Diese Premiere ist anders.

Diese Oper kennt man nicht. Man weiß im ersten Akt nicht, ob das Werk überhaupt funktioniert. Im zweiten auch nicht, wenn man ehrlich ist. Erst im dritten denkt man: Das klappt. Mit dem lieto fine, mit dem dünnhäutigen Bass-Griesgram, der Lebensfreude und Lachen wiederfindet, und mit Richard Strauss.

Strauss komponiert Die schweigsame Frau ab Februar 1933. Uraufführung ist im Juni 1935 in Dresden. Das Libretto schrieb kein geringerer als Stefan Zweig, was Strauss‘ einzige Komische Oper doppelt attraktiv macht. Nur hier und da zu viel 30er-Humorharmlosigkeit.

Wobei das Personal bestens Buffa-tauglich ist. Da ist ein pensionierter Flottenadmiral Seiner Majestät des Königs, extrem lärmempfindlich, sehr reich, mit Namen Morosus. Dem sein Physiotherapeut (im Libretto: sein Barbier, Bariton) den Floh ins Ohr setzt, zu heiraten. Ein totgeglaubter Neffe, Tenor, kehrt frisch aus Italien zurück, und mit ihm eine famose, lärmende Operntruppe. Darunter befindet sich die Frau des Neffen, Aminta, ein Soprano leggero, der zum quirligen Dreh- und Angelpunkt einer fix anberaumten Hochzeit wird, in der Gefühl und Fake nicht mehr zu unterscheiden sind. Das sind Buffa-Typen wie aus dem Opern-Lehrbuch. Aber von Zweig werden sie mit Charakter angefüllt, mit Menschlichkeit versehen. Die Handlung in Kurzform: ein Schlamassel mit Ansage.

Was macht Regisseur Jan Philipp Gloger aus diesem rührenden Unbekanntheitswerk, in dem ein Stück Rosenkavalier steckt, ein Stück Ariadne auf Naxos, ein Stück Barbier von Sevilla, ein Stück Don Pasquale, letzterer geht sogar auf das gleiche Stück – Ben Jonsons Epicoene – zurück? Er inszeniert bunt, knallig, mit Lust zum Trubel. Gloger zeigt eine Verschiebe-Bühne aus vier spießig gediegenen, liebevoll detaillierten, virtuos bespielten Innenräumen (Ben Baur). Diesen cleanen Hyperrealismus gibts zur Zeit in jeder zweiten Inszenierung. Ist aber trotzdem nett anzusehen. Weil Gloger ebenso ein Auge für die stillen Szenen hat, für Morosus‘ Sanftmut, für Amintas schlechtes Gewissen. Und für das Finale, das gelingt, auch weil Richard Strauss so umwerfend attraktive Musik schrieb.

Die Sänger?

Der Morosus des Peter Rose ist ein sanfter Riese, sehr sehens-, sehr hörenswert, aber es wäre mehr Basseskraft und mehr Text- und Nuancenschnüffelei denkbar, nicht nur in der stillen Altmännerträumerei Ja, das wär schön. Ausreichend Haare auf den Zähnen hat Iris Vermillion als Haushälterin. Samuel Hasselhorn brilliert mit fest-schlankem Bariton in der Parlando-Rolle des Barbiers, nicht zuletzt im Lied Mädchen nur, die nichts erfahren. Ganz stark Siyabonga Maqungo als Neffe Henry, nämlich tonfest, höhensicher, textverständlich, nah an der Perfektion. Als Feuerwerkerin für Sopranspitzentöne gefällt Brenda Rae als Aminta/Timida, prima gespielt ist es. Kritik? Im klaren Sopranklang könnte mehr Persönlichkeit stecken. Gut präsentieren sich die Nebenrollen, als quirlige Isotta reüssiert Serafina Starke (Ich würde lachen/Von früh bis spät), als resolute Carlotta Rebecka Wallroth (Ich würde singen/Von früh bis spät). Hörenswert der Morbio von Dionysios Avgerinos, Manuel Winckhlers Vanuzzi und Friedrich Hamel als Farfallo.

Fotos: Bernd Uhlig

Die Musik? Es ist echter Strauss. Viel Parlando, kostbare Kanzonen, Koloraturen, eine turbulente Ouvertüre, ein kleiner humoristischer Marsch, alles in eine wunderbar fließende Kontinuität gebracht, die über drei Stunden trägt und von der Staatskapelle Berlin und Christian Thielemann auszelebriert wird. Da wird warm, transparent, sensibel dem Gewebe der Straussschen Stimmenschichtungen nachspürend, mit hohem Gefühls- und Herzenstempo musiziert.

Viel Bravi, aber auch viel Buhs.

Fazit: Eine echte Rarität in einer süffig soliden Inszenierung, exquisit klangverpackt von Thielemann & Staatskapelle.

Thielemanns Partitur: ppp, molto lento, Des-Dur

Weitere Premierenkritik: „Beginnt hier eine Renaissance?“ (G. Felber), „Viel Lärm um nichts“ (F. Hanssen)