Marek Janowski feiert sein Bayreuth-Debüt. Und das ausgerechnet beim Castorf-Ring. Ist Janowski, der Übles übers Regietheater denkt, im Alter weise oder gleichgültig geworden?

Die ersten Minuten Janowskis ergeben diesen Eindruck:

  • Klanggruppen werden zusammengefasst
  • Janowski ist kein Zerbrösler
  • der Duktus ist wenig geschmeidig
  • Janowski pflegt ein robustes Verhältnis zum Klang
  • Der Mann ist dem Effekt durchaus nicht abgeneigt

Ausgesprochen forsch wird das Riesenmotiv eingeführt. Wo Feuer und Schwung gefragt sind, wird das Orchester antreibend hochgefahren. Dabei entstehen fast symphonisch gedachte Entwicklungsfelder. So klingt Wagner von Bruckner her gedacht. Unten noch mehr zu Janowski.

Die Sänger:

Iain Paterson (Wotan) besitzt einen wenig voluminösen, hellen, etwas unbeweglichen Bariton. Kennzeichen ist ein weicher, bisweilen quetschiger Gaumenklang. Meckernd klingt „Von Nibelheims mächt’gem Land“. Gut aber das gespannte „Halt, du Wilder!“ Was Phrasierung, was die Bildung von Sinnzusammenhängen angeht, dürfte Patersons Interpretation nach weiteren zehn Wotans an Triftigkeit gewinnen. Klangwucht entfaltet Paterson in dynamischen Partien wie „Fordert frech, was ihr wollt“. Sein „Abendlich strahlt“ verbreitet zu Beginn wenig Wotansautorität, doch Patersons „So – grüß‘ ich die Burg“ vereint Energie und Druck. Die Erschütterung in „Wie doch Bangen mich bindet“ nach Fasolts Tod muss Paterson noch lernen.  Als Kurwenal fand ich Paterson durchweg klasse. Paterson singt übrigens idiomatisch überzeugend. Der Mann ist Schotte.

Fricka Sarah Connolly gefällt. Die nicht ganz freie Stimme besitzt eine enge Höhe. Ein Spritzer Säuerlichkeit sorgt für seelische Färbung, für musikdramatische Ausdeutung. Sarah Connolly bringt Spott und Hohn in ihre Stimme. Ihr „Wehe! Wehe!“ – beim Altern der Götter – ist berührender Seelenklang als wär’s von Purcell. Schön die Phrasierung in „Wo weilst du, Wotan?“, wunderschön auch „die des Gebieters“, mit viel sprachlich-dramatischer Phantasie gesungen.

Roberto Saccà singt seinen Loge nicht nur als Charaktertenor. Saccà kostet Bögen und Linien aus, bleibt in raschen, rezitativisch geprägten Passagen aber Wort-Deutlichkeit schuldig („Wie taumeln die Tölpel dahin!“). Zur klangintensiven, aber dünnvolumigen Stimme passen das helle Timbre ebenso wie die tenoral hart strahlende Höhe. Dennoch gelingen die unterschiedlichen Teile in den großen Gesangsszene „Jetzt fand ich’s“ fein ausdifferenziert – genauso wie in „Ihrem Ende eilen sie zu“. Auch Saccà ist ein Bayreuth-Debütant. Saccà hat mir sehr gut gefallen. Er ist Janowskis Tempo gewachsen.

Alberich wird von Albert Dohmen gewohnt souverän verkörpert – was auch heißt, dass der Altmeister manche Phrasen nur anskizziert („Süßeste Maid“). Ein Genuss ist sein sehr naturalistisches Niesen. Dohmen singt à la deutsch, nämlich mit stechenden Wortakzenten – Klimmzügen gleich – und deklamatorischer Wucht, ohne das gleich sprechgesungen wird – aber hin und wieder nachlässig phrasiert wird. Ganz im Obergeschoss klingt’s bleich und rau. Da kommt es zu Vokalverfärbungen. Doch Dohmens große Stimme ist glaubhaft im Hass. Als neureicher Industrieller gelingt Herr Dohmen auch in der Nibelheimszene ein packendes Porträt, bei dem die Dämonie nah und die Langweile fern ist.

