spielt. Da klingen sie mehr nach Dvořák.