Alan Gilbert mit Mendelssohn und Britten bei der Staatskapelle. Mendelssohns Dritte ist en vogue (hervorragend Petrenko bei den Philharmonikern, irdisch-erdiger jüngst Gardolińska beim RSB), aber Brittens Cellokonzert macht sich rar auf den Berliner Podien.
Weichtönend, schlank und zügig legt der ehemalige New-York-Phil-Chef Alan Gilbert Mendelssohns a-Moll-Sinfonie in den 1356-Plätze-Saal. Ausbalanciert wirkt so die „Schottische“, dabei immer klangsensibel ausgeleuchtet und klangbildlich fein durchmodelliert. Das Scherzo flutscht superb geprobt durch, das Tempo wirkt pro Brillanz und contra Folklore. Im Adagio bindet die Staatskapelle die zwei Themen zum Bild zusammen, kantables erstes Thema und marschartiges – „fremdartig und feierlich wie Hamlets Geist“ (Kretzschmar) zweites. Vorher platziert Gilbert das Allegro zwischen pp-weichem Beginn und Stretta-Schluss, und immer ist da ein nervöser Puls mit am Start. Zwischendurch werden ausführlich die Gelegenheiten genutzt, um gehobene Klangkörperkultur zu präsentieren, zBsp Holzbläser. Das ist doch eine Art Gilbertismus. Gilbert positioniert Mendelssohn zwischen (alt-)meisterlichem Schwelgen und moderner, durchaus amerikanisch zu verstehender Straffheit.
George Bernard Shaw erklärt 1890 in London zur Schottischen: „a work which would be great if it were not so confoundly genteel (sanft, freundlich)“. OK, Shaw war eingefleischter Wagnerianer. Richtiggehenden Blödsinn verkündet Hans Renner im Reclam: „Erregende Spannungen… darf man in dieser Musik dieses Glücklichen, von Kämpfen Verschonten nicht erwarten.“ Musikwissenschaftler halt, und seit 1934 in der Partei.
Was wurde in den 60ern und Anfang der 70er fulminant für Cello komponiert: Penderecki, Ligeti, Henze. Benjamin Brittens viersätziges, sperriges Cellokonzert, ambitioniert „Cello Symphony“ getauft, fällt eher in die Kategorie „gediegen modern“. Alisa Weilerstein zaubert am Violoncello. Eine ganze Gefühlswelt mit einem Strich kann nur sie. Das Publikum ist Weilerstein-begeistert und Britten-halbbegeistert. Bleibt die Frage, wann die Cellistin – ihr Elgarkonzert mit Philharmonikern und Barenboim aus Oxford ist immer noch unübertroffen – hier einmal Dvořák, Saint-Saëns oder Elgar spielt.
War ein befreiendes Gefühl, als ich vor ein paar Jahren nach einer, glaub ich, ähnlichen Lektüreerfahrung meinen Reclam-Konzertführer in die blaue Tonne gekloppt habe
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