Verdis wilder Macbeth verhandelt Aufstieg und Fall eines zur Macht Verführten. Die Geschichte ist simpel. Der Königsmörder wird König, sein Verbrechen gebiert weitere Untaten. Verdis Geschichte erzählt von Mördern, nicht von Ermordeten: Die Lady öffnet die Höllenpforte ihres nachtschwarzen Ehrgeizes. Macbeth, anfangs ein Zauderer, wütet umso grausamer. Die positiven Figuren, die Toten bleiben Randfiguren. Und die Liebe erlöst nicht. Es gibt sie gar nicht. Verdi, der Realist? Wagner, ein ewiger Romantiker?
Das Ensemble, auf das Daniel Barenboim anlässlich der Wiederaufnahme an der Staatsoper Berlin zurückgreifen kann, ist so disparat wie Verdis Musik.
Der feine Mezzosopran von Ekaterina Semenchuk macht Freude. Er wird in der Höhe immer brillanter, der Ton ist fest und klar, die Tonqualität enorm, das eng schwingende Vibrato versorgt die Stimme mit Energie, selten hört man so einen differenzierten, klanglich klugen Gesangsvortrag. Die Stimme ist gar nicht mal so groß, die Tiefe flach. Doch die Schlafwandelszene singt Frau Semenchuk vokal souverän wie kaum eine. Und diese hochadlige Schottin ist selbst im Triumph aufregend nobel, Anna Netrebkos Lady war aufregend ordinär, besonders in den orgelnden Brusttönen – die muss Semenchuk heute Abend markieren.
Stattdessen findet Semenchuk Belcanto-Qualitäten in Verdis düsterer Donna: Rhetorische Gesten sind durchaus da, werden aber in die Gesangslinie eingebunden. Das macht wirklich Spaß beim Zuhören. Dennoch fehlt es dem Porträt nicht an psychologischer Dringlichkeit. Der Cavatine in Akt 1, dem Trinklied in Akt 2 bleibt sie kein Feuer schuldig. Die nachkomponierte Arie La luce langue wirkt auch heute – zu hören ist die Fassung von 1865 mit dem Schluss von 1847 – wie ein Fremdkörper. Aber dafür kann Frau Semenchuk nichts. Insgesamt ein meisterhaftes Porträt.
Als Banco ist René Pape – jüngst erst als bewegenden Sarastro gehört – weniger eindringlich als gewohnt, die geradlinige Kantabilität des frühen bis mittleren Verdi liegt Pape – trotz großartiger Einzelmomente – scheinbar weniger. Sergio Escobar singt einen ordentlichen Macduff, nachdem Fabio Sartori einmal wieder absagt. Was soll man mit Plácido Domingo machen, diesem etwas wackelig gewordenen Charmeur? Ich dachte in den ersten fünf Minuten, er gefiele mir besser als 2018. Er singt mit Verve, hat diesen untrüglichen Sinn für Phrasierung und mit 78 immer noch virile Sinnlichkeit in der Stimme. Doch was, meine Damen und Herren, soll man mit den erschreckend erratischen Linien, mit der bellenden Höhe, mit den vermümmelten S’s machen? War es nicht so, dass Domingo die Duette mit Semenchuk zerstörte, weil seine Stimme zu laut zum Überhören, aber zu holzig zum Genießen war?

Vielleicht das Verstörendste an Macbeth sind die Hexenchöre. Brillant rhythmisiert, schleichen sie sich als Gassenhauer des Bösen ein. Das ist auch technisch schwierig, mehr Chorproben wären der Genauigkeit an mancher Stelle zuträglich gewesen. Und die Staatskapelle? Daniel Barenboim dirigiert mit zupackendem Feuer, mit jener Plastik und Direktheit im Detail und jenem großen Bogen, der Verdi gut tut. So kommen weder das Irrlichternde der Partitur noch deren kantige Düsterkeit zu kurz. Über allem thront Barenboims theatralische Wucht.
Die Comprimarii singen Evelin Novak (Kammerfrau mit fester Sopranstimme), Andrés Moreno García als Malcolm (leidenschaftlich im kurzen Duett mit Macduff), der Arzt von David Oštrek (pianoweich) und Giorgi Mtschedlischwili (der finstere Mörder in Signalweste).
