Der dritte Opernabend und der zweite Tetralogie-Tag des zweiten Durchgangs des Thielemann-Rings Unter den Linden.
Andreas Schager. Der Mann ist ein Vergnügen. Denn Tscherniakows genial dürre Ring-Inszenierung mit den gnadenlos ausgeleuchteten Innenräumen braucht Thielemanns rassigen Sound, braucht Volles Wotanwahnsinn und Schagers coole Spontaneität. Dann klappts auch mit der Inszenierung, ist sie mehr als besserwisserische Regie-Dröppelei. Es ist ja stets ein neues Rätsel, wie Siegfried binnen einer Stunde vom Grobian (halte das Maul) zum Lyriker mutieren kann, der Kostbarkeiten wie Wie Wunder tönt singt. Schager (Adidas-Anzug in Royal-Blau, Mit diesem Trainingsanzug verpasst du deinem Streetstyle ein sportliches Update) löst das Rätsel. Die Stimme tönt stetig, fest, leuchtend auch in der Mitte, die Farbe aufregend zwischen hell und dunkel gemischt, das Timbre viel Metall im fluffigen Nockerlmantel, bei Brünnhildes Erweckung ist der Österreicher on fire. Der Tenor versteht sich der derzeit am besten auf Siegfrieds Huiness*. Und spielend füllt Schager den Heroenton des Finales mit jenem individuellen Gefühl, das sich bei jeder Phrase aufs Neue bewährt.

Das wird langsam was mit Brünnhilde Anja Kampe. Bei der Premieren-Brünnhilde 2022 klang das von Reinheits- und Liebesglückmotivik getragene Ewig bin ich, eine Bitte um Verzicht auf letzte Nähe, fatal nach Selbstgespräch und hatte ein paar komische Stellen. Das war vom Sound her mehr Grunewaldvilla und weniger Walhall. Dieses Jahr ist mehr Walhall. Der hysterische Ton ist aus den Spitzen fast verschwunden. Kampe klingt gut. Der Zugang zur Rolle ist ganz ihr eigen. Ja, Kampe ist auch eine Kriegerin, aber eine lustige. Herrlich das unspektakuläre Dort seh‘ ich Grane (wenn man weiß, wie unerfreulich C. F. so was in Bayreuth – beinah jahrzehntelang – interpretierte).
Und Michael Volle? Volle schaut verdutzt in die Tasse Tee, als Mime vier Löffel Zucker reinschüttet. Köstlich, wie Wotan, als Erda ihr Techtelmechtel, woraus Brünnhilde entstand, erwähnt, nebenan eine Saufen geht. Und Volle spielt auch das gut: Wie der Göttervater von Siegfrieds Verdruss, der durch sein, Wotans, eigenes Lachen (Das mein‘ ich wohl auch) hervorgerufen wird, komplett auf kaltem Fuß erwischt wird. Drei der vier Wotanszenen in Siegfried – eher nicht die dramaturgisch eher unnötige Wissenswette mit Mime, dafür aber das Altmännerduett mit Alberich, die Abrechnung mit Erda und das aus dem Ruder laufende Get together mit Siegfried – zählen zu den Höhepunkten jedes Rings. Zu Volles Leistung bitte die auch heute gültige Kritik zur Walküre lesen.
Christian Thielemann fügt bei seinem Siegfried-Dirigat beides zusammen, den spezifisch „niedrigen“ Scherzoton, wofür Thielemann ein Händchen hat, und die „hohe“ Leidenschaftssphäre. Das wird umso aufregender, je heftiger die Staatskapelle Perspektiven und Leitmotive wechselt. Und nebenbei entsteht die bedrängende Präsenz von Wagners Orchestermelodie. Thielemann ermuntert zum Hemdsärmligen. Mit ziemlich handfestem Zugriff werden die Flammen durchschritten. Lückenlos gut das Geigenrezitativ vor Selige Öde. Der Hornist, der vor der Siegfried-Fafner-Szene hinter der Bühne das Hornmotiv mit Irrsinnstempo hoch und runter bläst, muss kurz vorm Kollaps gestanden haben.

Fabelhaft die Schwarzalben Jochen Schmeckenbecher (Alberich) und Stephan Rügamer (Mime). Und hervorragend bei der Bühnenpräsenz. Kathrin Zukowski ist der hörenswerte, spielend wortverständliche Waldvogel. Peter Rose, der packend spielt, ist ein okayer Fafner. Anna Kissjudit, offenbar die Erda der Stunde, gibt dem Klang den Vortritt vor dem Wort.
Eine der sehr wenigen banalen Stellen im Ring, wie ich finde: in der Erdaszene das Schwert- bzw. Siegfriedmotiv etwa bei Wotans weis‘ ich mein Erbe nun an oder errang des Nibelungen Ring bzw. fremd bleibt ihm die Flucht.
Seit Barenboims letztem Wagner (vor 6 Jahren) hat man Unter den Linden mit Thielemann und entsprechenden Sängern nun wieder das Gefühl, in diesem Saal, an diesem Abend, in dieser Sekunde, den einigermaßen bestmöglichen Wagner zu hören.
Der ein oder andere Gedanke geht an den verstorbenen Tubisten Thomas Keller. Ich schaute zu Beginn der Walküre noch, ob er am Instrument sitzt. Man denkt an die vielen, vielen Barenboim-Abende mit ihm.
* Mime: Wie führ‘ ich den Huien zu Fafners Nest? und So hätt‘ ich den Huien gefangen