ln punkto Sujet und Handlung stellt Rossinis Il Viaggio a Reims (Die Reise nach Reims) einen hochspeziellen Opern-Sonderfall dar. Dieses dramma giocoso ist schon kurios bühnenuntauglich: elf Hauptrollen, ein einziger Akt, 26 Szenen. Ouvertüre? Fehlanzeige. Handlung? Tendiert gegen null.
Rossini wäre aber nicht Rossini, bekäme er die immensen Herausforderungen nicht spektakulär in den Griff. So schildert der italienische Komponist das Abhängen im lothringischen Kurörtchen Plombières durchtrieben kurzweilig und vor allem melodienselig. Denn Rossinis Opernreise, in der alles andere gemacht wird außer Reisen, ist vor allem lustvolles Schaulaufen für drei Soprane, zwei Tenöre, vier Baritone bzw. Bässe – mit viel Macho-Gehabe und Diven-Theater. Und manchmal zu viel Klamauk. Bosse inszenierte das 2018 witzig und temporeich und zeigte Europa als Versammlung ganz schön schräger (Adels-)Typen, die alle einen Belcanto-Knacks weg haben.

Da ist die gewitzte Tiroler Hotelbetreiberin Madama Cortese (Sua Jo mit tollkühnen Sopran), die einem verrückten Hospital vorsteht, in dem ein Dutzend Adliger auf die (ausbleibende) Weiterfahrt zur Krönung des französischen Königs warten.
Marina Monzó steht die jung verwitwete Contessa (eine kapriziöse Französin) gut, und Monzó agiert entsprechend sopranspritzig (trotz bisweilen angestrengter Höhe, kantiger Koloratur). In die Contessa ist der französische Offizier Belfiore (Andrei Danilov, apart muskulös im feschen Mantel) verknallt, und Danilov nutzt die Rolle als Macho-sympathisches Tenorvehikel.
Die Tutti-Ensembles (A tali accenti, in seno riede oder auch das Finale-artige Ah! A tal colpo) bieten blitzendes Belcanto. Wann hör ich schon ein Dutzend Solostimmen, vereint in voller Sangeskraft? Am verrücktesten funkelt das Ensemble Qual dispetto! Qual furor (Szene 11). Aber auch das Nationen-Schaulaufen mit dem entzückenden Hymnen-Tutti-Frutti (scena ultima) ist nicht zu verachten, wobei das Tirolerische offenbar Österreich repräsentiert.

Mit Szene 22 geht es nach der Pause weiter. Das Duett der polnischen Witwe Marchesa Melibea (Maria Barakova macht als ziemlich rassiges Lady-Gaga-Double bella Mezzo-figura) und dem schneidigen Russen Libenskof Juan de Dios-Mateos (herrlich Belcanto-fundiert) gehört heute Abend zu den schönsten Nummern.
Die Videos stören nicht großartig (Meika Dresenkamp).
Gut getroffen auch das Porträt des depressiven Lords Sidney, das Misha Kiria (ein machtvoller primo basso cantante) zeichnet. Agile Baritonkraft bringt der italienische Antikenliebhaber Biagio Pizzuti auf die Bühne. Und als deutscher Musik-Nerd Trombonok kommt Philipp Jekal zu bester primo basso comico-Geltung. Gefallen tut auch Jan Antem als ansehnlicher spanischer Admiral Don Alvaro. Im kupfrig-metallig leuchtenden Kostüm (Kathrin Plath) ist die römische Dichterin Corinna zugange, die Mané Galoyan mit schöner Stimme, wenn auch nicht so hurtig wie Tsallagowa vor vier Jahren singt (fehlt auch bisserl der Feinschliff). 1825 sang das Giuditta Pasta. Den Kurarzt Prudenzio gibt Padraic Rowan (aufregend jung klingender Bariton) als schwer verpeilter Esoteriker-Trottel.
