
Anna Netrebko: Können dieser Helm, dieses eherne Schwert, dieser kecke Pony Böses wollen? / Foto: Brescia/Amisano / teatroallascala.org
Inaugurazione an der Scala.
Giovanna d’Arco ist bester frühmittlerer Verdi. Und wird nur sporadisch inszeniert. Zu Unrecht. In Verdis Historienspektakel stoßen theatralische Wucht, Offenbach’scher Schwung und fanfarendurchleuchtete Ensembles erfrischend hart aufeinander. Die Chorszenen brennen wie trockenes Stroh. Verdis Heftigkeit war eine Erfindung, die die 1840er ähnlich nachhaltig revolutionierte wie das iPhone die Jahre um 2010. Freilich, in Sachen atmosphärischer und dramaturgischer Stringenz legten die Werke der Rigoletto-und-Traviata-Jahre die Latte hörbar höher. In Giovanna d’Arco triumphieren (noch) die bunten Effekte, das Libretto wurde in Grobmontage zusammengeleimt, die Handlung ist an Absurditäten reich.
Was für eine ehrgeizige Regie nicht von Nachteil sein muss – und schon gar nicht für ein neugieriges Verdi-Publikum. Nicht ganz zu Unrecht entwickelt darum das Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier für die Mailänder Jean d’Arc eine Lesart, die unbekümmert Collage- und Kammerspielelemente verbandelt. Ins Zentrum stellen Leiser und Caurier die Titelheldin (Anna Netrebko) als kulleräugig verträumten Backfisch. Sie inszenieren Verdis erste Schilleroper als Kinderzimmertraum. OK, dieser psychologisierende Dreh ist nicht gerade neu und aus etlichen Inszenierungen thematisch ähnlich gelagerter Wagnerwerke bekannt. Dumm nur, dass aus dem Dreh an der Scala so gar nichts wird. Denn konzeptionell pendelt die Neuproduktion mit gewollter Nähe zum Sci-Fi-Trash zwischen dekorativer Harmlosigkeit und unfreiwilliger Putzigkeit.
Vielsagend sind die Bilder, die von Anna Netrebko haften bleiben. Da ist das Bild der fraulich-reifen Giovanna, die in stämmigen Leggings das Theaterschwert schwingt. Da ist das Bild der pausbäckigen Diva mit Goldhelm, die jeder Trash-Fantasy-Produktion Ehre gemacht hätte (Kostüme Agostino Cavalca). Herrlich. Fragt sich nur, wo die Grenze zwischen kalkuliertem Regiewitz und inszenatorischem Megaflop verläuft. Das ist übrigens die Kernfrage des Abends. Das Bühnenbild (Christian Fenouillat) findet schöne Bilder für die fließenden Grenzen zwischen Traum und Realität, die Giovannas Inneres so kindlich-kompliziert machen. Die ziselierte Pappmaschee-Gotik der Reims-Szenen zählt hingegen zu den harschen Fehlgriffen der Regie. Herrje, sieht so nicht übelster Opernplunder aus? Mehr Plunder als Power bieten ebenso die großartigen Massenszenen der Chorensembles. Derart linkische Tableaus habe ich selten gesehen.
Sängerisch wird Netrebko den Erwartungen teilweise gerecht. In „Sempre all’alba“ zu Beginn schleichen sich noch Unebenheiten ein. Netrebko bringt für diese Höhen nicht die Tessitura mit. Eindringlicher gelingt das in ruhigere Fahrwasser gelenkte, direkt anschließende kurze Rezitativ „Ma… le stanche pupille“. Einzelne Brava-Rufe. Giovannas herrliches, keckes „Son guerriera che a gloria t’invita“ hinterlässt einen hektischen Eindruck. Zudem stört das ungeplante Atemholen inmitten der Phrase.
Schön gelingt ihr „O fatidica foresta“, insbesondere dank reicher Ausstattung mit A-Vokalen, die im mittleren und unteren Register bronzen schimmern. Die Arie gibt der Sängerin alle Zeit der Welt, Vokale auf seelenvollen Piano-Aufschwüngen auszuspinnen und sich rührend um Verdis „ergreifende Empfindsamkeit“ (Julian Budden) zu kümmern.
Aber auch hier kommt mir Netrebkos Piano weniger beherrscht vor als noch vor zwei, drei Jahren. Die Stretta-artigen Schlüsse klingen bei ihr nicht frei. Für „Contro l’anima percossa“ aus der Ensembleszene des dritten Aktfinales hat Anna Netrebkos pfundiges Franzosenmädel nicht die Agilität. In der zugegebenermaßen hochgelegenen und melodisch nicht sehr ingeniösen Schlusswendung bleibt Anna Netrebko gut hörbar, doch fehlen ihr Kraft und Fülle für eine souveräne Gestaltung. Hervorragend wieder „Amai, ma un solo istante“. In der Arie entfaltet sich ihr Stimmklang pflanzengleich und affektreich wuchernd in sentimentalen Abwärtsfiguren.
Francesco Meli (König Carlo) stapft als vergoldete Luke-Skywalker-Attrappe über die Bühne. Der strenge Kostümbildner verordnete Meli die Vollvergoldung von der Sohle bis zum Scheitel. Melis heller, italienisch timbrierter Tenor zählt nicht zu den geschmeidigsten. Die Spitzentöne kommen ordentlich, sind aber beengt. „Sotto una quercia“ (Akt 1) findet lauen Applaus. Im Laufe der Vorstellung zeigt Meli aber, wie viel Romantik in ihm steckt. Mit feiner Sensibilität singt er in jenen Szenen, in denen Zuschauerherzen schmelzen. Francesco Melis tonschöne Arien zeigen, was Verdi-Fans wirklich wollen. Das Timbre in der Höhe erinnert von fern an José Carreras, ohne indes dessen Zurschaustellung forcierten, weil offenkehligen tenoralen Schmelzes zu huldigen.
