Schlagwörter

Berliner Philharmoniker Simon Rattle: Mitsuko Uchida Ligeti San Francisco Polyphony Beethoven Klavierkonzert Nr. 4 Sibelius Sinfonie Nr. 2

Ach du ganz große Scheiße. Wo ist Radek Baborák? Er ist weg. Sie suchen einen neuen Ersten Hornisten. Kein Wunder, dass ich ihn nicht mehr gesehen habe. Das ist eine schlechte Nachricht. Hätte man ihn nicht mit allen Mitteln halten können? Etwa, indem man Tschechisch zur Hauptsprache unter den Musikern gemacht hätte? Oder jedes Philharmoniker-Konzert mit einem Hornkonzert begonnen hätte? Oder ihm ein Dirigat pro Saison versprochen hätte? Langweiliger wie András Schiff kann er unmöglich dirigieren.

Ligetis San Francisco Polyphony könnte etwas spannender sein. Man hat den Eindruck, Ligeti wollte schildern, was einem Mann durch den Kopf geht, der nach einer durchfeierten Nacht auf der Terrasse eines Hauses in San Francisco den anbrechenden Morgen beobachtet und sich nebenbei auch noch allerlei Gedanken über sein Leben macht. Also gewissermaßen in der Art der Stücke, in denen Richard Strauss Szenen aus dem eigenen Leben in Musik setzte.

Mitsuko Uchida ist in Meer-Farben gekleidet: meergrün und preußisch-blau. Die Kontrabässe sind herrlich bei Beethoven. Kontinuierlich wechselnder Klang, straffes Orchester. Genauestes PP. Ruppig und agil. Traumhaftes Einsetzen des Orchesters mit dem ersten Thema im ersten und dritten Satz.

Sibelius: viele grandiose Stellen. Die Pizzicati der Bässe über den traurigen Posaunengrimassen im langsamen Satz. Karge Posaunenlinien. Hörner, die wie Posaunen klingen, Trompeten, die wie Hörner klingen. Die herb klagenden Bratschen. Die schnörkellose Kraft der Blechbläserchöre. Die tiefe Kraft der Begleitfigurenfelder.
Die kontinuierliche Apotheose des Themas im letzten Satz macht einen emotional fix und fertig. Und das zweite Thema ist in dieser Beziehung auch nicht harmloser. Die Dame neben mir sagt: ‚ein Schmachtfetzen‘. Doch es waren so ungefähr die großen Stellen der Saison. Mit dem langsamen Satz.

Uchida spielt wieder eine Kadenz, die ziemlich ein bisschen nach Uchida klingt. Noch mehr nach Uchida klang die gut und gerne über fünfminütige Kadenz des ersten Beethovenkonzerts, für die sie rasenden Applaus bekam. Uchida verbeugt sich wie ein Klappmesser. Die Haare fegen über den Boden.

Was ist zum Sibelius-Beethoven-Zyklus zu sagen? Es passierte außerordentlich viel. Guy Braunstein kommt heute rein, setzt sich. Steht wieder auf, geht raus. Ein Techniker kommt, entfernt Braunsteins Stuhl, bringt einen neuen Stuhl. Braunstein kommt wieder, schüttelt dem abgehenden Techniker die Hand. Braunstein setzt sich, macht eine Geste, die etwa bedeutet: ’na, jetzt sitzt es sich gleich besser‘. Gelächter. Rattle kommt, probiert im Vorbeigehen, ob der neue Stuhl wackelt. Gelächter. Oder bei Sibelius 4: Albrecht Mayers Oboe klingt auf einmal heiser. Man guckt schnell hin, staunend und ungläubig. Hat Mayer zwei Töne vergeigt? Ein Ding der Unmöglichkeit. Da nimmt Mayer sich das Instrument vor. Der Kollege reicht Blatt oder Faden. Mayer repariert die nächsten fünf Minuten seine Oboe, während das Orchester spielt. Oder als Braunstein nach Uchidas Beethoven 5 plötzlich in Uchidas Rosen zu nesteln beginnt – wie es dazu kommt, habe ich auch nicht genau gesehen. Schwupps, hat er eine in der Hand, schwupps steckt sie in seiner Brusttasche. Damit nicht genug. Beim Abgang schwingt sich Braunstein übers niedrige Geländer und übergibt die Rose einer Dame in der ersten Reihe. Dann kam Braunstein zu spät bei Beethoven Fünftes. Nicht zu vergessen, dass Rattle bei Ligetis Mysteries of the Macabre Musiker (‚What the hell are you playing there?‘) und Zuschauer (‚Don’t smile at me‘) anschrie.

Noch mal zu Beethoven: Rattles Beethoven – schnell und neugierig zwischen den Formteilen wechselnd, intelligent fließend, unentwegt prozessual, zupackend, äußerst sorgfältig im Dynamischen.