Überraschung an der Staatsoper. Es gibt eine Carmen, wo sie Französin und er Franzose ist.
Wie stellt das Gaëlle Arquez, Französin, mit der Carmen an? Sie lockt, höhnt, ist amoureuse à perdre l’esprit – aber ohne Cliché. Arquez singt die Carmen als selbstbewusste Französin, schnippisch, leicht und biegsam. Kein Ton geht verloren. Sie holt es aus Bizets so exakter Musik heraus, Carmens schroffen Egoismus, ihren selbstsicheren Spott vor der Zigarettenfarbrik, ihren funkelnden vor Hass vor der Stierkampfarena. Die Habanera (L’amour est un oiseau)? Nicht theatralisch, sondern punktgenau. Die Seguidilla (Près des remparts de Séville)? Ohne Anbiederung, aber mit feiner Verve.
Wie macht das Stanislas de Barbeyrac, Franzose, mit dem Brigadier Don José? 1. und 2. Akt sind hinreißend. José hat das Herz am rechten Fleck, aber keine Kraft, seinem Schicksal zu wehren. Die Blumenarie (La fleur que tu)? Barbeyrac schattiert dynamisch ab, verblendet Register, das Mezzoforte hat Substanz. Ich hätte das La-fleur-Cantabile zwei Mal da capo hören können. Toll der ins Piano zurückgeführte Spitzenton. Nicht ganz im Himmel bin ich bei der „drängend expressiven Kantabilität“ (Dahlhaus) zu Ende von Akt 3 sowie in Akt 4, wo eine gewisse Monochromie den Ausdruck hemmt.

Dieser Don José spricht die Dialoge herrlich, ich fühl mich wie im Theater, wenn Nina Hoss was von Schiller spielt.
Escamillo, ist nicht nur ein von sich eingenommener Stierkämpfer, sondern ein echter Sportsmann, als er Don José beim Duell das Leben schenkt. Lucio Gallo singt diesen kraftvollen Machismo mit pfundskerligem Bariton, aber ungenau und fast grob, wenn auch nicht großmäulig. Besser die patente Micaëla, die immer dann auftaucht, wenn es Don José überhaupt nicht passt – der Backfisch als Nervensäge, was Pretty Yende lebhaft und warmtönig angeht, noch unstet im ersten Akt, passioniert im dritten.
Wie anders ist Carmen doch als Verdi. Die Finales spielen keine große Rolle. Es gibt kein Liebesduett. Carmen und Don José verbindet nichts als eine amour fou. Fabrik statt Palazzo, Arbeiterinnen statt Burgfräulein. Regisseur Martin Kušej konzentrierte sich bei seiner Regiearbeit auf die Zweierbegegnungen, gerne auf menschenleerer Bühne. Das klappt erstaunlich gut, während das Bühnenbild so abstrakt wie möglich ein staubig-steinernes, lichtflimmerndes oder betongraues Spanien feiert.
Die Ensembles sind Höhepunkte, allen voran das tollkühne Quintett im 2. Akt im echten opéra-comique-Stil (super Jaka Mihelač und Andrés Moreno García). Oder das Kartenterzett, in dem die Karten, die Liebe und Reichtum versprechen, lügen, und die, die Tod bedeuten, wahr sprechen. Wie Todesbotinnen umkreisen Serena Sáenz und Maria Hegele fortwährend ihre Kumpanin Carmen.
Kein Französisch-Stilist, aber deklamatorisch stark Roman Trekel (Moralès), gut auch der Zuniga von Hubert Kowalczyk, und Klaus Christian Schreiber kanns auch (als Wirt Pastia).
Es macht diese Saison Spaß mit der Staatskapelle, zuerst Thielemann Ring, dann Armiliato Tosca, zuletzt Guggeis Saint-Säens, und jetzt Bertrand de Billly, der Carmen dirigiert, wie es Barenboim nie machen würde: rhythmisch leicht, präzise wie in der opéra comique. Und stets mit leiser Distanz. Die Farbpalette zeigt Bizets Farben (Hörner im Micaëla-Duett, Posaunen im Kartenterzett), aber der Pinsel bleibt immer weich. Nur nach der Pause vermisse ich Barenboim ein wenig.
Freilich hätte ich auch die (Französin) Marianne Crebassa gerne in der Titelrolle gehört.
Bertrand de Billy ? Lebt der wirklich noch ?
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Mal ehrlich. Bertrand de Billy für alle Opern war immer sowas wie Daniel Oren für die Tosca. Bei dem hab ich mal in die Partitur geschaut, in der Pause. Da standen so viele Anmerkungen an der Seite, ich hätte die mir nicht merken können.
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Dachte auch, dass er älter wäre. De Billy ist vielleicht kein Barenboim oder Thielemann, aber er sorgt dafür, dass alle im Orchester so gut spielen, wie sie können.
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Ja ja, sehr routinierter Reisedirigent, der alles überall auf Abruf spielen kann.
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Ist aber wirklich noch nicht so alt ! Habe ihn mal an der Met gesehen, mit einer Routinevorstellung.
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Was hätten wir nicht all geschrieben nach der letzten Carmen-Vorstellung von der Corona-Pause, wo Barenboim sich bedankte für die Liebe des Publikums, die er vielleicht nicht mehr so bald erfahren sollte.
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Pretty Yende ist eine Verschwendung für diese Rolle.
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Pierrette Alarie C’est des contrebandiers
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Simoneau
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So singt heute keiner mehr. Und wenn doch, dann kriegte er nicht diese Rollen. Oder könnte man sich Matthew Newlin als Don Jose vorstellen ? Ich schon.
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Eigentlich ist der Jose doch ein Jüngelchen, das in die Armee geht, weil es da sichere Jobs gibt, die seine Mama und Michaela bestimmt gutheißen. Und dann läuft ihm auf einmal diese Vipera mit ihren Räubern über den Weg, die alles hormonell durcheinanderbringt. Warum besetzt man diese Rolle dann mit großen, starken Tenören ?
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Die mit den Eiern in den Hosen (Giorgio Strehler).
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