Vom Konzerthaus führen besonders viele Wege in die Wendezeit. Einer dieser Wege ist Bernsteins legendäre Neunte vom 25. 12. des Revolutions- und Zeitenwendejahres 1989. Ein anderer ist das ensemble unitedberlin, 1989 gegründet, deutsch-deutsche Neue Musik gehört zu seiner DNA, und zur zweiten Heimat des Ensembles ist der heimelig düstere Werner-Otto-Saal des Konzerthauses geworden.
Jetzt beleuchtet eine neue, dreiteilige Reihe mit Titel „1984 – ’89: Mouvement und Erstarrung“ das Komponieren zwischen Revolution und Rückblick – wie viel Ironie oder doch Bitterkeit sich in diesem Titel versteckt, mag jeder Zuhörer selbst entscheiden. Das erste Konzert bringt drei Werke: drei Komponisten, drei Generationen, drei Positionen der Gegenwartsmusik. Auf Stefan Beyer, geboren 1981, Niedersachse, folgt Jakob Ullmann aus dem sächsischen Freiberg, Jahrgang 1958, Sohn des Demokratie-Jetzt-Gründers Wolfgang Ullmann, und auf den folgt Helmut Lachenmann, Stuttgarter, 1935.
Zuerst also Stefan Beyer mit зaukalt und windig (2019, 2020, UA der Neufassung), einer Art Zustandsbeschreibung zwischen Depression und fortwährendem Impuls, zwischen niederschwelliger Ereignislosigkeit und meditativen Erschütterungen, was faszinierend düster wirkt. Titel (Teil eines Graffitis an einem Mauerwachturm) und Stimmung verweisen in die (Vor?)Wendejahre. Ein gewisses Pathos ist nicht zu überhören, was jedoch fördernd und fordernd zur Eigenart des Werkes beiträgt.
Dann Jakob Ullmann mit komposition à 9 – palimpsest von 1989 („zwischen Demo und Schreibtisch entstanden„), das subtiler gestrickt ist, sich kleinteiliger, frickeliger gibt, aber ebenso nervös-virtuose Gesten goutiert, was subversive Jauchzer der Bläser einschließt, und dem Ganzen einen swingend-flirrenden Anstrich gibt. Klingt so, klang so das kreative Chaos, die Alles-ist-möglich-Stimmung vom Herbst ’89? Auch die Texte – Sophokles und Achmatowa – sind wende-inspiriert, Hanna Herfurtner interpretiert sie authentisch, kurios die bandwurmartigen Liegetöne in höchster Höhe.
Das funktioniert heute Abend alles corona-kompatibel, bestmöglichst unaufgeregt und freundlich, die Desinfektionsspender weisen wie Harfe und Flügel ein Fußpedal auf. Potentielle, mit gefährlichen Tröpfchen um sich werfende Superspreader waren eher nicht im Publikum.
Beendet wird die informative Werkschau – keine ganz große Überraschung angesichts des Titels der Konzertreihe – mit Mouvement (- vor der Erstarrung) von Lachenmann, jenem wasserklaren, immer noch unmittelbar packenden Neue-Musik-Klassiker von 1984, den Peter Hirsch am Partiturpult vorwärtsdrängend dirigiert. So tönt das ensemble unitedberlin engagiert, warmtönig-individuell, pastos und detailgenau, entfaltet die Werk-Dramaturgie als fesselnde Erzählung, und es ist vielleicht die Ironie der (Musik-)Geschichte, dass die von Lachenmann beschworene „Pseudo-Aktivität“ und „leere Stofflichkeit“ von Mouvement dreieinhalb Jahrzehnte nach der Uraufführung von derart pulsierendem (Klang)-Leben erfüllt ist.
Im Übrigen ist immer noch Monat der Zeitgenössischen Musik!
Erstarrung ?
wer ? wir ? machen die andren etwas Schönes ?
Wenn ich in Schönheit erstarrt bin, dann sterbe ich so, und die andren mögen mich bitte ausgraben, am besten als Heiligen 500 Jahre später.
LikeLike
Ich kannte mal einen Jungianischen Therapeutiker aus New York, der zu seiner Zeit als ein zweiter Weinstein verurteilt worden wäre, es aber nie wurde, weil es nicht seine Zeit war. Der sagte : Die spinnen, die modernen Kritiker.
LikeLike
LikeLike
So Ihr nicht seit wie die Kinder….
LikeLike
Noch ’ne erste :
Prokovief.
Wurde schon vor 40 Jahren im WDR gespielt.
LikeLike
Kreizberg bleibt Kreizberg – baby oder nicht. Jeder spinnt auf seine Weise. Am schlimmsten die, die sich für was Bessres halten.
buona notte.
LikeLike
Vielleicht hab‘ ja was nicht kapiert ? Mir sagte dieser Jungianer und noch andre, daß Emotion und Analyse gefälligst übereinstimmen mögen, damit sich ein Sinn ergibt.
Hier in dem Blog ist es meist die rationale Analyse, ohne große Emotion. Ist die Emotion nicht das, was die Oper ausmacht ?
LikeLike
Aber vielleicht funktioniert das in Kreuzberg. Außer den Opernhäusern kenne ich eigentlich nur den Lausitzer Platz mit seinen Cafes, wo ich mich in Berlin wirklich wohl fühle. Dort ist es verrückt genug und funktioniert irgendwie.
LikeLike
Ratio ohne Gefühl ist eigentlich nie richtig.
LikeLike
Hier ein Beispiel :
Werner Herzog hat das ausführlich in seinem Film „Fitzcarraldo“ besprochen.
LikeLike
Die Schönheit ergibt sich doch von alleine, und hat moderne Musik Schönheit ?
LikeLike
Hab das auch mal gespielt – gar nicht so schwer.
Kraut und Rüben haben mich vertrieben.
LikeLike
Schwer zu erkennen :
Ich bin so lang nicht bei dir gewest :
LikeLike
Dann eben nochmal :
Symphonie Nr. 1 von Georges Bizet :
LikeLike
LikeLike