Sommer in Berlin. Die Temperatur liegt zwischen Nicht-mehr-lau und Noch-nicht-kühl. Unten schiebt sich die müde Spree vorbei, oben im Studio C tönt Urquiza. Ich bin im Radialsystem am Ostbahnhof.
Pièges de neige („Schneefallen“) von Mikel Urquiza ist ein schmales Bündel konzentrierter Musik, 5 Sätze, keine 15 Minuten lang.
Es spielt das Trio Catch, diese kammermusikalische Dreieinigkeit, was Impuls- und Artikulationsschärfe und systematische Neugier angeht. Diese Neugier betrifft gerade das ganz Neue. Die Uraufführung von Pièges de neige datiert vom Februar, Uraufführungsensemble war das Trio Catch.
Urquiza formuliert knapp, die Komposition ist kalkuliert, anfangs jeder Einzelton vom Hörer jederzeit ortbar. Die Schwierigkeiten lauern im Verborgenen. Die Klarinette meistert heikle Mehrfachtöne (Boglárka Pecze, im ersten Stück), Tremoli entwickeln sich zu komplizierten Glissando-Gebilden.
Die fünf Stücke gehorchen einer inneren Dramaturgie. Vom Leisen zum Geballten, vom Horchenden zum Aufgeladenen verläuft die Entwicklungskurve – und wieder zurück. Nach dem verhaltenen ersten Stück steigert Nr. 2 Tempo und Ausdruck und interpunktiert die zunehmende Dichte klug durch Klopfzeichen des präparierten Klaviers. Nr. 3 (Cercle) dann präsentiert fingertanzende Virtuosität, Sun-Young Nam am Flügel füttert ihr Instrument mit bissigen, pfeilschnell servierten Aufwärtsskalen. Das Trio Catch spielt mit ungemein direkter Präsenz.
Eine tiefere Bedeutung – Schnee und das Verlorengehen in ihm – verbirgt sich laut Mikel Urquiza in dieser raffinierten, bisweilen das Aphoristische streifenden, klaren Musik. Der Komponist ist anwesend, hat sich, Kladde in der Hand, vorbereitet, die Ausführungen der Musikerinnen vom Trio Catch eifrig ergänzend. Man sieht ihm den Spanier an, dezent gut gekleidet in Khaki-Hose und schickem, irgendwie sonntäglichem Hemd, die Brauen buschig, die Wange frisch rasiert. Aus dem jungen Komponisten spricht viel bescheidene Freundlichkeit, aber auch Wissen um den eigenen Stellenwert.
Satz Nr. 4 bietet den dynamischen Höhepunkt, Nr. 5 führt zurück zur Stille. Satz vier (Glace) weitet sich zur Miniatur-Opernszene. Klangstarr gibt sich das Duo aus Klarinette und Cello (Eva Boesch), ihm antwortet der massiv akkordblockig agierende Flügel. Nr. 5 investiert massiv in den „Verquertheitsquotienten“ (so Glenn Gould einmal). Ein heiterer Reigen aus Beklopfen und Beatmen (der Instrumente nämlich) hebt an, steigert sich zu Flüstern und Pfeifen, und das alles passiert im Rahmen einer ganz schön frickeligen Feintextur. Da klingt Witz an und ein etwas gewollt wirkender Minimalismus mit.
Von wegen Sommerloch-Tristesse. Alle Plätze sind besetzt. Neue-Musik-Beseelte aller Bezirke Berlins, versammelt euch! Das Konzert läuft, wie die ganze Reihe auch, unter dem derbe zupackenden Titel Ohrknacker. Nächster Termin ist am 1. 9. Hoppla, zeitgleich lässt das RSB den Musikfest-Knaller Die Frau ohne Schatten vom Stapel. Na, mal sehen. Vielleicht geh ich auch zu Trio Catch.

Klarinette, Flügel, Cello – und verflixt schwierige Musik auf den Pulten: Trio Catch

Also, vom Notenbild her eher kein Beethoven: das Cello-Pult nach dem Konzert