Am Vortag Anna Netrebko, einen Tag später am gleichen Ort ein Liederabend mit Camilla Nylund.

Korngold (vier Lieder aus op 9) und Zemlinsky (Eichendorffs Waldgespräch) machen den Anfang. Dann kommt Berg und der ist außerordentlich. Nylunds Herangehensweise bei den 7 frühen Lieder ist instrumental. Zu unserem Glück. Kein peinliches Auspinseln von Ein Feuerlein rot/Knistert im Ofenloch zum biedermeierlichen Genrebild (ähm, Frau Fleming?). Bei Storms Trägt in der Hand den Sommerhut kein verschwörerisches Schäkern mit dem Saal. Bei Hauptmanns Trinke Seele! kein wolllüstiges Ineinssein mit dem Weltgeist des Fin de siècle. Im Gegenteil. Souverän platziert die Finnin die Lieder (1905-08) zwischen objektiviertem Ausdruck und Gefühl. Der Vortrag: kühl und dicht. Der Ton: weniger klassisch gerundet, doch reich, und mega easy groß genug für (nach der Pause) Strauss – und fein genug für den Dämmer von Im Arm der Liebe. So dargeboten, mit solch nacherzählender Sorgfalt, erhalten Bergs frühe, erst 1928 veröffentlichte Lieder eine stille, klassische Größe.

Mahlers Rückertliedern fehlt es an Spannung. Hier bräuchten die Gesänge mehr extrovertierte Subjektivität. Und mehr expansive Phrasierung. Aus der Heimat Finnland gibt Nylund drei Stücke von Armas Järnefelt, dem Schwiegersohn Sibelius‘. Leivo (die Lerche) ist dialogisch aufgebaut, Solsken (Sonnenschein) eine Schilderung glückhaften Naturerlebens, Toivoni (Hoffnung) zeigt einen reduzierten, als charakteristisch skandinavisch empfundenen Ton. Nächstes Mal gerne mehr von den Finnen!

Schließlich die Strausslieder op. 27, und heute steht an letzter Stelle nicht das visionär inwendige Morgen, sondern das lebenslustvoll aufschäumende Cäcilie. Doch, diesen Kitsch liebt man: umhaucht von der Gottheit/weltschaffendem Atem/zu schweben empor, lichtgetragen... Dem instrumentalen Zugang bleibt Nylund treu. Jeder Ton besitzt Gewicht, deklamatorisch bekenntnishaft in Ruhe, meine Seele, und dann wenns beim tollen Schmiss der Cäcilie um die (Lieder-)Wurst geht.

Viel Applaus.

Und die Zugaben? Cäcilie und Heimliche Aufforderung sind immer heiße Kandidaten, sind aber heute Programmbestandteil (nur Doris Soffel getraut sich, Zugaben aus dem soeben absolvierten Programm zu wählen). Ich tippte vor dem Konzert auf Svarta Rosor und Zueignung. Bingo, sie singt beides. Svarta Rosor, Sibelius‘ dunkel geheimnisvolle „Schwarze Rosen“, werden genau wie Järnefelts Solsken auf Schwedisch, nicht auf Finnisch gesungen.

Helmut Deutsch begleitet mit warmtöniger Ausgewogenheit bei schönstem Mittelstimmenreichtum, nie auftrumpfend, niemals vordrängend. Einmal verspielt er sich, ich glaub bei Cäcilie.

Einfach ein schöner Abend. Psst! Nylund demnächst Unter Linden in Frau ohne Schatten.