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Das Geburtstagskonzert. Martha Argerich und die Staatskapelle.
Spontaner Eindruck: Die Staatskapelle ist sehr gut gelaunt. Und Martha Argerich merkt man das Alter an. Behend vom Podium eilen, das sind tempi passati.

Das immer noch störrische Haar lässt sie frei und grau fließen. Sie spielt die Klavierkonzerte Nr. 1 und 2. Beide hat Argerich öfters mit der Staatskapelle gespielt. Die Konzerte Nr. 3, 4 oder 5 wären auch schön gewesen.
Ich rede im Folgenden hauptsächlich über das Klavierkonzert Nr. 1, op. 15. Nr. 2 habe ich aufgrund von Sonntagsnachmittagsmüdigkeit nur halbwegs wach verfolgen können.
Drei Dinge fallen zunächst auf an Argerichs Spiel: Lässigkeit, Freiheit, Temperament.
Lässigkeit: Eine neue (Alters-)Lässigkeit umgibt Argerichs Spiel. Die große kantablen Qualitäten ihres Spiels werden von einer Entspanntheit des Denkens und Fühlens ergänzt, die zu den erstaunlichsten Talenten von Martha Argerich zählt. Die fantasierenden Durchführungspassagen im Kopfsatz klingen noch freier als im Konzerthaus, September 2013. Die einleitenden Achtelketten zu Beginn der Durchführung sind großartige Bekundungen großen Klangsinns. Fast noch mehr gilt das für die glitzersüß absteigenden Triolenketten gegen Ende der Durchführung. Das klingt so einfach, und ist doch so schwierig zu erspielen. Argerich spielt wie 2013 die kürzeste der drei vorhandenen Beethovenkadenzen.
Freiheit: Im Largo dann spielt sie im Tempo noch freier. Durchbricht die Kontinuität des Prozesses durch heftig ausgestellte Anschläge. Temporückungen schaffen Bedeutung. Bei der erstmaligen Vorstellung des Themas befindet man sich rubatomäßig zwei, drei Mal an der Grenze zum Kitsch. Barenboim schleppt hier keineswegs. Martha Argerich ist bei der Wiederkehr des Themas (über den Triolen der Linken) sogar flott.
Temperament: Argerich steigt voll des Tempos ins Finale ein. Die Staatskapelle antwortet mit heftigen Synkopierungen (die Sforzati auf dem zweiten Achtel) des Tutti-Themas. Zig Mal taucht das Thema mit dem typischen Sechzehntelpaar und den punktierten Achteln auf. Argerich erfindet immer neue Erscheinungsformen virtuosen Temperaments. Drama ist natürlich kein Fremdwort für Argerich, aber auch nicht oberstes Gebot. Eher geht es um Temperament. In den durchführungsartigen Partien prasseln Hagelschauer aus Sechzehnteln auf mich ein. Pointierungen schäumen über. Dann die Staatskapelle: Die Ritornellenden knattern wie Feuerwerk, das kurz davor ist, außer Kontrolle zu geraten.
Daniel Barenboim dirigiert mit lässiger Patsche. Wedelt. Sendet legere Fingerarabesken Richtung Bläser. War das Konzert Nr. 1 in selber Besetzung vor eineinhalb Jahren im Konzerthaus nicht zielstrebiger, zusammengefasster? Egal. Barenboim war schon immer dafür, beethovensche Fanfaren als Behauptungen eines kühnen Geistes zu denken. Alles was laut ist, klingt enthusiastisch, Akzente, Kadenzen. Um die Musik zum Sprechen zu bringen. Wie immer bei Barenboim: Die undeutliche Fassung des Tuttis wird mit einkalkuliert, aber durch das Ergebnis gerechtfertigt.

Es ist interessant, Paul Bekker, den Beethoven-Papst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sagen zu hören, op. 15 und 19 hätten „nur noch entwicklungsgeschichtliche Bedeutung. Die für heutige Begriffe unscheinbaren technischen Anforderungen wie die konventionelle Thematik der Werke stellen sie außerhalb der Reihe heute noch lebensfähiger Kompositionen“. So, so.
Zu Beginn die Sonate für zwei Klaviere KV448 von Mozart.