Wenn jeder Riese einst ein solches Vokalorgan wie Günther Groissböck besessen hätte, wären diese nicht gänzlich unsympathischen Riesen nicht in mythischer Vorzeit ausgestorben. An Groissböcks Fasolt imponiert nicht nur die prachtvolle Resonanz der Stimme, die mühelos entfaltete Klangfülle. Fast müsste er seine Stimme zügeln. Dennoch: Die Intensität der energischen Deklamation überzeugt. Das gewisse Ungehobelte der Phrasierung kontrastiert gut mit der Schönheit des Materials. Vor dem bedrohlichen Fafner Karl-Heinz Lehner könnte man Angst bekommen („Glaub‘ mir, mehr als Freia“), läge nicht der Orchestergraben zwischen Sänger und Hörer. Aufregend sein vibrierendes „Nichts gezögert! rasch gezahlt“. Wo Groissböck exzelliert, in Schönheit und Volumen, unterliegt Lehner, wo Groissböck noch nachlegen kann, in Wortausprägung und Sinnverdeutlichung, ist Karl-Heinz Lehner klar vorne. Ein erinnerungswürdiges Riesenpaar.

Als Mime bietet Andreas Conrad die perfekte Kombination aus Schönsingen und lebhaftem Vortrag. Das Aua-Gequiek klingt ebenso authentisch wie der kurze Wutausbruch. Den hammerschwingenden Donner singt Markus Eiche eindringlich, den Froh Tansel Akzeybek lebhaft und tonschön und mit anrührend jungem Klang. Caroline Wenborne (Freia) singt gut, könnte aber besser singen. Die Diktion ist hörbar australisch. Das gilt selbst für ihre feurigen Weherufe. Aber sie produziert einige effektvoll exponierte Spitzen. Als Erda singt Nadine Weissmann eine sensible Warnung an Wotan.

Kein Ring ohne Rheintöchter. Heuer meistern die dampfplaudernden Rheintöchter ihr Aufgaben zufriedenstellend. Alexandra Steiner singt die Woglinde lebhaft und mit Lachen in der Stimme. Hübsch ihr schlanker flatterhafter, soubrettenhafter Sopran, etwas unstet nur bei „Nur wer der Minne Macht versagt“. Stephanie Houtzeel klingt als Wellgunde ruhiger und klangvoller als die Woglinde Steiners, und etwas ungenauer in der Wortausprägung („Such dir ein Friedel…“) – schön zischend aber in „vor Zorn der Liebe zischt er laut“. Der vorsichtigen Flosshilde nimmt sich Wiebke Lehmkuhl an. Ihren klangvollen Alt steuert Lehmkuhl mutig wie eine schwere Luxuskarosse durch das bewegte Gelände von „Deines stachligen Haares strammes Gelock“. Im Verbundgesang („Sieh, wie selig“) höre ich „das schwatzende Heer“ mit apart weitem Timbre- und Klangspektrum. immer wieder ein Genuss, diese ersten gut zwanzig Minuten.

Und damit zurück zu Marek Janowski und dem Bayreuther Festspielorchester. Sehr gut das Regenbogenmotiv vor Frohs „Zur Burg führt die Brücke“, man denkt an Brahms‘ melodische Melancholie. Einiges Lebhaftes mag an Dvorak erinnern. Man bemerkt Janowskis Interesse am rustikalen Detail, z.B. bei den Bassklarinettensechzehnteln des Naturmotivs im Vorspiel. Da schätzt jemand offenbar Handarbeit und will, dass das auch andere hören. Es gibt einige solcher Stellen, wo man hört, was man vorher nicht hörte. Zum Beispiel die kecken Flöten bei Frickas „O lachend frevelnder Leichtsinn“.

Marek Janowski hat Lust am Vitalen, am Blech, am dramatischen Höhepunkt. Die glanzvollen Rheingoldmotive der ersten Szene klingen in ihrer trennscharfen Plastik wie frisch aus dem 3D-Drucker. Das hat Hand und Fuß, Macht und Maß. Ungefähres ist Marek Janowskis Sache nicht. Da darf die Gischt des Orchesters dann prächtig aufspritzen. Gestochen scharf und doch zwingend das Vorspiel zur dritten Szene (Nibelheim).

Janowskis Klangideal hat etwas Bodenständiges. Die Kehrseite dessen ist ein klanglicher Positivismus, etwas Geheimnisloses. Ein Leitmotiv markiert Janowski mit hörbarer Lust, wenn ihm eins über den Weg läuft, was bekanntlich oft passiert. Prasselnder Des-Dur-Schluss. 2:18 Stunden ist für Rheingold recht flott.

Kreischende Bravos, ein langes Buh (Petrenko-Fan? Castorf-Verächter?). Applaus-Peak für Groissböck. Viel Applaus für Marek Janowski.

Weitere Rheingold-Kritik: Castorfs grelle Erdöl-Parabel (br-klassik.de)