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Kleiner Brahms-Zyklus im Berliner Herbst. Kritik: Alfred Brendel hüpft die wenigen Stufen zum Podium hinauf. Er setzt sich nach kurzer Verbeugung rasch. Der erste Ton Brendels nach der Orchesterexposition klingt klar, deutlich und frisch, und auch das folgende, den Ruf Brendels als einer der besten Mozartinterpreten bestätigende Spiel spannt sich zwischen den Polen Frische der Phrasierung und Vergeistigung des Anschlags. Die Gewohnheit, den letzten Ton einer Phrase deutlich abzusetzen und deutlich leiser zu spielen, stellt man an diesem Abend nicht in Frage und hört aus den unerschöpflichen Abwandlungen, in denen diese Eigenart sich manifestiert, mit Sympathie und Genuss. Das Brummen, Kauen und Schmatzen schien stärker als beim Klavierabend im Mai. Wohlgesonnene werden dies Mitsingen nennen.

Am Donnerstag verzichtet Alfred Brendel auf eine Zugabe, am Freitag spielt er Schubert. Der Mozart der Berliner Philharmoniker ist mitreißend, subtil, glühend, hypersensibel und linear, hinreißend, verschlungen. Brendels Mozart fand ich schon immer am besten, seinen Beethoven oft unbefriedigend, seinen Haydn zu maniriert. Die Bläser agieren im langsamen Satz wie ein Orchester im Orchester – solistisch intensiv und voller Zentrifugalkräfte im Stimmverbund. Rattle: Prallheit der Formulierung, Dichte, Energie, der Kampf um jede Regung. Haydns Sinfonie bestach durch die Energie der Durchführungspassagen. Es ist Feuer und Pfeffer in diesem Haydn. Der letzte Satz explodiert. Der Anschein, dass die Berliner Philharmoniker von selber spielten, ist selten größer gewesen, und Rattles Fähigkeit, ein Orchester zu Intensität zu zwingen, selten unmerklicher. Es ist herrlich. Das unfassbare Etwas von Haydns Genie entsteht an diesem Abend vielleicht aus dem Zusammenspiel zwischen der Präzision der Akzente und einer ins kleinste Detail reichenden rhythmischen Lebendigkeit. Man weiß es nicht genau.

Der bärtige Johannes Brahms machte nach Brendels klarem, intelligentem, zugleich verspielt und nüchtern klingendem Mozart anfangs eine ungeschickte Figur. Wie viel behäbiger und pompöser war Brahms‘ Zeitalter. Introduktion und Exposition des ersten Satzes klingen rhythmisch simpel und melodisch muffig, das Pathos pauschal, die symphonische Kraft aufgesetzt. Liegt es an Brahms oder an Rattle? Keine Ahnung. Erst die Coda reißt mit. Das Poco Allegretto scheint der Mittelpunkt. Der Satz ist gespickt mit traumhaften Bläsereinsätzen und durchsetzt mit fabelhaften Dynamik- und Tempowechseln. Emmanuel Pahud und Jelka Weber (Flöten) hält es kaum auf den Stühlen. Die orchestrale Griffigkeit des Finales, die in die Themenabspaltungen eingespeiste Energie, das gelungene Zusammenschmelzen der Stimmgruppen machen das Finale zu großer Musik. Für die Anekdote: Rattle war beim Friseur.