Kurz vor Weihnachten sitze ich im warmen Holz-Oval des Boulezsaals. Draußen ist die Französische Straße vom ersten Dezemberschnee überzuckert. Drinnen singt die Französin Véronique Gens mélodies von Reynaldo Hahn, Gounod und Guy Ropartz.
Vor dem Konzert mache ich mir Gedanken, ob es möglich ist, einem eineinhalbstündigen Recital à la française zu folgen, in dem weder Fauré, noch Duparc, noch Ravel, noch Poulenc, dafür aber viel Reynaldo Hahn angekündigt sind. Aber dann kommt Véronique Gens, und diese Hahn-mélodies, diese intimen, mondänen Klangerzeugnisse der Proust-Zeit, beginnen zu leben, sind umwerfend interessant.
Es gibt einen Hahn-„Ton“. Immer gedämpft, lyrisch, immer subtil. Aber kein Lied gleicht dem anderen.
In Paysage (nach Theuriet) grundiert ein Barcarole-artig wiegender Rhythmus einen nostalgischen Rückblick auf eine alte Liebe (unerreicht: Ninon Vallon, ich sags nur). Trois jours de vendange (Text: Daudet) beginnt als neckische Pastorale und wendet sich plötzlich ins Tragische. Auch in Le rossignol des lilas (nach Dauphin) beschwört das gesungene Wort die Erinnerung an vergangenes Glück, ausgelöst durch den Gesang einer Nachtigall. Ganz anders Hahns À Chloris, das sich als entzückende Neorokoko-Tändelei präsentiert. Das Klavier (immer die Finger am rechten Ort: Jeff Cohen) zirpt wie ein Cembalo. Gens (im Kleid, rot, bodenlang, bisserl à la grecque) balanciert mit meisterhaftem Raffinement gläserne Expression und endlos sich fortspinnende Gesangslinie aus.

Gens taucht das nicht in ganz so viele Farben wie Marie-Nicole Lemieux. Aber ich bin überrascht – ihre Stimme schallt dunkler als von ihren Aufnahmen gewöhnt. Farbiger, schwerer. Sie singt mit mehr Ausdruck. Jede Zeile besitzt ihre eigene Dramaturgie.
Äußerst hörenswert auch die Gounod-Lieder. Da ist die wortreiche Klage über die grausame Angebetete, Ô ma belle rebelle! (nach dem Renaissance-Dichter Baïf). Auch die bezaubernde Neo-Renaissance von Viens, les gazons sont verts singt Gens lebhaft und bei raschem Tempo unendlich geschmackssicher (von Geibel übersetzt wurde das Gedicht von Schumann und Wolf als Und schläfst du, mein Mädchen vertont).
Neu für mich ist Guy Ropartz, dessen Quatres Poèmes aus Heines Intermezzo eine romantische Liebesgeschichte düster und zugleich subtil nachzeichnen.
Und dann wieder Hahn. Mit schwebenden Akzenten gibt Gens Néère aus den Études latines von 1900 eine Raffinesse und eine Objektivität, die der kühlen 19.-Jahrhundert-Antike des Leconte-de-Lisles-Gedichts so gut anstehen. Dommage d’ailleurs, dass von Néère so gut wie keine Aufnahmen aus früheren Generationen des chant français vorliegen. Wer sich Fauré- und Duparc-Lieder, gesungen von Ninon Vallin, Mady Mesplé, Suzanne Danco, Sabine Devieilhe (Philharmonie, vor zwei Jahren) oder anderen frankophonen Sängerinnen anhört, kann sich nur noch bedingt an den bekannteren Interpretationen einer Renée Fleming oder Susan Graham freuen. Denn man empfindet den psychologisierenden Softfilter, den beide Damen – und viele ihrer nicht frankophonen Kolleginnen – so gerne über Wörter und Silben legen, als unpassend.
Dass Reynaldo Hahn nicht nur ein Komponist der belle époque ist, zeigt La dernière valse aus Hahns 1920er-Operette Une revue, wo Frau Gens, sozusagen beschwipst von übermütigem Lebensmissmut, singt, dass l’amour est une aventure / Qui dure une saison. Das feine Programm, dass die Sopranistin vor zehn Tagen auch in der Wigmore Hall sang, überzeugt durch Auswahl und persönliche Handschrift. Auffällig allein schon ist der Verzicht auf Hahns bekannteste mélodie, L’heure exquise (Verlaine). Die, ich war mir hundertprozentig sicher, als Zugabe folgen würde.
Aber es kommt anders. Drei Zugaben folgen, Faurés beeindruckende Roses d’Ispahan, dann direkt folgend Piafs La Vie en rose sowie Poulencs berührende Chemins de l’amour. Ich wäre heute Abend auch mit Petit Papa Noël zufrieden gewesen.
Sehr schön! Ich hoffe, es waren mehr Besucher dort als auf dem Foto zu sehen!
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Nein, nein. Man wollte offiziell keine Fotos, deshalb erst ein verstohlenes vom Saal nach dem Konzert
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Muss jetzt sein…
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Arpeggio, Mesplé
Die erlesene Stunde, Mesplé, mit rund 60
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Hymne a la nuit
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da klingen immer noch Holländer, Dappertutto und der hlg. Antonius mit
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ave maria
au weia
verkopft
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L’arrivée de la compagne
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le meilleur film francais apres la guerre
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