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Das Geburtstagskonzert. Martha Argerich und die Staatskapelle.

Spontaner Eindruck: Die Staatskapelle ist sehr gut gelaunt. Und Martha Argerich merkt man das Alter an. Behend vom Podium eilen, das sind tempi passati.

Martha Argerich Staatskapelle Berlin Daniel Barenboim Beethoven Klavierkonzerte 1 & 2 Philharmonie Berlin
Applaus für ein Geburtstagskind: Martha Argerich in der Philharmonie Berlin / Foto: Schlatz

Das immer noch störrische Haar lässt sie frei und grau fließen. Sie spielt die Klavierkonzerte Nr. 1 und 2. Beide hat Argerich öfters mit der Staatskapelle gespielt. Die Konzerte Nr. 3, 4 oder 5 wären auch schön gewesen.

Ich rede im Folgenden hauptsächlich über das Klavierkonzert Nr. 1, op. 15. Nr. 2 habe ich aufgrund von Sonntagsnachmittagsmüdigkeit nur halbwegs wach verfolgen können.

Drei Dinge fallen zunächst auf an Argerichs Spiel: Lässigkeit, Freiheit, Temperament.

Lässigkeit: Eine neue (Alters-)Lässigkeit umgibt Argerichs Spiel. Die große kantablen Qualitäten ihres Spiels werden von einer Entspanntheit des Denkens und Fühlens ergänzt, die zu den erstaunlichsten Talenten von Martha Argerich zählt. Die fantasierenden Durchführungspassagen im Kopfsatz klingen noch freier als im Konzerthaus, September 2013. Die einleitenden Achtelketten zu Beginn der Durchführung sind großartige Bekundungen großen Klangsinns. Fast noch mehr gilt das für die glitzersüß absteigenden Triolenketten gegen Ende der Durchführung. Das klingt so einfach, und ist doch so schwierig zu erspielen. Argerich spielt wie 2013 die kürzeste der drei vorhandenen Beethovenkadenzen.

Freiheit: Im Largo dann spielt sie im Tempo noch freier. Durchbricht die Kontinuität des Prozesses durch heftig ausgestellte Anschläge. Temporückungen schaffen Bedeutung. Bei der erstmaligen Vorstellung des Themas befindet man sich rubatomäßig zwei, drei Mal an der Grenze zum Kitsch. Barenboim schleppt hier keineswegs. Martha Argerich ist bei der Wiederkehr des Themas (über den Triolen der Linken) sogar flott.

Temperament: Argerich steigt voll des Tempos ins Finale ein. Die Staatskapelle antwortet mit heftigen Synkopierungen (die Sforzati auf dem zweiten Achtel) des Tutti-Themas. Zig Mal taucht das Thema mit dem typischen Sechzehntelpaar und den punktierten Achteln auf. Argerich erfindet immer neue Erscheinungsformen virtuosen Temperaments. Drama ist natürlich kein Fremdwort für Argerich, aber auch nicht oberstes Gebot. Eher geht es um Temperament. In den durchführungsartigen Partien prasseln Hagelschauer aus Sechzehnteln auf mich ein. Pointierungen schäumen über. Dann die Staatskapelle: Die Ritornellenden knattern wie Feuerwerk, das kurz davor ist, außer Kontrolle zu geraten.

Daniel Barenboim dirigiert mit lässiger Patsche. Wedelt. Sendet legere Fingerarabesken Richtung Bläser. War das Konzert Nr. 1 in selber Besetzung vor eineinhalb Jahren im Konzerthaus nicht zielstrebiger, zusammengefasster? Egal. Barenboim war schon immer dafür, beethovensche Fanfaren als Behauptungen eines kühnen Geistes zu denken. Alles was laut ist, klingt enthusiastisch, Akzente, Kadenzen. Um die Musik zum Sprechen zu bringen. Wie immer bei Barenboim: Die undeutliche Fassung des Tuttis wird mit einkalkuliert, aber durch das Ergebnis gerechtfertigt.

Philharmonie Berlin Martha Argerich Daniel Barenboim
Öffentliches Händchenhalten: Martha Argerich und Daniel Barenboim / Foto: Schlatz

Es ist interessant, Paul Bekker, den Beethoven-Papst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sagen zu hören, op. 15 und 19 hätten „nur noch entwicklungsgeschichtliche Bedeutung. Die für heutige Begriffe unscheinbaren technischen Anforderungen wie die konventionelle Thematik der Werke stellen sie außerhalb der Reihe heute noch lebensfähiger Kompositionen“. So, so.

Zu Beginn die Sonate für zwei Klaviere KV448 von Mozart.

Der Beifall ist demonstrativ und meint wohl nicht nur op. 15 und 19, und auch nicht nur ein Geburtstagskonzert, sondern ein Leben. Ich weiß nicht, welches Stück Martha Argerich zugab. Ich frage einen Orchestermusiker. Der weiß es auch nicht.