Der Beifall ist demonstrativ und meint wohl nicht nur op. 15 und 19, und auch nicht nur ein Geburtstagskonzert, sondern ein Leben. Ich weiß nicht, welches Stück Martha Argerich zugab. Ich frage einen Orchestermusiker. Der weiß es auch nicht.
Ah, Sie waren auch da! Ich bin danach noch mit Barenboim in die Staatsoper zu Juliette weitergefahren, habe erst da geschlafen (leider). Barenboim hat einfach eine bessere Konstitution als unsereins.
(Muss nachher auch drüber schreiben, ich versuche Sie nicht zu plagiieren.)
Zugabe war Scarlatti 141.
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141. Auf Sie ist Verlass.
Gestern klang 141 deutlich mehr Rachmaninow-like als auf dem netterweise geposteten Video.
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Ja, ich dachte gestern zuerst, es wäre eine Scarlatti-Bearbeitung aus irgendeiner Virtuosenfolterkammer des 19. Jahrhunderts.
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Ein ganz außergewöhnliches Konzert.
Ich war damals auch im Konzerthaus als DB & MA das Nr. 1 spielten. Die konventionellen Passagen, die op. 15 ohne Zweifel hat, spielte La Martha auch konventioneller. Anders heute, da sie ungleich phantasievoller, auch wärmer spielte.
Die Staatskapelle kam mir sehr motiviert vor. Ist schon eine klasse Leistung, um 3 zwei Beethovenkonzerte auf drei-Sterne-Niveau zu spielen und keine 2 Stunden später im Schillertheater eine dreistündige Oper.
Beethoven Es-Dur Konzert stand für MA nie im Zentrum. Auch das c-Moll habe ich nie mit ihr gehört. Stimmt schon was Sie sagen, Drama ist nicht oberstes Gebot für sie. Nicht umsonst macht sie gerne und viel Kammermusik.
@Bekker: Adorno fällt zu Nr. 1 und 2 in seinem Beethovenbuch auch nichts ein. Das war die Zeit, als man Così, Tito, Macbeth oder Don Carlo für nicht repertoiretauglich hielt.
Sie saßen A? Oder sind Sie zum Schluss runter? Ich G
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Nee, A
In einer Traube von musikliebenden Franzosen.
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Argerich und Barenboim… Solche Nachmittage lobe ich mir
Den Beethoven dirigiert Barenboim doch im Koma noch auswendig.
Der einzige Tag, an dem Barenboim dazu nicht imstande gewesen wäre, waren wohl die ersten 24 Stunden nach dem verlorenen WM Finale Argentinien – Deutschland :-))))
Was war eigentlich mit Barenboim los? Einmal ist er abgetaucht. Musster er Schuhe binden? War wohl nichts schlimmes, weil Julia Deyenka jedenfalls grinsen musste. Und mit einsetzendem Tutti war er plötzlich wieder oben.
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Ethereal Martha! So much emotion, sentiment, and yearning.
Absolutely beautifully played!
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Nichts neues bei Ihnen, Herr Schlatz. Immer diese Barenboim Lobhudelei
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Lieber Herr Müller, wenn, dann ist dies Argerich-Lobhudelei.
Um Ihnen einen unverstellten Begriff von Barenboim-Lobhudelei zu geben, lesen Sie bitte meine Besprechungen von Bruckner-Aufführungen der Staatskapelle.
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Das war ein emotional bewegendes und künstlerisch befriedigendes Konzert in der Philharmonie. Wie rührend das Geburtstagsständchen für Martha Argerich – die Orchestermitglieder waren selbst sichtbar bewegt!
Wenn ich einen Satz nennen sollte, der mir besonders unter die Haut ging, so war dies das Adagio aus dem 2. Klavierkonzert B-Dur. Schon der Einsatz mit der Staatskapelle war magisch, und dann die unbeschreibliche Martha Argerich, so vollendet lyrisch und unendlich klug und ohne jede Überheblichkeit sie spielte.
Elisabeth
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Super, klar, „La Martha“ ist die allerbeste. Einfach himmlisch der Anschlag etc. etc etc.
Nur dass eine Mitsuko Uchida die Konzerte viel spannender und vielschichtiger und ergo auch moderne spielt.
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Die Dame in der ersten Reihe, die bei der Zugabe von Argerich pausenlos mit dem Handy mitgefilmt hat und das auch noch stehend, war ja das Allerletzte
So was von mangelnder Respekt
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