Jaap van Zweden kennt niemand, also zumindest in Berlin nicht. Dann aber neulich im Rizz, einem Restaurant in der Grimmstraße mit bekanntermaßen schlechtem Essen. Ein Bekannter sagt: „Van Zweden ist eine coole Socke.“ Der Bekannte zwei Tage später per SMS: „Zweden wird Hammerkonzert. Gehe Freitag.“
Ich gehe also freitags. Wer freitags nicht kommt ist, naja, schon klar. Also ich allein in Jaap van Zwedens Philharmoniker-Debüt.
Die Musik für Saiteninstrumente, die Mariss Jansons dirigieren wollte, ist raus dem Programm. Dafür kommt das Konzert für Orchester rein. Konzertmeister Braunstein bekommt einen extra herzlichen Applaus. Guy Braunstein verlässt wohl die Philharmoniker.
Brahms, 1. Sinfonie: Das Orchester lässt die Sau raus. Das Blech darf posaunen wie selten. Die Streicher immer volle Pulle, besonders Celli und Bässe. Halt, stimmt nicht ganz. Im zweiten Satz erreichen die Geigen leichtfüßige, gleißende Höhen. Zwedens Zugriff hat was von Rattle. Dichte Textur, mutiger Einsatz, emphatische Verklammerungen. Aber kaum einer hat uninteressantere Decrescendi dirigiert als Zweden (die Crescendi sind viel besser). Keiner hat einen bizeps-gesteuerteren, stählerneren Brahms mit den Philharmonikern dirigiert. Die Liebenswürdigkeiten sind in dieser 1. Sinfonie dünn gesät. Zweden kombiniert kräftiges Tempo mit unverblümter Lautstärke. Ein Brahms wie der krachende Biss in eine niederländische Karotte, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Schönes Dolce-Solo von Jonathan Kelly (Oboe) zu Beginn, glühendes Braunstein-Solo gegen Ende des zweiten Satzes. Prachtvolles „sempre f e passionato“-Solo von Andreas Blau (Flöte) im Più Andante des Finales.
Béla Bartók, Konzert für Orchester: Konzentrierter und hochkarätiger Anfang. Der Rest ist eine Mischung aus Bulligkeit und dezidierter Charmelosigkeit. Die Streicher ohne die gewohnt präzisen Linien. Die Pizzicati der Bässe sind auch so, naja, n bissl pummelig. Bei den finalen Bläserfanfaren möchte man aufstehen und rufen: „Jaja, Jungs, ihr könnt’s ja“. Im Giuoco delle Coppie sind die osterhasenhaft hoppelnden Fagotte und die radieschenscharfen Sekunden der Trompeten immer wieder ein Genuss. Das Finale beeindruckt durch ungezügelt voranstürmende Energie. Den Berliner Philharmonikern macht es scheints Spaß.
Mein Bekannter war dann beim Theatertreffen.
Genesungswünsche an Mariss Jansons.
Ich war am Donnerstag in der Philharmonie, und ich muss sagen, dass es mir ähnlich ging. Ich habe einen hochmotivierten Jaap van Zweden erlebt. Die Philharmoniker lassen sich mitreißen, das war auch mein Eindruck. Ich musste jedoch desöfteren an einen Formel-1-Fahrer denken, der die ganze Saison lang im Sauber hinterherfährt, plötzlich im Wagen von Vettel sitzt und erst lernen muss, mit so viel PS unterm Hintern umzugehen. Lyrische Stellen fehlten bei Brahms so gut wie vollständig, Jaap van Zweden verzichtete auf Schattierungen, und oft genug hieß das Motto einfach nur Vollgas volle Kraft voraus. Den Bartok habe ich positiver erlebt, die Ecksätze hatten einen absolut mitreißenden Drive.
Grüße
Hartmut
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Versteh ich nicht. Das war ja wohl einer der besten Abende in den letzten Jahren in der Philharmonie. Versteh ich echt nicht.
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Diese Einschätzung finde ich deutlich zu hoch gegriffen. Van Zwedens Paradedisziplin scheint das Auf-die-Tube-drücken zu sein. Wo leisere Töne angebracht wären, hat van Zweden die Bläser einfach weiterspielen lassen, bspw. in Bartok Kopfsatz. Und die Meisterschaft von Mariss Jansons liegt für Zweden noch einstweilen in weiter Ferne. Ich nenne nur Jansons‘ meisterhafte Koordination der Orchestergruppen.
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Dann waren wir wohl nicht im selben Konzert. Das Publikum applaudierte lautstark, die Philharmoniker blieben bis zum vierten Hervorrufen des Dirigenten sitzen. Etliche Bravos. Was sagt uns das?
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Braunstein geht? Wusste ich noch gar nicht.
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Braunstein steht nicht mehr im neuen Saisonheft.
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Soloklarinettist Andreas Ottensamer verlässt die Berliner auch. Wäre schade.
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Und wie gehabt: Warum Thielemann nächste Saison nicht bei den Philharmonikern gastiert, ist mir immer noch ein riesengroßes Rätsel. Karl-Heinz Steffens, Goebels et allii in allen Ehren, aber Thielemann jetzt 1, 5 Jahre gar nicht mit den Philharmonikern zu hören, ist ungerecht
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@im Wagen von Vettel sitzt
Super Konzert. WIE Zweden dirigiert (optisch) ist unkonventionell, WAS dabei rauskommt klang in meinen Ohren absolut überzeugend. Das Finale der 4. Sinfonie klang schon sehr deutlich nach Vettel. Ohne dass ich mich in irgendeiner Weise dafür aussprechen will, Vettels Fahrstil als empfehlenswerte ästhetische Kategorie für die Spielweise der Philharmoniker anzusehen. Bei der Coda bin ich ausgeflippt. By the way: zu viel Lautstärke ist selten schlecht, at least wenn sie von den Philharmonikern kommt.
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War auch am Freitag da. Anfang Bartok (Kontrabässe, Celli) war so spannungsgeladen und konzentriert, dass ich ein Bomben-Bartok erwartet habe; der ist es dann leider nicht geworden, der Anfang hatte zu viel versprochen.
Brahms dann mit der hier schon oft beschriebenen Wucht. Muss man im Debüt-Konzert auch erstmal hinbekommen. Oft ziehen sich die Philharmoniker ja eher zurück, wenn man sie zu sehr an die Kandare nimmt. Und genau das hat Jaap van Sweeden ja gemacht: dirigiert wie ein Dompteur. (Leider nicht wie ein Magier, vieles war dann halt kraftvoll, aber so richtig Fluss kam nicht rein, wie z.B. beim total statischen Haupt-Thema im vierten Satz Brahms). Insgesamt ein wirklich spannendes Konzert, das es locker mit dem Theatertreffen (zumindest dem Freitagsangebot) aufnehmen konnte.
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Bin im dritten Satz Brahms endgültig ausgestiegen. Obwohl das Finale Brahms einen beeindruckend konsequenten Zug hatte, aber so viel rohe Gewalt dürfte auch im Berghain eher die Ausnahme sein.
Jaap van Zweden kommt sicherlich wieder. Dann dürfte er weniger plakativ zur Sache gehen.
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