Die Premiere wird durch die kurzfristige Absage von Carlos Álvarez für die Rolle des Giacomo belastet. Devid Cecconi bietet Ersatz. Cecconi, in Leipzig und Triest aktiv, ist klanglich beschränkt, singt aber in der Arie „Speme al vecchio era una figlia“ mit Gefühl, schattiert dynamisch ab und phrasiert aufmerksam. Typisch für Cecconi sind der neblige Klang und die affektgetränkten klanglichen Verfärbungen, die seinem Singen eine provinzielle Note geben. Attraktiv singt Cecconi das feurige „Comparire il ciel m’ha stretto“.
Dimitri Beloselskij (Talbot) lässt ein energisches und sauber phrasiertes „Franco son io“ hören, eine Arie voll Verdi’schen Schönheitsschmelzes. Ließe Beloselskij die Sängerunart des Schluchzens, wäre ich noch zufriedener. Michele Mauro ist Delil.
Riccardo Chailly spendiert Verdis Jungfrau von Orléans über die üblichen Verdi-Zutaten Brio, Bravour und Attacke hinaus erfreulicherweise auch schöne Intonation und Präzision. Chor der Scala und Ensemble zeigen in der Siedehitze der Tutti-Finali herrischen Impetus. Ja, Chailly (und Verdi) sind gerade in den hymnischen Final-Ensembles auf der Höhe ihres Könnens.
Ob der Arte-Zuschauer dem Näseln der stechschritthaft skandierenden Arte-Moderatorin Annette Gerlach gewogen ist, bleibt eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Erschreckend provinzielle Regie.
Das Fialen-Getüddel erinnerte mich fatal an Tiezzis Boccanegra an der hiesigen Berliner Staatsoper.
„Live“ bei Arte war dann 3 Stunden später aber Schwamm drüber. Man konnte auch auf BR Klassik in real live hören.
LikeLike
Ich habe auf Arte zugeschaut. Der 7. Dezember ist bei mir immer im Kalender für die Übertragung aus der Scala reserviert.
Mich erinnerte die Vorstellung der Scala an das Musical Les Miserables. Zuviel wurde es mir als plötzlich der Jesus „aufgekreuzt“ ist. Interessant finde ic h den Ansatz aber schon die Geschichte als Traum einer jungen Frau zu erzählen. Auch wenn auf Dauer das nicht ganz trägt wie ich mir gestehen muss als ich den Livestream ausschalte.
Netrebko verkörperte die Johanna aufopferungsvoll. Bravo
Bei Carlo habe ich immer an Lohengrin gedacht. Das muss ja nicht sein.
LikeGefällt 1 Person
Unwürdig der Scala
LikeLike
Rumhacken auf Stars, das könnt ihr sonst nichts
LikeLike
Io penso che ein deutlicher Einfluss von Castorf sichtbar war LOL
Netrebko war fein. Und ja, AN’s Stimme ist oben nicht mehr so kraftvoll
LikeGefällt 1 Person
In der Tat gibt das Libretto von Temistocle Solera, das sich von Schillers Originalvorlage „Die Jungfrau von Orleans“ zuweilen weit entfernt, dem gleichfalls eigenwilligen Regie-Duo Moshe Leiser und Patrice Caurier auch Probleme auf. Mit ihrer mise en scène von Donizettis „Stuarda“ am 23. Juni 2015 im Pariser Théatre des Champs-Elysées war ich schon nicht recht begeistert, da sie den beiden Königinnen zwar ansehnliche tradititionelle Roben gönnten, alle anderen Protagonisten und den Chor in moderne (will sagen billige) Massenkonfektion steckten. Was damit bezweckt werden sollte, ist mir bis heute schleierhaft geblieben. Ihre Idee, den „Liebestraum einer hysterischen Jungfrau“ (Titel der Kritik im schweiz. Tages-Anzeiger vom 9/12/2015) ist da schon origineller, besonders die ach so putzigen Kostüme der Teufelchen in der Bettszene. Goldhelm und Rüstung der Netrebko hätte ich mir gern selbst einmal für eine „Römerparty“ für den Hausgebrauch ausgeliehen. Leider ist ihre Figur mit den Jahren etwas in die Breite gegangen, so dass man für die Vorstellung der „Jungfrau“ schon seine Fantasie bemühen muss. Allderdings: sie bewältigt diese recht anspruchsvolle Rolle mit Bravour. Auch die verschiedenen Kritikpunkte des obigen Artikels können diesen Eindruck nicht schmälern. Francsco Meli hat für meinen Geschmack das genau richtige „Verdi-Timbre“, selbst wenn seine Spirtzentöne nicht heroische Gefilde erklimmen. Der Kritik über Devid Cecconi stimme ich zu, da er leider den Einbdruck einer „Provinzialität“ nicht vermeidet. Der gut einstudierte Chor und die präzisen Einsätze des mit voller Italianità agierenden Maestro Chailly haben uns einen sehr aufschlussreichen und unterhaltsamen TV-Abend beschert.
LikeLike