So ein schöner Tag. Wenn Barenboim nicht gewesen wäre, wäre ich am Scharmützelsee gewesen.
Gedenkkonzert für Kurt Sanderling.
Sehr schönes Kol Nidrei von Max Bruch. Dann Eliott Carters Cellokonzert. Alisa Weilerstein spielt mit warmem, himmlisch beseeltem Ton. Dann Bruckner, 9. Sinfonie.
1. Satz: Summarische Behandlung der Blöcke, gedrängte Massivität des Tutti, ausdrucksenthusiastisches Ausströmen der Bläser, erregte Ausdruckssattheit, warmtönige Bläser, Verdichtung des Atmens, wo’s nur geht, implosiv geballte Höhepunkte. 1. Satz ca. 24:20 Min.
Das ff-Motiv des Scherzos trifft einen mit der Wucht einer Bazooka. Rabiate Gewalttätigkeit.
Das Adagio beginnt mit der schönsten None der Musikgeschichte. Barenboim deutet das „etwas fließender“ als „etwas drängender“. Brüllen der ff-Stelle (Bläser) und mf-Stelle (Streicher). Unheimlich schöne Posaunen-, Tuba- und Hörnerstelle vor dem zweiten Thema mit langgezogenem, heftigstem dolce. Das 2. Thema dann eher „zart“ als „sehr breit“. Großräumige Steigerungen der Staatskapelle mit herzbrechenden Pianos und Poco-a-poco-crescendos. Irgendwann dann die großartigen Zweiunddreißigstel-Trompetenkrächzer. Langgezogene Geigenlinien. Über große Bögen hinweg von kaum zu steigernder innerer Weite. Zuletzt bei „sehr zart“ Rheingold-Schimmer, bis in die Haltetöne der Hörner und deren leicht abweichende Frequenzen hinein.
Aha, Guy Braunstein – seines Zeichens Konzertmeister der Philharmoniker – hört bei Bruckner zu. Nach jedem Satz tauscht er sich mit seinem Sitznachbarn aus. Barenboim frönt seinem Laster, den Blumenstrauß zu zerrupfen und die Blumen an Damen der Staatskapelle zu verteilen, ausführlich.
Von dem Musikfest/Sanderling-Gedenkkonzert habe ich die gestrige Version in der Philharmonie besucht. Ich kannte Barenboims Bruckner bisher vor allem aus dem Beethoven-Bruckner-Marathon vor zwei Jahren: da waren die Programme zu lang, das Orchester zuletzt mehr und mehr erschöpft und der Meister selbst offensichtlich stark erkältet. In der Kombination war das dem Brucknerschen Oevre nicht förderlich. Gestern war das anders.
Das Scherzo war mir – und hörbar auch ersten Geigen und Celli bei ihren Achtel-Auf- bzw. Abgängen – einen Ticken zu schnell; schöner ist es, wenn das 3/8-Trio mit einer deutlichen Temporückung nach vorn beginnt. Bei dem schnellen Grundtempo blieb dies leider aus. Gigantisch – und vllt geht das nur bei der flotten Spielweise – waren allerdings die ff-Ausbrüche. Insgesamt sehr ordentlich.
Das Adagio groß von vorn bis hinten. Die erste Halbe der ersten Geigen leider verwackelt, Barenboims Einsatz wirkte nicht ganz präzise; die unmittelbar nachfolgende „schönste None der Musikgeschichte“ hat einen das schnell vergessen gemacht. Nach hinten raus wuchs die Staatskapelle über sich selber hinaus, das war schon ganz 20. Jahrhundert, was mir vorher so noch nicht aufgefallen war.
Alisa Weilersteins Ton war mir zu eng und blechern – das mag aber an meinem Platz gelegen haben, vor der Pause E rechts, Reihe 3, und E ist immer etwas problematisch.
Zum Abschluss wieder die Blumennummer. War diesmal etwas zu viel des Guten. Barenboim wirkte wie ein in die Jahre gekommener Schauspieler, der sich seine standing ovations dadurch ergaunert, dass er noch mal auf die Bühne kommt, wenn alle schon am Gehen sind. So wurde denn auch Jürgen Flimm zum Bleiben und Applaudieren sichtlich genötigt.
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E rechts kann in der Tat heikel sein, man hat immer das Gefühl, man könne den Bassisten die Haare kraulen. E links ist traumhaft. Ich habe in E vorne – sitze sehr selten da – meist den Eindruck, ich hätte ein extrem starkes Weitwinkel vorm Ohr. Die Staatskapelle bleibt aber auch selbst ganz gerne sitzen…
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Great concert. I have never heard a better Ninth
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