Nach den aufschlussreichen Exzessen elektronischer Musik des Vortages kehrt Ultraschall Berlin in die Bahnen des symphonischen Orchesterkonzerts zurück. Das Abschlusskonzert findet nun im Haus des Rundfunks statt. Die Dimensionen sind geweitet, der Gestus ist symphonischer, das Publikum gediegener. Es spielt das DSO. Es dirigiert der Cottbuser GMD Evan Christ. Sämtliche Stücke erfordern den großen Apparat.
In NINA ŠENKS kurzem, versiertem Echo II treten Einzelfarben (Klarinettenrufe!) kaum aus dem Gesamtklang heraus. Etwas zu selbstsicher herrscht die funkelnde Üppigkeit des Klangs. So steckt sich Echo II selbst die Grenzen, von denen man wünschte, es bräche aus ihnen aus. Die Partitur gibt es hier.
Offen virtuos verfährt BRUNO MANTOVANI in Love Songs. Das Stück bietet keine Sensationen, benennt keine Probleme, am wenigsten brennend zeitgenössische. Allein die glasklare Luft, in der Love Songs sich bewegen, lässt sich anhören. So propagiert Mantovani den großen Ausbruch ebensowenig wie Šenk. Hörenswert ist indes Flötistin Magali Mosnier, die die ihr gestellte Aufgabe mit Bravour und exorbitantem Können löst.
Die Begegnung mit dem Posaunenkonzert von GEORG FRIEDRICH HAAS hinterlässt tiefere Spuren. Das Konzert gliedert sich in drei Teile. Zwei ruhige Teile rahmen einen bewegteren Binnenteil. Dabei denkt man nicht an traditionelle, durch Pausen getrennte Sätze: Haas‘ Musik fließt viel zu sehr, als dass sie sich lenken ließe. Haas‚ Kompositionen wollen ins Weite führen. Es entsteht der Eindruck großer Klarheit, trotz Beginns mit je vierfach geteilten Bratschen und Celli und sechsfach geteilten Bässe bei taktweise verschobenem Einsatz. Außen geruhsam, innen das Transzendentale fest im Blick, so kann man das Posaunenkonzert auch beschreiben. Als einen einzigen Transformationsprozess hin zu mehr Ruhe. Doch erst einmal beendet eine eilende Beschleunigung Teil 1. Teil 3 hingegen endet in statuarischer Ruhe inmitten von Miktrotonprozessen der Soloposaune von Mike Svoboda. Die tönt massiv, dunkel schattiert. Gestik der Soloposaune und Orchesteraktion durchdringen und befruchten sich wechselseitig: einzigartig sind jene Stellen, da Solist und Posaunenchor unisono spielen.
Auch woher… wohin des Franzosen MARK ANDRE bevorzugt klar voneinander getrennte Abschnitte. Man kann von sieben regelrechten Sätzen sprechen. In ihnen dekliniert Andre das Thema Wind hoch und runter. Es raschelt, wispert, zischelt so geheimnisvoll, als musizierten hier nicht an die hundert Musiker, sondern Eschen, Buchen und Birken. Die so entstehenden Geräuschfelder operieren immer wieder an der Grenze zur Stille. Auch woher… wohin ist also ein Werk der Unmessbarkeit, der Unermesslichkeit. Auch dieses Werk zielt also auf eine andere Realität.

Doch auch die kurzen, exponierten, schroffen Orchesterkrakeele des Beginns fangen unmittelbar Realität ein. Und im weiteren Verlauf scheint woher… wohin geduldig, beharrlich und unausgesetzt auf dem Weg in die lange Stille des Schlusses. Dazwischen, zwischen Beginn und Schluss, kommt mir jeder Augenblick substantiell, jeder Augenblick spannend vor, selbst Pausen tragen. Mark Andre, der Schüler Lachenmanns und Griseys, folgt der Strategie der konsequenten Auszehrung des massiven symphonischen Vollklangs. Das Riesenorchester wird behutsam eingesetzt. Für Andres woher… wohin – der 1964 in Paris geborene Komponist schreibt sich inzwischen ohne Accent – spricht auch, dass das Werk auch ohne Kenntnis der zugrundeliegenden Bibelstelle aus Johannes sehr gut funktioniert. So ist Mark Andres erstaunliches woher… wohin viel mehr als das neue Superfood für Neue-Musik-interessierte Religiöse.
Mit den Arbeiten von Mark Andre und Georg Friedrich Haas findet Ultraschall Berlin 2018 einen vorwiegend stillen, doch nichtsdestoweniger wagemutigen Abschluss.
AUCH LESEN:
Kritik des Konzerts mit hand werk und Ensemble ascolta.
Kritik des Konzerts mit Ensemble Nikel und Caleb Salgado im Radialsystem V.
Ich habe Bruno Mantovani 2016 bei den Badenweiler Musiktagen erlebt. Er hat dort seine eigenen Kompositionen am Klavier interpretiert. Als Pianist war er grandios.
LikeGefällt 1 Person
Yep. Cooles Konzert das zeigt wie stark die zeitgenössische Musik ist. Mir hat auch Mantovani sehr gut gefallen. Der Typ versteht sein Handwerk. Magali Mosnier war Bombe. War eine gute Ausgabe von Ultraschall. wenig Murks, viel Substanz
LikeGefällt 2 Personen
Dass das Stück von Mantovani „keine Sensationen biete“, „keine Probleme benenne“ und „am wenigsten brennend zeitgenössisch“ sei, ist überhaupt nicht nachzuvollziehen. Im Gegenteil: hier werden mit unglaublicher Intensität emotionale Zustandsentwicklungen beschrieben – vom flirrenden Umspielen über atemlos-gehetztes Überstürzen bis hin zu extrem dissonanten, berserkerhaft forcierten Ausbrüchen, ein Emotionsdrama von derartig hochgefahrener Dynamik, ja Besessenheit, das sehr wohl Ausdruck, expressiver, zersplitterter Spiegel der Zeit ist. Da ist natürlich nichts Behutsames, Beharrliches, Geduldiges zu finden, keine „langen Stillen“ und auch nichts, was „hoch und runter dekliniert“ wird.
LikeGefällt 1 Person