Her mit der deutschen Spieloper, bitte!
Nach Cherubinis Medea letztes Jahr schickt die Staatsoper Unter den Linden einen weiteren Repertoire-Exoten ins Rennen um die so dringend benötigte Publikumsgunst. Überraschung! Heuer ist es die Falstaff-Oper des Komponisten Otto Nicolai, Uraufführung war 1849. Ihr Name lautet: Die lustigen Weiber von Windsor.
Alle kennen den Titel dieser doch sehr deutschen Oper, kaum jemand kennt die Musik.
David Bösch verpasst den Lustigen Weibern nun eine unterhaltsame, witzige Neuinszenierung, in der die Fetzen fliegen. Nach dem teilweise schwächeren zweiten Akt kann Bösch im Finale dann noch eine Schippe drauflegen. Was passiert? Die Familien Fluth und Reich residieren in einer öden Schlafstadt Gartenzaun an Gartenzaun. Die Frauen frönen dem Billigschampus (Mandy Fredrich, Michaela Schuster). Gewohnt wird in vollverglaster Doppelhaushälfte, Gartenstühle und Zier-Flora kommen aus dem Baumarkt (Bühne: Patrick Bannwart). Die Männer sind schlimme Langweiler. Abwechslung verspricht da nur Sir John, der sich als selten ranziger Fettsack mit dickem Alkoholproblem erweist und dessen Freiersfüße in Aldiletten und Tennissocken stecken (René Pape). Auch die Vorstadtidylle ist nicht mehr das, was sie einmal war.
Die Botschaft, die Bösch sendet, ist klar. Mit so viel Trash will der erstmals für eine Berliner Opernbühne tätige Regisseur das altehrwürdige deutsche Singspiel fit für die Zukunft machen. Das funktioniert ganz gut. Für Tempo und Temperament ist gesorgt. Die Liebe allerdings von Tochter Anna zu Fenton (Anna Prohaska und Pavol Breslik, beide zum Anknuspern fotogen) wird doch recht zahm und züchtig erzählt. Und die bierselige Junggesellenparty am Gartenpool (Gasthausszene, 2. Akt) bleibt ein pseudolustiger Rohrkrepierer.
Richtig Fahrt nimmt die Inszenierung erst im dritten Akt wieder auf.
Zu lachen gibt es aber schon vorher genug. Phänomenal der Falstaff von René Pape als wandelnde Adipositas-Studie. Die Oberarme vollgepackt mit Schwabbelspeck, die Wampe zwischen Shirt und Hose vorquellend – so einen Pape gab es noch nie (Kostüme: Falko Herold). Dieser räudig verlotterte Ritter – seinen Sex-Appeal muss man mit dem Elektronenmikroskop suchen – ist ein schlurfendes Fettgebirge, dem Pape mit seinem wunderbar fulminanten Bass einen Resthauch Altmänner-Würde bewahrt. Mehr Feuer unterm Hintern haben die zwei prächtigen Vorstadtweiber in ihren Puschelpantoffeln. Da präsentiert Frau Fluth (Mandy Fredrich mit feinem, höhenstarken Sopran) eine so biestige wie lebenslustige und noch ganz schön attraktive Blondine. Da ist zweitens die kecke, rothaarige Frau Reich, die Michaela Schuster mit PS-starkem Mezzo singt.
Deren blutjunge Tochter Anna verkörpert Anna Prohaska in scharfen Hotpants und mit einer Stimme, die Naivität und Raffinesse wie keine zweite zusammenzwingt. Als ihr Lover Fenton versprüht Pavol Breslik immer noch jungenhaften Charme, seine Arie im 2. Akt serviert Breslik anstrengungslos und mit erlesener Stimmfarbe. Die beiden Ehemänner sind bei dem eifersüchtigen Polterer Fluth (Michael Volle mit knorriger Autorität) und dem leisetreterischen Reich (Wilhelm Schwinghammer mit effizientem Bass) in guten Händen. Ein Paar von hohen komödiantischen Gnaden stellen die beiden Freier Annas dar. Während der Spärlich von Linard Vrielink (sein schöner Tenor geht ab wie eine Rakete) als schmächtiges Bürschchen in Strickpullunder und Kurzarmhemd daherkommt, ist der Dr. Cajus von David Oštrek (er bringt das Kunststück fertig, zugleich nobel und stürmisch zu klingen) ein Hüne von Mann.
Die Frage in der Pause war, ob David Bösch die abflauende Witzkurve des 2. Akts im 3. Akt zu neuem Glanz verhelfen konnte. Er konnte.
