Verdis Don Carlo in der Inszenierung von Philipp Himmelmann hat seine erste Wiederaufnahme in den renovierten Unter den Linden. Pape, Kurzak, Hubeaux, Pop, Petean singen. Rustioni dirigiert.

Wie klingt das?

Kaum ein Titelheld Verdis agiert so larmoyant und tollpatschig wie Don Carlo. Dazu gilt die Rolle als undankbar. Da nur eine kleine Arie, noch dazu eine von Verdis konventionelleren, für den Prinzen zu Buche schlagen. Dafür gibts gleich vier Duette. Der Rumäne Stefan Pop investiert für seinen Carlo Frische der Erregtheit und Spontaneität der Desillusion, dringt in den Ensembles aber etwas mühsam durch, klingt aufregend in der Mitte und farbloser bei Spitzentönen.

Carlos Ex-Verlobte Elisabeth von Valois ist eine der wenigen prime donne Verdis, die verheiratet sind. Die Rolle ist ganz ohne Ziergesang konzipiert, wartet aber mit einer fast zehnminütigen Arie auf, die eine flutende Sopranstimme und mehrmals die Höhenlage Ais, A, As verlangt. Was die Polin Aleksandra Kurzak lyrisch verinnerlicht und mit feinem Legato singt. Kurzaks Timing ist toll. Man hält zwei, drei Mal den Atem an, wenn die Stimme, während sie in die Höhe steigt, einen Moment zu zögern scheint, um schließlich in einem kontrollierten Piano die Spitze zu erklimmen. Kurzak ist bei Piano-Strecken, die so unnachahmlich melancholisch dahinströmen, 1a.

Sie und Pop glänzen in den Vokalmysterien des duetto d’addio (4. Akt).

Don Carlo Staatsoper Berlin Aleksandra Kurzak, René Pape, Hubeaux, Stefan Pop, George Petean

Für den Posa, ganz human gesinnter Politiker, kommt der rumänische Bariton George Petean (von der Regie allzu bürokratenhaft vorgestellt, unglücklich der drall weiße Smoking) ohne die schmetternde Kraft italienischer Baritone aus, legt bei den Paroxysmen „idealistischen Freundschaftstons“ (Uwe Schweikert) im zweiten Akt die emotionale Handbremse ein. Hervorragend aber, was vokale Kontrolle, stilistischer Anspruch und makellose Ausführung angeht, tönen die beiden Sterbearien Per me giunto und Carlo, o ascolta. Petean singt hier ohne jede Andeutung eines Schluchzers – eine Wohltat. Es sind Höhepunkte des Verdigesangs in Berlin der letzten Jahre.

Die Regie von Philipp Himmelmann bietet ein aufgeräumtes Ambiente. Der Zuschauer sieht kulinarisch verpackte Folter und Hofdamen mit dem Air von Auftragskillerinnen. Tischetikette ist superwichtig. So sieht zwischen klinischem Kammerspiel und wohlkalkulierter Rohheit eingegroovter Verdi aus. Bevölkert wird die Inszenierung von emotional verklemmten Menschen, wie man sich das habsburgische Spanien halt vorstellt. Nur die Eboli darf ihren Herzbuben, den glücklosen Carlo, wie eine echte Tatortkommissarin befreien, mit beiden Händen am Revolver. Was aber allemal spannender ist als die in Schwarz gekleideten kirchlichen Kuttenträger.

Schillert eine Figur bei Verdi wilder? Macht eine mehr Spaß? Die Eboli hat Flirt-Übermut, dazu heißblütiges Temperament und viel Eifersucht. Dann ist da noch O don fatale, die tollkühne Verfluchung der eigenen Schönheit. Dass Eve-Maud Hubeaux leichter im Ton als beispielsweise Gubanowa, aber dramatisch ebenso intensiv agiert, kommt Schärfe und Prägnanz der Diktion zugute. Und auch dem vokalen Filigran des Schleierlieds. Szenisch ist die hochgewachsene Französin pausenlos aufregend.

Als Felipe stellt René Pape, superb singend, beides nebenbeinander, Machtkälte des Aristokraten und Wehmutstöne des immer Einsamen. Es ist ein eindringliches Porträt. Mit all seinem Können verbindet Pape Wort und Klang. Ein Kennzeichen des Sängers, in jeder Sekunde ein Vergnügen, ist die sanfte Wucht des Cantabiles. Hinter der freilich eine Autorität der Phrasierung von bester Qualität steht. Auch das ist Verdigesang vom Feinsten.

Den einzig richtig harten Hund in dieser Polittragödie, in der das Private doch immer an erster Stelle steht, stellt der Grossinquisitor dar, den Rafał Siwek singt, wie vor einem Jahrzehnt im Schillertheater. Neu sind der schaurige Mönch von Grigory Shkarupa, der spritzige Tebaldo von Regina Koncz (Tessete i veli mit Hubeaux, ich liebe den kurzen Duettteil der Schleierarie), die Stimme von oben der Liubov Medvedeva und der gute Lerma von Magnus Dietrich (Il Grande Inquisitor!).

Am Pult schnürt Daniele Rustioni ein Verdi-Paket, das passt. Der Mailänder, der unter den Londoner Opern-Fittichen von Pappano flügge wurde, hat ein Händchen für Melos, kann Farbe und Temperament, lässt die vielen Leute im Graben lebendig musizieren. Die Geigen klingen gut. Die Bläser sind vielleicht zu laut (hin und wieder) und die Ensembles in der Staatsoper rollen nicht so instinktiv richtig ab wie bei Barenboim.


Kritik zur Berliner Staatsopernpremiere 2004: „Zwischen Frühstückskaffee und Abendtafel“ (Klaus Geitel), „Rattenscharf und willig“ (Frederik Hanssen), „Geostrategisch angeheiratet“ (Niklaus Halblützel), „Erfreulicher Glanzpunkt“ (Deutschlandfunk, keine Autorennennung)