Deborah Polaski Robert Gambill Michelle DeYoung Gerd Grochowski Reiner Goldberg

Kritik Tristan und Isolde Staatsoper Berlin. Barenboim, Berlin, Tristan… aber fangen wir mit Deborah Polaski an. Katarina Dalayman ist nach der ersten Vorstellung krank geworden. Deborah Polaski… verfügt über eine laute, stabile Sopranstimme. Man kann ihren Sopran auch als stählern bezeichnen. Die Amplitude des Vibratos umfasst die Spreebiegung von der Fischerinsel bis zum Bodemuseum. Nun ist es so, dass Polaskis Lautstärke zu einer bewundernswerten Durchsetzungskraft gegenüber Barenboims, gelinde gesagt, engagierter Staatskapelle, führt. Es gibt kein Tumult des Orchesters, aus dem sie nicht herauszuhören wäre. Es wäre dennoch besser, sie sänge „Doch es rächte sich/der verscheuchte Tag“ anstatt „Dochesrächtesichderverscheuchtetag“. Es ist auch nicht so, dass ihr Sopran ein prophylaktischer Rundumschlag

gegen jede feinere Ausdrucksnuance im Umkreis von zehn Takten wäre, doch Polaskis Isolde, die doch auch außerordentlich ist, lehrt den Ruhm Waltraud Meiers verstehen. Deborah Polaski trägt die Dramatik (die theatralische Gestaltung der Zeit) nicht ins einzelne Wort hinein.

Richard Wagner Daniel Barenboim Staatsoper Berlin
Wagnerwunder Barenboim in Aktion / Foto: Chris Lee / Quelle: staatsoper-berlin.de

Ein „o“ oder ein „a“ klingt zudem immer ein bissl ungebührlich behandelt. So, als würde eine Klarinette eine Oboenstimme spielen. Oder eine Trompete eine Hörnerstimme. Oder als wollte man mit einem Mähdrescher den Garten mähen. Oder so ähnlich. Also, es ist da etwas Unflexibles in ihrer Behandlung des Materials. Hört man Robert Gambill, kann man wenig einwenden. Nur wundert man sich beim Zuhören, dass Deutsch plötzlich vokalreicher als Italienisch sein soll. Es liegt daran, dass Gambill das Deutsche von allen Konsonanten befreit und sich auf die verbliebenen Vokale konzentriert, von denen die Es wie Äs und die As wie Äs klingen und die Äs wie Es. Statt „stürbe“ singen Polaski und Gambill beide „starb“. Gambill deklamiert relativ treuherzig. Man kommt sich vor wie bei „Sissi – Schicksal einer Kaiserin“. Mehr Sachlichkeit wäre gut. Und er singt statt „Vor allem Volke/pries ich laut“ nur „Wor allem Wolgä/prie ich laud“. Ja, seis drum. Doch, Hand aufs Herz, Robert Gambill hat im dritten Akt große Momente. Ich weiß nicht warum, aber seine „I“s sind phänomenal. Laut klingt bei Gambill besser als leise. Mezzavoce steht sein Gesang desöfteren. Leichte Tonhöhenverrutscher gab es ab und an. Gerd Grochowski singt einen ehrfurchtgebietenden Kurwenal. Grochowskis staubtrocken deklamierender Bass-Bariton steht in Sachen Passgenauigkeit und Leidenschaftlichkeit des Vortrags Barenboim wenig nach. Sehr gut. Christof Fischesser (Marke) – alle Finnen bitte weghören – gefiel besser wie Matti Salminen im Mai. Fischessers Bass hört sich jung, kernig, frisch an. Außerdem singt er jedes Wort und wenn es sein muss den Anfang eines Wortes anders als die Mitte und diese anders als das Ende eines Wortes. Michelle DeYoung singt eine feinere, in Pianissimo, Farben und Linienführung delikatere, beim „Habet Acht“ jedoch weniger imponierende Brangäne als Michaela Schuster es tat. Alles kommt etwas leise heraus.

In den Farben, den Mischungen, den Stufen, im Ausdruck ist DeYoung Polaski jedoch fernsehturmhoch überlegen. Barenboim, Berlin, Tristan… Die tumultuösen Höhepunkte sind das beste im Tristan. Der Tristan dürfte die erste Oper sein, in der alles fließt. Alles, Themen, Gesten, Fanfaren, Melos, Figurationen, mutiert in einem fort. Barenboim… also Daniel Barenboim dirigiert… Zügiges Dirigat, Energie, melodische Hitze, sengende Tutti, Simultaneität der Prozesse, Monumentalmusik und Espressivo, wie immer ohne Partitur, auf dem Pult nur das Handtuch. Die Höhepunkte waren gespannt, die Triebkraft der Musik wurde herausgestellt. Wie immer alles makellos. Oft kam es zu einigermaßen großen Differenzen zwischen Barenboims hochdramatischem, jede Phrase ein- und ausatmenden Aufruhr auf der einen Seite und Polaskis Rundumschlag- und Gambills Ä-Stil auf der anderen Seite. Es sind einige Herren in der Oper, die wie Kapitäne aus Ibsens bürgerlichen Schauspielen aussehen. Einige Damen sehen aus, als kämen Sie aus Königs-Wusterhausen. Wagner zieht alle an. Kurz: es war prächtig.