Schlagwörter
Berliner Philharmoniker Daniel Barenboim Beethoven Klavierkonzerte Nr. 1 & 5 Leonore Nr. 3
Konzertkritik Berliner Philharmoniker. Wie immer bekommt Barenboim einen auffallend freudigen Willkommensapplaus. Die Sache ist die, dass er sich darüber auch sichtbar freut. Wie meist ist er vollständig in Schwarz gekleidet. Die Leonore Nummer drei dirigiert er vom Podest, die Klavierkonzerte vom Schemel, was nicht unbedingt heißt, dass er sitzt. Da der Flügel offen ist, hört man auf den steil ansteigenden Seitenplätzen jede Tonschattierung. Barenboim dirigiert rührend, schlenkernd, umarmend, in einer Art animierenden Kommandosprache, die von der Dialektik von Einsatzhinweis und Taktvorgabe denkbar weit entfernt ist. Die Fortissimostellen ohne Klavierstimme sticht Barenboim zuckend und doppelarmig ins Orchester.
Konzentriert er sich auf eine Piano-Figuration der Linken, beugt er sich über die Tasten und gibt mit der Rechten hinter seinem Rücken den ersten Geigen einen blinden Wedeleinsatz. Er beugt sich so weit über das Klavier, dass man fürchtet, er kippe und müsse mit der Hand auf die offenliegenden Saiten fassen. Wenn es besonders schnell gehen muss, schafft er in einer zweitaktigen Klavierpause immer noch den Griff zum Schweißtuch und einen armhochwerfenden Einsatz die jeweilige Orchestergruppe. Im Fünften Klavierkonzert, als das Orchester alleine spielt, gibt Barenboim die Einsätze bis zu einer Sekunde vorher.
Leonore Nr. 3 legte Barenboim unheimlich genau hin. Die Streicher artikulierten überempfindlich, als hauchten sie Beethoven aus. Es war schlichtweg prächtig. Die Bläser nuschelten hinneigender als sonst. Das ganze lebte, es war Ölskizze und Prunkstück zugleich und dramatisch sinnvoll vom Strömen des Pianos über die packende Gewalt der Tutti bis hin zu Stauung und Entladung der Kadenzen. Das ist das Charakteristische an Barenboim: Alles hängt mit allem zusammen. Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 op. 15 C-Dur lag dem Orchester (und wohl auch Daniel Barenboim) besser als die Nr. 5 nach der Pause.
Für die Streicher galt dasselbe wie bei der Ouvertüre. Das Zusammenspiel der Instrumente war intensiv, sie schmolzen quasi ineinander. Barenboims Anschlag war warm, kraftvoll, schwärmend und verband sich, selbst orchestral und sinfonisch, gleich auf gleich mit den Stimmen der Berliner Philharmoniker. Das C-Dur-Konzert klang wiegend durchpulst, melodisch unendlich warm, spielerisch, lebhaft, angriffslustig und in pathetischem Ernst immer wieder ganz auf sich konzentriert.
Die langsamen Sätze waren Offenbarungen. Im Zentrum stand die Gegenwart des Erklingens. Barenboims Klavierspiel ist stets für das unmittelbare Hören gedacht. Barenboim denkt nicht in Vordersatz und Nachsatz. Sein Klavierspiel (wie sein Dirigat) fließt durch Motivfragmente, lineare Gliederungen, Phrasenhöhepunkte hindurch wie Röntgenstrahlung durch einen Brustkorb. Weiter weg von der Metrik (eins, zwei, drei, vier, eins, zwei… Jansons macht das so) ist nicht leicht ein Dirigent.
Die mehrfach massierten Töne, die dichte Folge heftiger Akkorde im Klavier sind zu viel fürs Durchhören. Man wird von den Strudeln, die in der Durchführung wie der Coda, aber auch den thematischen Komplexen fortgerissen. Das Finale des fünften Klavierkonzertes und auch schon der Kopfsatz des Es-Dur-Konzerts wiesen einige Schwächen beim Orchester auf. Das Orchestertutti klingt plötzlich in den gewichtigen rhythmischen Formeln leicht pauschal. Barenboim und Berliner Philharmoniker ließen sich vereint und glücklich treiben.
Auch die Verbindung von Klavierstimmen und Orchester war beim op. 73 leicht willkürlicher. Ich denke, Barenboim ließ es hier einfach laufen, und die Philharmoniker spielten schlicht, wie sie dachten, dass es hinhaue. Manchmal dachte man (beim Klavierkonzert Nr. 5), Pollini hätte das anders gemacht. Konzertkritik: hinreißender Schwung bei op. 15 und Leonore Nr. 3, etwas pauschaler Pomp bei op. 73.