Vor einem drohenden Riesenmond versammeln sich die libellenzart geflügelten Elfen (der Staatsopernchor überzeugend, doch nicht fehlerfrei). Magisch rotieren die Wäschespinnen. Das ist nicht fulminant tiefsinnig, aber der kluge Bösch überfrachtet den Biedermeierzauber Nicolais auch nicht. Annas Verehrer Spärlich und Cajus aber haben plötzlich ihr urkomisches Coming-Out. Und zu guter letzt ist Frau Fluth schwanger, was ihren Gatten mit einem Schlag von jeder Eifersucht heilt, doch der Verursacher des Babybauchs dürfte eben jener Dr. Cajus sein, mit dem die Fluth zwischendurch gerne in die Kiste steigt.
Das ist als Happy End für eine heitere Oper gar nicht mal die allerschlechteste der Lösungen.
Wie schlagen sich Die lustigen Weiber von Windsor aus rein musikalischer Sicht? Arien und Duetten weisen zurück auf den Freischütz, auf die Spieloperszenen des Fidelio, auf Mozart gar. Das Werk mit seinem leicht angestaubten Biedermeier-Charme ist dennoch wertvoll, die Rückführung ins Repertoire wichtig. Und glücklich die Zuhörer, die es in einer Besetzung wie dieser hören können. Barenboim und die Staatskapelle bringen in die Partitur einen Twist hinein, verleihen ihr menschenfreundliche Wärme und gutmütige Noblesse. Da hört man gerne zu.
Die Hörplätze sind nicht ausverkauft. Viel Applaus, der bei Bösch einhellig, doch nicht überschwänglich ist.
Fotos: Monika Rittershaus
Kritiken und Berichte der Staatsopern-Premiere: Ist der Kerl dick (Maria Ossowski), Die hier Gürkchen futtern darf (Manuel Brug), Falstaff als Rocker (Volker Blech), Weder Fisch noch Fleisch (Kritik von Andre Sokolowski)
Ich stimme zu. Die deutsche komische Oper ist auf den Spielplänen quasi einexistent und mit dieser Besetzung machte die Premiere eindeutig Spaß. Leider macht die Personenregie mit dem Falstaff von Pape zu wenig. Der Fokus liegt eindeutig auf dem Fettschürzen-Kostüm, vielleicht konnte Pape in dem Kostümierung auch schlicht und ergreifend keinen vernünftigen Schritt mehr machen. Da hätte Bösch mehr dran arbeiten müssen. Kritik an Bösch find ich in diesem Punkt gerechtfertigt. Mag aber auch damit zusammenhängen dass Nicolais Oper die Frauen in den Mittelpunkt stellt, Verdi macht es bekanntlich anders. Wenn man denkt was für ein paar dürre Monolog Sätze der Falstaff bei Nicolai spricht und wie toll der Monolog bei Verdi ist… Mondo ladro, mondo reo… Aber trotzdem eine tolle Sache auch weil die Oper an der Lindenoper uraufgeführt wurde. Witzig wie Bösch den Pool aus dem Falstaff zitiert und auch die ganze Bungalow Situation nimmt deutlich auf den Falstaff von Mario Martone Bezug ohne dass es geklaut wirkt.
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Seicht und nichtssagend wie alles das meiste was Bösch macht.
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Pape einfach göttlich, wie der über die Bühne schlappt!! Mandy Fredrich auch ganz große klasse wie die berlinert und die Michaela Schuster auch !! Bravo !
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Verdis Fallstaff im Prenzlauer Berg und Nicolais im Bungalow in Treptow, naja. Mal wieder eine Oper in der Zeit des Entstehens wäre auch mal wieder nicht schlecht, vor allem mit diesen Sängern.
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Auch wenn ich es nicht gesehen habe, nur Ausschnitte im TV, müsste diese Aufführung heissen. Die peinlichen Weiber, einschl. der Kerle von untern Linden, oder Marzahn Hellersdorf.
Die Besucher findens ja offensichlich gut, haben die ja Glück, das dieser sog. Regisseur nicht auch nen Misthaufen und nen Dixi klo auf die Bühne gebracht hat, wie in München in der verkauften Braut
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Soll ich mir das jetzt echt noch antun ? War im Urlaub und hab die Premiere verpasst…
Sozusagen das deutsche Gegenstück zu meiner italienischen Lieblingsoper. Soll ich die Witzchen des Herrn Pape (an der Met wird er „Papee“ genannt) anschaun, oder lieber die Ironie des Falstaffs von Verdi alias Hans Sachs namens Volle ?
Muß ich noch überlegen. Die letzte Vorstellung dirigiert Thomas Guggeis, könnte vielleicht etwas flotter aber sonst so gut trainiert wie immer von Barenboim sein.
Mal Schaun.
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