Die Regie von Harry Kupfer macht es sich vielleicht zu bequem in der Allgegenwart ihrer Bilder des Todes. Aber sie erzählt das meisterhaft komprimierte Meucheldrama plausibel. Historisches wie Jetztzeitiges wird in den Uniformen zitiert (Yan Tax). Schottische Einsprengsel beschränken sich auf Ruinenfotos. Leider zerstört die vor jeder Szene ausgiebig bemühte Hubbühne einiges an Kontinuität in dieser szenisch ohnehin unruhigen Oper – wenngleich ich ins Untergeschoss verlegte Wohnräume sehr interessant finde, man kann sie derzeit auch im Rigoletto (DO) oder hier in Furrers Violetter Schnee bestaunen. Dass das terrorisierte Volk gerade in der berührenden Klage (Patria oppressa) den Impuls zur Freiheit findet, verleiht der Oper einen doch irgendwie Kupfer’schen, keinesfalls aber unlegitimen Hoffnungsschimmer.
Es ist das Merkwürdige dieses Abends an der Berliner Staatsoper, dass die unendlich fein gesungene Schlafwandlerszene kein einziges Brava, die fast ungenießbare Arie des Macbeth einen Bravo-Sturm hervorruft.
Meine Kritik zur Macbeth-Premiere 2018 hier lesen! Weiterer Bericht zu Macbeth mit Netrebko und Domingo 2018: Hochamt der Apokalypse (Udo Badelt)
Bravo! Hier rezensiert wieder einmal die Kompetenz in Person. Herr Domingo ist in Wien und an der Met gefragt, aber im piefigen Berlin regt man sich auf. So geht Provinz. Fein!
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Und gefragt bedeutet ja noch lange nicht, das er gut ist…..
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Tja, so ist das in der Oper. Fans sind nicht unbedingt Connaisseure. Da fällt mir eine meiner Lieblingsgeschichten wieder ein. Ein deutscher Kritiker sitzt in einer Loge der Wiener Staatsoper und hört den ziemlich abgesungenen Guiseppe di Stefano. Nach seiner Arie tobt das Publikum, auch der Herr neben ihm in der Loge. Der Kritiker fragt ihn: Sagen Sie mal, fanden Sie das wirklich gut? – Die Antwort: Nein, aber den hätten Sie mal vor 10 Jahren hören sollen…
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Die Geschichte ist gut :-))) passt aber zu Wien. Wenn ich da die „Kritiken“ auf einer bestimmten Online Seite über so ältere Herren……..
Aber so ging es mir ja auch kürzlich mit Seiffert, den ich wirklich sehr sehr geschätzt habe, aber die Romerzählung war grauenhaft. Da ich sofort nach Ende der Vorstellung ging, muss ich mich drauf verlassen, was berichtet wurde, er bekam Ovationen und auf dieser bewussten Seite wurde ich auch niedergemacht…
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Frau Semenchuk hat mich schon vor zwei Monaten in London unheimlich beeindruckt.
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So viel zu Domingo-Bashing, das zur Zeit äußerst beliebt zu sein scheint. Da stellt sich die Frage, wer hier was gesehen und gehört hat. Wer Augen hatte zu sehen und Ohren zu hören, der erlebte wie ich einen ganz anderen Domingo, einen nämlich, der mit vorzüglicher Stimme und tollem Bühneneinsatz ein zutiefst bewegendes Porträt des Feldherrn Macbeth zeichnete. Sicherlich klang seine Stimme nicht mehr in allen Lagen frei und es war hörbar, dass die Stimme des ehemaligen Startenors durchaus an ihre Grenzen stieß. Aber umso mehr stachen die herrlichen Töne und das Gefühl für die Schönheit der Partie hervor. Domingo warf sich mit allem was er hatte an Erfahrung in die Gefühlsausbrüche und begeisterte damit Publikum und Kollegen.
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Ulrich Harbott sagte : Unter uns, es war ein großer Mist. Nun ja, wenn man immer die Summe aus Pavarotti und Domingo und Capuccilli als Höchstleistungslatte anlegt, dann war es das an diesem Abend vielleicht.
Text vergessen : Typisch Domingo. Das hat er auch schon beim Rollendebüt. Soll ich die Stelle zitieren ? Kurz vor der Arie, beim Rollendebut. In der Kupfer-Premiere hatte Barenboim mit ihm alle rhythmischen Schwächen ausgebügelt, so wie mit dem Pauker, der zwischenzeitlich nach München ging. Letzterer wollte dann zurückkommen, aber das stand nicht in den Zeitungen.
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Endlich traut sich mal einer Münchener Abendzeitung
> ÜNCHEN – Im letzten Jahr hatte sich Plácido Domingo einen Lebenstraum erfüllt und erstmals in Bayreuth dirigiert. Sein Debüt dort mit der „Walküre“ war wenig erfolgreich. Nun kehrt er zum Gesang zurück und verkörpert an der Bayerischen Staatsoper den Giorgio Germont in „La traviata“ von Giuseppe Verdi. Nicht zum ersten Mal übernimmt der 78-jährige spanische Tenor damit eine Baritonrolle. So sehr er von seinen vielen treuen Anhängern im Publikum dafür auch gefeiert wird: Er ist eine krasse Fehlbesetzung.