Auch von den dienstbaren Geistern des Kurhotels bzw. Sanatoriums kommt Gutes. Da sind der Zefirino von Ya-Chung Huang, die ansteckend lebensfrohe Maddalena von Alexandra Ionis, die attraktiv herbe Modestina von Arianna Manganello, die Delia der Davia Bouley (von der Regie als skurriles Hampelwesen konzipiert) und der anstellige Antonio von Samueol Park.
Yi-Chen Lin dirigiert mit Effet, manchmal auch etwas lahm, aber insgesamt erfreulich.
Hoffe, hier niemanden vertauscht, falsch zugeordnet oder vergessen zu haben bei dieser Oper, die ich zum zweiten Mal überhaupt höre.
Viel freie Plätze, viel Applaus, schöne Wiederaufnahme der attraktiven Rossini-Rarität.
Besuchte Vorstellung von Il Viaggio a Reims: 19. März 2022
Ich glaub‘, es gab mal eine Corinna, die wandelte durch alle Reihen der Philharmoniker, und, sowjet ich mich erinnere, hieß sie und der erste Geiger namens .. verdrehte die Augen.
LikeGefällt 1 Person
Daniel Stabrawa hieß der
sowas hatte der noch nie gehört
und so verzog er de Augen
LikeLike
Leon Spierer hieß der Konzertmeister der Phlilharmänics, der ganz verzückt dreinschaute, als Sylvia Mc Nair alias Corinna bei ihrer Arie durch sein Orchester wanderte. Es lag mir auf der Zunge, und jetze kams.
LikeGefällt 1 Person
Übrigens kannte ich doch mal einen Jungianischen Analysten aus New York, der eigentlich aus Wien kam, und (fast) alle Opernlibretti auswendig konnte. Bis auf Macbeth, den hatte er nie gehört. Verkaufte Braut war auch nicht so sein Fall.
Jedenfalls kam der aus Wien, und floh dann, weil, wie er sagte, die Zeiten für Juden damals nicht so günstig waren, nach New York. 1946 kehrte er zurück nach Europa, genauer gesagt, nach Berlin, als amerikanischer Intelligence Officer. Da war er unter andrem mit der Entnazifizierung befasst, auch des Berliner Philharmonischen Orchesters. Dort gab es z.B. einen Oboisten, der, nun ja, schon ziemlich involved gewesen war, und nun sollte mein Freund ihn entnazifizieren. Na ja, sagte er, da könnte man vielleicht schon was machen, wissen Sie, denn ich wollte einmal im Leben ein großes Orchester dirigieren. Am liebsten mit der Freischütz-Ouvertüre. Und so saß eines Sonntag morgens wirklich das ganze versammelte Phiharmonische Orchester im Saal der Hochschule für Künste und wartete auf ihn.
Er steigt aufs Podium und fängt voller Nervosität an zu dirigieren, viel zu schnell. Nach ein paar Takten klopft der Konzertmeister ab und sagt : nein, so können wir das nicht spielen.
Sie fangen also nochmal an und diesmal hat mein Freund die Probleme, mit dem Dirigieren hinterherzukommen.
Nach dem Ende der Ouvertüre steht der Konzertmeister auf und sagt zu ihm : „Darf ich um ein Autogramm bitten ?“
Und jedenfalls der Oboist war danach entnazifiziert.
LikeGefällt 1 Person
DO neue Saison
https://deutscheoperberlin.de/de_DE/repertoire-22-23
Premieren:
Arabella
Fidelio
Florentinische Tragödie
Boccanegra
Gute Tosca Besetzungen btw
LikeGefällt 1 Person
Eher wenig spektakulär. Fidelio war nicht nötig, aber Boccanegra, Francesca und Arabella sind schon sehr schön. Konzertant Semiramide und Hérodiade sind auch super. Auch dass danach noch Intermezzo und Frau ohne Schatten kommen. Von den Sängern eher durchwachsen. Bin auch dankbar für Heliane, Quichotte und Hoffmann.
LikeLike
Und gleich Vespri, auf die ich mich riesig freue. Wie es dann wird, ist dann noch mal was anderes
LikeLike