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Ich verstehe den empörten Kritiker-Trubel um den Deutsche-Oper-Rigoletto nicht.
Jan Bosse verpflanzt Verdis düsteres melodramma an der Deutschen Oper Berlin in grelles Bühnenlicht und doppelt den Zuschauerraum auf der Bühne (Stéphane Laimé). Das funktioniert recht gut, auch wenn emozione und amore Verdi-untypisch bei Bosse unterrepräsentiert sind. Aber Rigoletto ist nun einmal ein pessimistisches Nachtstück, gerade trotz des Feuerwerks an Arien, Duetten und Ensembles, da darf es auch auf der Bühne trist zugehen. Vom düsteren preludio (Fluchmotiv, finsterstes c-Moll) bis
zum nachtschwarzen Des-Dur-Schluss zieht sich die Spur des Unheils, und wenn im ersten Akt hedonistische Hofschranzen triumphieren, im dritten Akt jedoch auf verstörend nackter Bühne die nackten Leidenschaften regieren, so hat das Hand und Regie-Fuß.
Vater Rigoletto und Tochter Gilda sind in Akt 3 auf einmal Anzug-Jedermanns wie du und ich, denn Rigoletto ist ebenso seinem Glitzer-Hasi-Kostüm entstiegen wie Gilda ihrem Kleidungetüm aus Tüll. Dass sie für diese Verwandlung mit Tod und Zerstörung zahlen, ist der Preis, den Verdi ihnen zugedacht hat.
Buntes Bühnenleben scheint sowieso nicht Bosses Ding zu sein. Und wo sollte Bosses nüchterner Weg nicht ans Ziel führen, wenn nicht bei Rigoletto, wo noch jede anti-sinnliche Regie durch die unverwüstlichen Melodien, durch die hinreißend genialen Ensembles und die seelenvollen Duette aufgewogen, ja komplettiert wird?
Die Sänger: Keenlyside, Costello, Schagimuratowa, Kutasi
Die Besetzung ist – Verdi-Tage verpflichten – sehr gut, wenn man akzeptiert, dass Herzog und Rigoletto beides keine Legato-Helden sind. Den Rigoletto, zynischer Possenreißer am Hof und machtgieriger Patriarch zu Hause, spielt Simon Keenlyside als wandelndes Lametta-Ungeheuer, buckellos und dezent hinkend. Die schlanke, sehnige Gestalt hebt sich wohltuend ab vom gängigen Rigoletto-Bild. Ich fremdle zuerst, da es um Keenlysides Italianità karg bestellt ist, und sein Bariton-Furor anfangs zwar passt, aber eben auch wackelt (O rabbia!, esser buffone). Doch Keenlyside gewinnt rasch an Durchschlagskraft, spielt großartig und singt mit bitterer Emphase und dramatischer Inbrunst. Der 3. Akt wird auch dank ihm zum packenden Musiktheater.
Aber auch die Gilda (Albina Schagimuratowa) trägt zum Verdi-Gelingen bei. Gilda, die im schuhschachtelgroßen Verschlag im Theaterunterboden haust, liefert sogar im Liegen glitzernde Koloraturen und leuchtend zarte Attacca-Pianissmi. Als anrührend zartes Sopran-Püppchen von der Regie intendiert, wächst die Russin (anfangs intonatorisch unsicher) zu berührender, inwendiger vokaler Größe. So entpuppt sich Schagimuratowa als Verdi-Volltreffer und beeindruckt ein ums andere Mal mit zarter Höhenleuchtkraft und akkuraten Verzierungen (ein Genuss die Triller in Caro nome).
Der Herzog ist bei Bosse ein harmlos trällernder Bruder Leichtfuß von der Spaßfraktion, weniger ein zynischer Macht-Macho (Stephen Costello). Dieser Duca trägt wildgemusterte Hemden, und wenn er auf Pirsch geht, wirft er gutgelaunt mit Banknoten um sich. Costello singt den Herzog geradeheraus, er ist kein Ausbund an sängerischer Eleganz und kein Genie des freifließenden Cantabiles, wofür jedoch sichere Linie, 1a Intonation und sorgsame Ausführung entschädigen.
Die bedeutsamen Nebenrollen sind bestens besetzt. Derek Welton singt den bedrohlichen Monterone (Novello insulto!) aus der realen Parkettreihe 3 kommend, Tobias Kehrer den behaglich-sinistren Killer Sparafucile, der für sein abgrundtiefes, langgehaltenes F Szenenapplaus erhält, und Judit Kutasi ist eine intensive, auch vokal üppig lockende Maddalena (sowie im zweiten Akt Gildas geldgierige Vertraute Giovanna). Die kleineren Rollen singen Byung Gil Kim (Ceprano), Nicole Haslett (Gräfin Ceprano), Sam Roberts-Smith (ein baumlanger, eisig kalter Marullo) und Paul Kaufmann (herrlich schmierig als Matteo Borsa) sowie Dean Murphy (Gerichtsdiener) und Meechot Marrero (die Hofdame im netten Deutsche-Oper-Dress).
