Hier Premierenkritik zur Traviata 2015 im Schillertheater lesen. Im Wissen um die geniale Ökonomie der Traviata (keine unnötige Note, jede Partiturseite ein Geniestreich) konzentriert sich Mussbachs Inszenierung auf das Wesentliche. Der Chor wird von Mussbach sparsam, aber wirkungsvoll eingesetzt.

Es ist eine gute Repertoirevorstellung.

Jessica Nuccio: Macht als Violetta einen positiven Eindruck. Ihr Sopran zeichnet sich durch eine ebenmäßige Klangqualität und eine gut fokussierte Höhe aus. Im Piano schwingt ihr Ton klar und sauber.

Ihr schönes Piano füllt problemlos das Schillertheater. Das kann sie ziemlich gut. Sie brilliert in den weit gespannten Bögen Verdis, aber die Bögen dürfen weder zu langsam noch zu schnell sein. Bei den langsamen gibt es Absacker bei der Spannung, bei den schnellen solche des Gefühls. Hoppla, ich vermisse die persönliche Färbung – hin und wieder. „Sempre libera“ ist mit Engagement, aber nicht mit Herz gesungen.

Die voll ausgesungenen Spitzentöne „sitzen“ nicht ganz. Macht aber nichts. Frau Nuccio ist jung. Das wird schon. Im letzten Akt macht sie nur kurz den Fehler, mit lungenschwacher Stimme möglichst schlecht eine Lungenkranke zu singen, anstatt mit gesunder Stimme möglichst gut eine Lungenkranke. Viel Applaus.

Sergey Skorokhodov: Skorokhodov trifft den jugendlichen, lyrischen Charakter des Alfredo gut. Sein heller, fester Tenor hat ein gutes Timbre, ist im mittleren Register klangschön und kann sehr interessant klingen. Erfreulich ist die sehr genaue Phrasierung, auch wenn sein Singen kein herausragendes Beispiel für stilistische Eleganz ist. „De miei bollenti spiriti“ fehlt ein bissl der italienische Schwung – vielen Dank übrigens für das schöne Hornsolo an dieser Stelle.

Alfredo Daza: Wetteifert mit Skorokhodov um die zweite Stelle in der Publikumsgunst. Er wirft seine umwerfende Emphase in die Waagschale.

Katharina Kammerloher singt eine prägnante Flora. Annika Schlicht singt eine lebhafte Annina.

Licht und Schatten bei Domingo Hindoyan, aber mehr Schatten. Der junge Dirigent ist seit dieser Saison erster Assistent von Barenboim. Den Vorspielen zum 1. und 3. Akt fehlt Linie, wenn auch nicht träumerische Empfindung. Naja, besonders die Streicher – kalkig, streifig – waren heute Abend tlws. nur in zweiter Besetzung vertreten. Sänger und Orchester gehen öfters eigene Wege. Orchesterschläge klappern. Aber die Zigeunerszene klingt wie aus einem Guss. Und die Klarinette vor dem Auftritt Alfredos im 2. Akt, ach, ein Traum.