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Wo liegt der Unterschied zwischen Walküre und Götterdämmerung? In der Walküre wird so manches Auge feucht, in der Götterdämmerung hauptsächlich das Sitzfleisch.
Deshalb gibt es einen opulenten ersten Walküre-Akt in der Philharmonie. Auf die Weihnachtsgans müssen die Berliner noch warten, den Weihnachtswagner bekommen sie jetzt schon.
Eva-Maria Westbroek singt eine aufgekratzte Sieglinde. Frau Westbroek verfügt über ein gesundes Vibrato, und greift auch sonst musikalisch in die Vollen: Ihr Sopran hat Wärme und ist hinreichend laut. Und sie singt mit leidenschaftlicher Eindringlichkeit. Alles vibriert an ihr. Die stimmliche Gewichtsklasse von Westbroek ist das Schwergewicht. Entsprechend expansiv phrasiert sie. Klanglich kann man von Eva-Maria Westbroeks Sieglinde nicht behaupten, sie stünde erst auf der Schwelle zur Volljährigkeit, aber das macht sie womöglich für Siegmund O’Neill umso appetitlicher.
Simon O’Neill sieht mit Haartolle inzwischen fast so lässig aus wie Gérard Dépardieu. Den Siegmund singt O’Neill mit feinem, tenoralem Strahl. Die Tongebung ist eng, das Timbre tendiert zum Weißlichen, die Stimmführung ist wenig geschmeidig. Schade, dass seine E’s wie Ä’s klingen. Und der Ausdruck bleibt begrenzt. Da schmilzt eine Sieglinde nicht automatisch dahin. Freilich ist die Schlagkraft der engen Höhe immens. Das dürfte schlussendlich den Ausschlag dafür geben, dass Westbroek die warme Linke voller Sehnen auf O’Neills Brust legt. Bei Tenören aus dem englischsprachigen Raum klingt „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ ja gerne wie Hustensaftwerbung, so naiv frohgemut tragen die anglophonen Tenöre das vor – Ben Heppner natürlich ausgenommen.

Was O’Neill leicht verfehlt, nämlich ein lebenspralles Wagnerporträt, das macht der schlohweiße John Tomlinson mit links. Tomlinson ist immer noch ein Muster an Schallkraft und rauer Männlichkeit. Sein Bassklang ist knorrig und intensiv wie ein 30 Year Old Scotch Whisky, geschmeidig war Tomlinsons Bass ja schon zu seinen Glanzzeiten als Wotan vom Dienst nicht. Gerade klingt es, als hätte sich etwas Flugrost auf die Stimmbänder gelegt. Apropos Wotan, Ärger mit Frauen hat John Tomlinson auch als Hunding. Macht nichts, John Tomlinson singt sich den Frauenfrust mit viel Energie in der Stimme vom Leibe. Jaja, einiges klingt – autsch – brutal brustig. Und zu Anfang erschreckt man wegen Tonhöhenverrutschern („Du labtest ihn?“ und „Heilig ist mein Herd, heilig sei dir mein Haus“). Bei „Wird sein Noooaaame nun mir genannt“ muss ich angesichts einer nur als abenteuerlich zu nennenden Vokalverfärbung grinsen. Aber dem Briten, der optisch einem wettergegerbten Seebär, wenn nicht gar Lord Nelson gleicht, sei dergleichen frohgemut vergeben, vor allem kurz vor Weihnachten.
Das Personal kommt mir verdächtig vertraut vor. Ach ja, klar. Wer sang, als Rattle 2013 an der Deutschen Oper Die Walküre dirigierte? Westbroek und O’Neill. Wer sang 2012, anlässlich der konzertanten Walküre in der Philharmonie? Westbroek. Und wer singt 2017 in der Staatsopern-Katja Kabanowa? Westbroek und O’Neill. Und wer dirigert? Rattle.
Der Abend ist als herzhafter Schluck aus der Wagnerpulle im dunklen Monat Dezember durchaus willkommen. Aber es ist ein kleiner Schluck. Denn der Konzertabend ist kurz. Dafür ist er nicht ganz billig. Das Konzept hat etwas von Galakonzert. Aber dafür macht mich Simon O’Neill nicht glücklich genug.
Was man von Rattle nicht sagen kann.
Simon Rattle leitet die Berliner Philharmoniker. Nach den doch unbefriedigenden Thielemann-Abenden höre ich sprechende Details im Gewittervorspiel, das von wuchtigen Bassakzenten und drängenddräuenden Crescendi garniert wird, des Weiteren eloquente erste Geigen, und der tumultuöse Schwung des Aktschlusses verdient ein makelloses AAA-Rating. Die Walküre hat man ja konzertant in überzeugender Darbietung unter Rattle schon in der Philharmonie gehört. Heute Abend ist das orchestralperspektivisch ebenfalls allererste Sahne.
Das Siegfried-Idyll lässt Rattle dankenswerterweise in der solistisch besetzten Urfassung – mit 15 Instrumentalsolisten – spielen. Das Siegfried-Idyll klingt nervös wie Debussy und intelligent wie Schönberg.
Also, ich weine auch bei der Götterdämmerung. Aber ich bin kein Maßstab, ich weine auch bei Ligeti.
Walküre 1 + Siegfried-Idyll ist wirklich etwas kurz und auch mutlos, da hätte man doch noch etwas davor servieren können. Runnicles hat beim Musikfest vor Walküre 1 die äußerst ulkige Sphärenmusik von Langgaard gepackt.
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