Typisches Konzert mit Barenboim. Bruckner und noch was. Eine Abendwolke im Osten über dem Gendarmenmarkt. Rilke nannte so was „Abend… stille die Fernen.“ Und jetzt von der stillen Prager Neoromantik zur vorlauten österreichischen Spätromantik.

Jottseidank, die Bruckner-Sechste gibt es nur in einer Fassung. Kein Stress mit Varianten. Daniel Barenboim dirigiert wie Lord Nelson die britische Flotte bei Trafalgar: konzentriert und souverän, in genauer Kenntnis der Umstände, mit voller Kraft vorrückend. Die Streicher schmolzen 

selbst breitesten Brucknerbeton in atmende, flexibelste Gestik um. 1. Satz: Schon wenn die ersten und zweiten Geigen im dritten Takt das punktierte Halbe-C erreichen, ist es kolsossal. Dieses Verzögern, das Fließen, dieses unruhevolle Ausruhen, hmmm.Vollmundiger, nuancierter, sich im übergeordneten Kollektiv verströmender (dies einer der Unterschiede zu den Philharmonikern) Bläsergesang. Brachial strahlende Entfesselung des Klanges, wenn’s hoch hergeht. Das „sehr ruhig und feierlich“ in der Coda kommt flüssiger als gewohnt, doch organisch und geheimnisvoll.

Das Bruckner-Adagio war unbestritten das Zentrum. Der erste Satz besaß aufgrund dessen beinahe Expositionscharakter. E-Dur-Celli, dann c-moll-Posaunen, die das Pathos des dritten Themas bis zur Neige leersaugen. Erinnerungen werden wach an Barenboims hypergeniale 2007er-Parsifals in der Staatsoper. Und das Ganze auch noch ohne falsche Schwere, innerlich bewegt, nachgerade zügig. Exzellenter Bruckner.

Die Freiheit der Zeitmaße im Finale, aber teils auch schon im Trio, die Barenboim gelingt, macht mich platt. Stellenweise hat das Blechchoral- und Streichergesangs-durchglühte Finale einen Raubeinigkeitsschwung, der einen perplex lässt. Die üppig belockte Dame  – letzte Reihe Bratschen – hilft doch auch hin und wieder bei den Philharmonikern aus, oder? 1. Satz: knapp 16 Minuten.

Vorher einen doppelten Espresso getrunken, mit 3 Löffeln Zucker drin. Ich erlebte das anregendste Konzert seit langem. Deswegen? Ich musste mich zusammenreißen, nicht sämtliche Themen bei Mozart mitzupfeifen.

Mozart d-Moll-Klavierkonzert KV 466. Barenboim spielt, als wollte er alle Zuhörer dazu bringen, trotz Netrebko-Absage UN-BE-DINGT in den Don Giovanni zu gehen. Barenboim dirigierte mit sensibler, andeutender Patsche, immer wieder das Schweißtücherl zückend. Die Staatskapelle hat Herz und Seele am rechten Fleck, Daniel Barenboim wirft Klangfantasie, Beseeltheit sowie eine Souveränität von geradezu Trafalgarhaften Ausmaßen in die Waagschale. Besonders letztere führt zu Gedanken an den alten Backhaus (Ich weiß, all ihr Leute, die das hier wieder in den Google Translator reinhaut, lest bei Backhaus nur „old brick house“, aber ich kann das auch nicht ändern).

Klar, dass Barenboim unterm Technik-Sauberkeits-Aspekt betrachtet – vernuschelte Doppelhandpassagen – beim Tschaikowski-Wettbewerb mit viel Glück auf den vorletzten Platz käme. War das das beste Mozartkonzert seit langem? Ja.

Barenboim zerrupfte am Schluss mal wieder den Blumenstrauss so sehr, dass Floristen, wenn sie denn unter den Konzertbesuchern waren, Magenschmerzen bekommen mussten.

Streicherbesetzung Mozart: 8, 8, 6, 4. Auf die Kontrabässe hatte ich keine Sicht.

So, am Freitag noch Jansons & Philharmoniker & diese Dings da, na, wie heißt sie noch, die Neunte von Dvorak, AUSDERNEUENWELT!!!!! Und dann hab ich langsam die Schnauze voll von diesen andauernden Konzertterminen :-)

Kritik/Review Barenboim-Bruckner Staatskapelle Mozart Bruckner 6.: 2 Stunden Schlaraffenland am Stück.