Guillermo García Calvo hat den Taktstock fest im Griff. Calvo ist Opernchef in Chemnitz und gern gesehener Gast an der Staatsoper Wien, er leitet mit gutem Tempo. Das Vorspiel fesselt. Der Spanier achtet auf herbes Orchesterkolorit und strafft das Federn der Streicherachtel zu drängenden Akzenten. Auch die eine oder andere Accelerando-Zuspitzung in Szenenschlüssen fällt auf. Manchmal wünschte ich größere Bögen. Dennoch Hut ab. Der Chor der Deutschen Oper ist ein fester Fels in der Verdi-Brandung und agiert mit drohender Wucht (Fluchszene), auch wenn bei Scorrendo uniti remota via (nach dem Ges-Dur-Cantabile Parmi veder le lagrime) nicht alle beieinander waren.
Die Verdi-Tage 2018 laufen noch bis zum 27. Mai 2018.
Lesenswert: die Premierenkritik von 2013 von Christine Lemke-Matwey



Stimme der Kritik zu, ähnlich habe ich die erste Aufführumg dieser Serie auch empfunden.
Fand allerdings Albina Schagimuratowa vor der Pause nicht so überzeugend. Mir war da die Stimme viel zu mächtig, was sich aber zum Glück dann nach der Pause wandelte und sie stimmlich eine tolle Gilda war.
Mit der Inszenierung habe ich meinen Frieden geschlossen, finde sie zwar immer noch blöd, aber na ja….
Hoffe nur, das Bosse bei der Reise nach Reims etwas vernünftiges einfällt
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Habe das ähnlich erlebt mit Schagimuratowa. Wobei das teilweise sängerunfreundlich inszeniert war, wie sie liegend in dem engen Verschlag singen musste. Im ersten Akt klang sie mir zu sanft. Nach der Pause hatte sie mehr Temperament, was natürlich auch von Regie vorgegeben sein kann oder vom Libretto inspiriert. Hatte auch das Gefühl, dass ihr das Tempo stellenweise zu flott war :-)
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Ich musste einen sehr zwiespältigen Opernabend in der Deutschen Oper erleben.
Solch einen Rigoletto verbrochen zu haben darf sich der Regisseur ganz allein auf die Fahnen schreiben. Die erste Szene wirkte direkt noch inspirierend, diese auf einen erfüllten Opernabend wartenden Zuschauer, die Nicklichkeiten und Verhaltensweisen die man selbst vom Publikum zu Genüge kennt. Aber warum dient ausgerechnet diese Szene als Grundlage für eine ganze Verdi-Oper?
Schleierhaft bleibt mir auch warum der Zuschauer nichts als Sitze sieht, einmal von vorne, einmal von der Seite und zum guten Schluss auch noch von hinten. Nach einer halben Stunde hat sich das Thema bereits erschöpft. Aber man wartet vergeblich auf eine neue Idee. Ist diese Selbst-Referenzialität des Regie-Theaters nicht ein alter Hut? Und hat man das nicht anderswo durchdachter gesehen? Und geht es dabei vielleicht nicht doch um die Selbst-Referenzialität des Regisseurs? Der wie man hört in der Oper zudem ein Quereinstiger ist?? Die Frage bleibt, wie man eine der schönsten Opern Verdis derart nüchtern und ideenlos zugrunderichten kann.
Schleierhaft bleibt weiterhin, was der Regisseur sich dabei gedacht hat. Ist das ganze Publikum Zuschauer seiner selbst? Stecken wir mit den Höflingen unter einer Decke? Aber wie hängt das damit zusammen, dass der einzige Aufrechte, Monterone auch aus dem Publikum kommt? Und warum kommt Gilda dann nicht auch aus dem Publikum? Kein Wunder, dass die Vorstellung bei weitem nicht ausverkauft ist und das bei einer der beliebtesten Repertoire-Werke!!
Gesanglich gab es allerdings wenig zu beanstanden. Mit Albina Shagimuratova, Keenlyside und Stephen Costello war die Oper glänzend besetzt, so wie man es von der Deutschen Oper erwartet. Auffällig nur dass der Applaus für Costello recht mau ausfiel. Dafür flogen die Herzen der vielversprechenden Russin umso mehr zu. Auch Orchester und Chor waren voll auf der Höhe. Wenigstens auf rein musikalischer Seite bewies die Deutsche Oper das nötige Gespür für einen besonderen Verdi-Abend.
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Schade, dass sich Costello gezwungen sah, das interpolierte H am Schluss von „La donna è mobile“ zu singen, wo der amerikanische Tenor an diesem Abend lediglich einen flachen, farblosen Spitzenton zu singen im Stande war. Hier war die Tradition oder die Angst vor der Erwartungshaltung des Publikums mal wieder stärker als die Vernunft. Es sollte keine Schande sein, die letzte Note „come è scritto“ zu singen, also nicht interpoliert. Man muss kein Purist wie Riccardo Muti sein, um den nicht interpolierten Ton für angemessener zu halten falls er nicht schön und rund klingt, und es ist ja nun wirklich nicht so, dass ein Tenor der auf den interpolierten Ton verzichtet, gehäutet, geteert und gefedert wird, wie es so schön heißt. In Berlin ist man schließlich nicht in der Scala… Übrigens scheint Costello ansonsten keinerlei „Probleme“ mit hohen Spitzentönen zu haben, wenn man Berichten von der Met Glauben schenken darf.
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Seh ich auch so. Vielen Dank für Ihren Kommentar
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