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Bevor die Berliner Philharmoniker im philharmonischen Sommerloch verschwinden, haben sie noch zwei Aufgaben zu verrichten. Einer, dem letzten Konzertdoppelpack der Saison, entledigen sie sich heute Abend.

Nézet-Séguin dirigiert Werke von der Repertoireperipherie: Bartóks erstes Violinkonzert und Schostakowitschs Sinfonie Nr. 13.

Lisa Batiashvili, das ist zuerst einmal eine kaukasische Kinnlinie unter Lady-Di-Fransen. Auf dem Podium wirkt die Georgierin unprätentiös, will zur Sache kommen. Und Lisa Batiashvili tut einiges dafür, um in Berlin ihren Ruf als eine der wichtigen Geigerinnen zu festigen. Béla Bartók, Violinkonzert Nr. 1.

Batiashvili hat für den Beginn tastenden Ausdruck, für die hochgestimmte Lyrik des ersten Satzes Gestaltungswillen, für die Aufschwünge des zweiten den honigglänzenden Ton. Charakteristisch ist das Vibrato mit enger, schmaler Amplitude. Der Ausdruck ist dann der versonnener Sonorität. Der in höchster Lage zu heller Aufregung gesteigerte Ton wirkt weißglänzend, schier vibratolos. Dazu dann die weich hingepinselte Linie.

Trotz aller herzigen Heißblütigkeit im Ton ist da eine gewisse Keuschheit des Empfindens. Das ist lobenswert. Lobenswert auch, dass Lisa Batiashvili sich nicht vor’s Werk drängt, nichts dick klingt: Batiashvili geht Bartóks Ruhm vor eigenem Ruhm. Das Violinkonzert Nr. 1 ist ein Jugendstil-Klassiker. Bartók setzt darin private Romanze – Stichwort: Stefi Geyer – auf jene generöse Art, die in den Jahren zwischen 1900 und 1910 gang und gäbe war, mit dem Weltganzen in eins.

Keine Zugabe. Vielleicht morgen.

Es gibt keine zu langen Sinfonien. Es gibt nur gute oder schlechte. Schostakowitsch Sinfonie Nr. 13 nach Gedichten von Jewtuschenko ist gut und lang. Den kräftigen Schluck aus der historischen Pulle, den sich Schostakowitsch bei seiner „13.“ genehmigt, dient dazu, der Menschlichkeit ein Denkmal (und einen Bass gebührend in Szene) zu setzen. Beides sind noble Vorhaben. Der baumlang aufragende Bass Mikhail Petrenko bedankt sich für so viel Noblesse mit einer prachtvollen Vokalleistung. Petrenko spuckt Jewtuschenkos lugubre Sätze mit der Präzision eines 3D-Druckers aus. Noch dazu mit knorriger Wucht. Und gefährlich knarzendem Barrique-Fass-Timbre. Die Bemerkung sei erlaubt, dass der letzte Satz, Allegretto, mit Titel „Eine Karriere“, textlich weniger überzeugt.

Dirigent Yannick Nézet-Séguin ist frischgebackener designierter Music Director der New Yorker Met (vollumfänglich antreten wird der Kanadier das Amt erst 2020). Dem kleinwüchsigen Großtalent umgibt eine dezente Gute-Laune-Aura. Nézet-Séguin ist kein Taktschläger, kein Analytiker, kein Show-Man. Er ist ein Gestalter, der subtil und gewitzt gestaltet. Er zaubert kein Kaninchen aus dem Hut, dafür aber ausbalancierten Klang und eine gefährlich subtile Phrasierung aus dem Orchester. Der Vorteil gegenüber dem Kaninchen: Es klingt gelungen. Schön und klug zugleich.

Aufstellung: 1. Geigen, Celli, Bratschen, 2. Geigen. Bässe hinten links.

Es singen die Herren des Rundfunkchors Berlin, einstudiert von Gijs Leenaars.

Yannick Nézet-Séguin dirigiert die Berliner Philharmoniker

Yannick Nézet-Séguin dirigiert die Berliner Philharmoniker / Foto: Schlatz