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Berliner Philharmoniker – Simon Rattle: Sibelius Sinfonien Nr. 5, 6 und 7
Es fiel mir schwer, aber ich habe aufgrund von Rattles Premiere zu L’Etoile (Sonntag) in der Staatsoper auf einen Besuch der Konzerte von Claudio Abbado (Freitag bis Sonntag) verzichtet. Die Anpassung der Gehörs nach einem Konzert der Berliner Philharmoniker innerhalb von 24 Stunden klappt in der Vergangenheit nie zufriedenstellend. Uff, wie schwierig war es, La Bohème von der Staatskapelle unter Dudamel und mit Jonas Kaufmann zu hören, nachdem am Vorabend Rattle Beethovens Sechste und Achte zu hören war. Kein Abbado also diese Saison, sondern vier Mal Rattle in einer Woche. Ich war zwei Mal im letzten Konzert der diesjährigen Sibelius-Serie, die meinem Gefühl nicht unbedingt substantieller geriet als die Brahmssinfonien vor eineinhalb Jahren, jedoch auf eine leichter verständliche Weise gelungen.
Neben mir sitzt ein alter Mann, der eine Melodie vor sich hin knurrt, bis das Orchester anfängt. Kaum hat das Orchester aufgehört zu spielen, fängt er wieder an zu knurren. Das Witzige ist, dass er am zweiten Abend exakt an der selben Stelle neben mir sitzt. Die Fünfte hat mir am wenigsten gefallen von allen Sinfonien des Finnen. Die Sechste und Siebente dürfte ich mit ziemlicher Sicherheit nie zuvor gehört haben. Rattle lässt sie ohne Pause hintereinander spielen.
Kelly, Blau, Fuchs, Dohr, Kashimoto, Saksala. Am Donnerstag waren die Hörner beim Schluss der Fünften einige Millisekunden zu früh. Am Freitag kamen sie absolut zeitgleich mit dem Orchester, doch irgendwie war es da weniger eindrucksvoll. Die Bässe brachten jenen subtilen philharmonischen Wumms ein, der als Markenzeichen rechtlich geschützt werden müsste, wenn es Orchester gäbe, die in der Läge wären, ähnlich zu wummsen, und die Celli entsprachen der würdevollen Rolle, die Sibelius ihnen zugedacht hatte, vollkommen. Die Bassisten sind coole Hunde. Wenn einmal der schlaksige McDonald, der kompakte Saksala, Esko Laine und der stämmige Kohly eine imponierende Mauer aufragender Bassisten bilden, ist das in der optischen Erhabenheit nur mit dem Anblick von Wetterhorn, Eiger, Mönch und Jungfrau von Grindelwald aus zu vergleichen.
Am Donnerstag kommt Rattle zu Beginn statt des Orchesters herein und kündigt einen Chor aus Nowosibirsk an, den er absolut überwältigend fand. Folgt der Auftritt des gut zehnköpfigen Chores – alles Leute, die aussehen, wie man sich Russen vorstellt: Frisuren von 1985, die leuchtenden Augen von Komsomolzen -, der zwei Lieder singt. Am Freitag betete ich darum, dass der Chor nicht noch einmal kommt. Er kommt nicht. Die dicke, massive Frau Podium in der ersten Reihe des Podiums zog die Blicke auf sich, weil sie wie eine lebendige Skulptur von Duane Hanson aussah. Der Rock passte, die Frisur passte, die riesigen, nackten Unterschenkel passten.
Rattle kommt am Freitag nach dem Abgang des Orchesters auf das Podium und hält die Partitur der Siebten in die Höhe.