Kritik Tristan und Isolde Staatsoper Berlin. Oh Mann, was für ein Brocken. Die Vorstellung am 21. 9. 2008 befriedigte viele Wünsche. Mittags sang Thomas Quasthoff „Die Schöne Müllerin“, Daniel Barenboim begleitete. Am Abend zeigte Barenboim, dass zwischen Schubert und Wagner nicht Schumann, Berlioz und Bellini liegen, sondern nur vier Stunden. Dieses Mal sang Polaski „stürbe“, Gambill blieb allerdings bei „starb“. Folgte eine weitere Vorstellung, Gambill würde nun auch „stürbe“ singen. Es gab ein sehr schönes „Ich bin’s, ich bin’s/süßester Freund“ von Deborah Polaski und mitreißendes simultanes Singen von Polaski und Gambill. Gambill sang zudem nuanchenreicher als zuvor. Michelle DeYoung fand differenzierte, geradezu berückende Farben. Ihr „Einsam wachend“ klang betörend, das verhaltene Strömen des Melos und die Stuktur ihrer Stimme waren exquisit verwoben. Entzückend lodernd kam vieles aus dem ersten Auftritt des zweiten Aktes: „Wehe, wehe“, „die Fackel dort lösche nicht“ und einiges weiteres. Michelle DeYoung gelang auch ein entzückendes Wedeln des verneinenden Fingers, als sie Isolde belehrt: „Ich höre der Hörner Schall“ (Was für ein gut gebauter Satz übrigens). Polaski gibt ja lieber die hochdramatische Essenz einer Rolle, will sagen ohne jede Prise Eigensinn.
Reiner Goldberg gab Melot die nervöse Duckmäusrigkeit eines Melot. Man hat den Eindruck, es gebe derzeit kein Opernorchester, das Tristan besser hinbekommt. Die kumulative Schlagkraft der verknappten Motivformeln zu Ende des ersten und zweiten Aktes ist hörenswert, um es zurückhaltend zu formulieren. Barenboim steuert Tristan & Isolde wie einen Supertanker, der auf einmal einen Salto fliegt. Die Taktik Wagners, einen historistischen Fünfstünder durch endloses An- und Abschwellen, durch die vertrackte und dichtgesetzte Abfolge von Klimax und Absturz zu gliedern, geht immer auf und hat narkotische Wirkung. Den tremolierenden Halteton der Geigen nach „Das Schiff? Sähst du’s noch nicht?“ hört man noch 24 Stunden später im Ohr.
Andere Stellen waren die packenden Streicherfiguren zu Markes Monolog (II. Akt) oder die beißende Gewalt der Tutti im dritten Akt. Überhaupt die Tutti, die alles erfüllten und zwischen den beiden Polen schneidender Schärfe und tragischer Implosion hin- und herfluteten. Eine zurückhaltende Frauenstimme äußerte während des Schlussapplauses drei Buhs für Gambill. Man hörte sie nur, wenn man mit Gambill nicht gänzlich zufrieden war. Michelle DeYoung kann beim Schlussapplaus gar nicht aufhören vor Glück zu grinsen. Gerd Grochowski grinst ebenfalls und macht den Eindruck eines Extremkletterers, der soeben mit frischem Schwung die Eiger-Nordwand durchklettert ist.
Polaski ist noch gezeichnet von den Anstrengungen der Isolde. Barenboim beendet den langen Applaus mit der für ihn charakteristischen jovialen Geste.