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> Zwar ist es rein anatomisch bemerkenswert, wie intakt sein Organ noch ist, zumal das 50jährige Bühnenjubiläum auch schon wieder zwei Jahre her ist. Doch Domingo kann die Tiefe der Partie bestenfalls andeuten und klingt ansonsten in jeder Sekunde wie ein Tenor. Noch schlimmer ist, dass er das wahrscheinlich merkt und durch Hyperaktivität zu verdecken sucht. Rastlos tigert er im zweiten Akt mit seinem Spazierstock auf der Bühne herum, wobei er ungeduldig seine Einsätze abwartet und seinen Partnern dabei kaum zuhört. Gepaart mit seinem Legendenstatus, lenkt das ungehörig vom Gesang seiner Kollegen ab, sodass das gesamte Ensemble in Schieflage gerät.
> Den Zenit überschritten
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> Das ist schade, weil die eigentliche männliche Hauptfigur, der Brasilianer Atalla Ayan alsAlfredo, mit seinem ausladenden Tenor durchaus Effekt macht. Seine Tiefe ist angenehm baritonal gefärbt, die Stimme hat eine geschlossene Oberfläche, die nur im Piano ein wenig flattrig wird. Auch neigt er dazu, die Töne allzu gleichförmig aufzureihen. Ungleich freier agiert Ailyn Pérez als Violetta. Der Sopran der Amerikanerin ist geschmeidig geführt, schön und fraulich timbriert und mit einer reichen Palette an Zwischentönen ausgestattet, braucht aber eine gewisse Zeit, um sich einzuschwingen. Auf solche sängerischen Bedürfnisse nimmt Marco Armiliato im Graben sehr verständnisvoll Rücksicht. Diese Sensibilität ist die Stärke seines Dirigats, die allerdings die Schwächen nicht vollständig ausgleicht: Das Bayerische Staatsorchester bildet keinen besonders idiomatischen Verdi-Klang aus, es fehlt etwa an Akzenten, auch will sich kein dramatischer Sog einstellen, weil der bedächtige Genueser nicht einmal Finalsteigerungen packend nach vorne drängt. So wird diese Vorstellung im Ganzen vom Sänger einer Nebenrolle dominiert, der – soviel muss man bei allem Respekt sagen – seinen Zenit überschritten hat.
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„rein anatomisch bemerkenswert“, gut gesagt…
Ja, der Respekt, den viele Kritiker noch vor Domingo haben, wird immer rätselhafter. Ich habe tolle Abende mit ihm erlebt, aber seit ca. 5, 6, 7 Jahren ist aller Lack ab und seine Auftritte sind eine Zumutung. Ich kann es mir nur so erklären, dass man als Journalist nie wissen kann, wann man den Herrn eventuell noch einmal in einem Interview begegnen könnte und das will man sich dann doch nicht entgehen lassen. Der Badelt im Tagesspiegel ist ja sonst ganz verständig, aber dass der zur Premiere 2018 kein einziges tadelndes Wort zu Domingos Leistung fand, macht mich auch fassungslos. Bei der ZEIT wird auch schwadroniert, aber von der erwartet man ja nichts anderes. Sollten Sie einen Anti-Domingo-Fanclub gründen, Herr Mohrmann, ich bin dabei.
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:-))
Das ist mir der Mann nicht wert. Habe ihn in seiner Ganzzeit einige Male gehört, dabei auch mal in einer miesen Form als Cavaradossi mit einer noch schlechteren Mara Zampieri.
Wenn die Zuschauer dieses Spektakel mitmachen, sollen Sie, Möglichkeiten genug haben die ja, wenn ich mir die Auftritte mal so anschaue…
Im Augenblick bin ich am kämpfen mit mir, ob ich die Adriana Karte zurückgebe, nachdem ich dieses Staranhängsel aus Verona gehört habe, vergeht mir die Lust. Wie kann die nur diesen Mann ständig mit sich rumschleifen…..Da ist ja Domingo noch besser
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Ich fand den Eyvazov durchaus hörenswert, ich glaub 2 Mal in Berlin gehört. Und Netrebko ist immer toll, ungeachtet allen Marketing-Getues. Es gibt für Mittwoch noch eine Karte in der 1. Reihe.
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Na ich bin gespannt….
Nöööö gibt mehr Karten, für den Mittwoch rund 150 und für den Samstag noch ein paar mehr
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Ja, meinte auch „gibt u.a. noch eine Karte in der 1. Reihe“. Hätte ich schon Lust, da zu sitzen, wenn Netrebko singt.
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Neeee würde ich nie machen, vor allem nicht bei konzertanten Aufführungen, da sitzen die einem ja auf dem Schoß und ich bekomme Genickstarre
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