Zum dritten Mal in Tristan und Isolde Unter den Linden.

Einer der Höhepunkte der Inszenierung des Russen Dimitri Tscherniakow ist, wenn die beiden Liebenden selig grinsend vor Glück vor König Marke stehen und sich vor Überschwang kaum auf den Beinen halten können – und im Orchester Jubel- und Meeresmotiv zum Aktschluss stürmen. Was danach kommt, ist der lange und schmerzhafte Abstieg in die Unmöglichkeit der Liebe.

Das Setting ist das des globalisierten, dezent russifizierten Jetsets: die Lounge einer Milliardärsjacht, die geschickt gestaffelten Salons einer Luxusvilla, ein sympathisch vermufftes Landhaus (des Vaters Tristans?) à la russe. Marke ist schwerreicher Oligarch, Tristan eher verarmter Landadel.

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Brangäne und Isolde sind damenhafte, modernmondäne Business-Frauen, beide tragen elegant wallenden Mantel. Brangäne ist der Typ steinreiche Freundin, die von von der wild trotzenden Isolde mehr als einmal ziemlich genervt ist (souverän und mit Aplomb: Violeta Urmana, am Dienstag angestrengter klingend). Die Isolde: kein in ihr Leid versponnener, hysterischer Hungerhaken, sondern eine Frau, die mit den Nerven am Ende ist und innerlich tief verletzt, aber mit beiden Beinen im Leben steht (ergreifend glaubhaft in jeder Zeile und Note: Anja Kampe). Der Kurwenal schließlich ist ein redlich-treuer Gefolgsmann, von Boaz Daniel (weicher Bariton mit schallstarker Höhe) mitreißend gespielt. Den Tristan (Andreas Schager) zeichnet die Regie als Mann ohne Eigenschaften im nichtssagend blauen Anzug.

Andreas Schager singt seine schönsten Stellen vielleicht von den Brangänenrufen bis zu Rette dich, Tristan. Da wird leise, mit attraktiv zurückgenommener Mittellage gesungen und sorgfältig und schön und sinnvoll phrasiert. Schager hat deutlich an Ausdruck gewonnen, die helle Stimme erobert sich nun auch die verschatteten Ausdrucksbereiche, versteht sich aber auch wie kaum eine auf die Schmerzens- und Verrücktheits-Akzente des 3. Aktes. Was Andreas Schager so faszinierend macht: Er tümelt nicht wie Stephen Gould, die US-Amerikaner und Australier singen die Heldentenorrollen, als handelte es sich um eine Kreuzung aus 50er-Jahre-Kostümfilm und Herr der Ringe. Schagers helle Stimme, die ziemlich gerade heraus singt, erreicht einen ehrlichen, ungekünstelten Ausdruck. Schager ist somit nah am Text wie kaum ein Tristan. Das ist sehr, sehr viel wert.

Zahlreich die gezielten Nadelstiche, die Tscherniakow wider eine herkömmliche, eine heroische Tristan-Deutung setzt. Allen voran die Demütigung der einsam auf der Superreichen-Party herumstehenden Isolde durch Tristan, als der Held sie während des Vorspiels zum 2. Akt grausam deutlich übersieht. Der schmerzlichste aller Nadelstiche: Tristan liest So stürben wir, um ungetrennt vom Spickzettel ab. Die Liebe wird zur Challenge für Übergeschnappte, sie erblüht im nüchternsten Kunstlicht, ohne jedes nächt’ge Dunkel (Licht: Gleb Filschtinski).

Tscherniakow aber passt auf. Er lässt den Figuren viel individuelle Präsenz. Die Folge: Die Figuren berühren.

Und nun zu Anja Kampe. Man kann auch erst einmal behaupten: Die Deklamation hat kaum Pathos, die Attacke ist verzögert, den Spitzentönen fehlt Härte, Spitzen, die sie nicht vorbereiten kann, wirken gestemmt. Aber sie singt die Isolde spontan, berührend, aufrichtig, mit viel Farbe, in Isoldes Herzen brennt ein heftige lyrische Flamme. Weiterer Pluspunkt: Es klingt immer unmittelbar richtig, wenn sie Gas gibt oder Druck rausnimmt. Kampe singt keinen einzigen nachlässig behandelten Takt. Der Liebestod: Da hat sie den siebten Sinn, die Worte (die redseligsten in Wagners Text) nicht als „schöne Stelle“ möglichst souverän zu singen, sondern den Zusammenhang zu den vorherigen fünf Stunden herzustellen. So packend ich Waltraud Meiers Isolde fand, ihr Liebestod ließ mich immer etwas kalt (damals, 2006 und 2008, als ich frisch in Berlin war und mir alle vier Tristans hintereinander reinzog. Heutzutage reichen zwei oder drei).

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René Pape schlussendlich verkörpert einen stimmlich hochsouveränen und darstellerisch tief verinnerlichten König. Papes Bassstimme liefert die Blaupause für die Erschütterung über den Verrat Tristans, für Markes noblen Schmerz. Die Stimme hat an diesem Abend enormes Gewicht und elementare Kraft. Immer wieder überraschend: die tiefsinnige Phrasierung. Liegt es an der Wucht des Legato, an der plastischen Textausdeutung, ich kann es nicht genau sagen. Überlegen spielen die wehmütigen Celli zur großen Klage am Ende des 2. Akts.

Barenboim begreift die Partitur von Tristan und Isolde als unendlich sich fortspinnendes Drama. Der Kreislauf aus Steigerungen und Auflösungsfeldern, die aus zahllosen, oft nur eintaktigen Motiven entstehen, wird zur Basis der gesamten Oper. Die so entstehende Spannung bindet erstens das einzelne Motiv, zweitens die Motivtrauben, drittens die großen Bögen zu einem „unendlichen“ Fließen, macht die Akte zu Konstellationen überreicher Innenspannung. Die Staatskapelle Berlin: Die Holzbläser singen, die Streicher deklamieren. Jede Motivgestalt wird zur Gebärde. Dunkel die Wucht der rezitativischen Bässe am Ende des 2. Akts. Individuell bis in jede Wendung die näselnde Klage des Englischhorns.

Besuchte Vorstellungen: Donnerstag, 20. 6., und Dienstag, 25. 6.


Besprechungen und Kritiken von Tristan und Isolde an der Staatsoper: Je länger, desto schlüssiger (Hundert11), Mächtig aber schön (Helga Istanger), Großes Kino (Festspiele-Forum)

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