Ultraschall Berlin geht weiter. Ab ins Konzert III. Es wird vom Ensemble ascolta bestritten. Teil 3 des Ultraschall-Samstags bündelt Neue Musik von Newcomern, jüngeren Arrivierten und Altmeistern. Neue-Musik-Spezi Michael Wendeberg leitet.
TIC (2016) von BIRKE JASMIN BERTELSMEIER ist locker und flockig wie vieles aus der Feder der Nordrheinwestfälin. Bertelsmeier liebt das Offene. Die Strukturen sind leicht, fluktuieren, verästeln sich motivisch, ohne leicht zu wiegen. Der Klang ist farbig. Der Zugriff ist spielerisch. Das hinter der Komposition stehende Thema Tod wirkt angesichts der lockeren Faktur fast parodistisch. Dem formidablen Bass Andreas Fischer hört man die schwäbische Herkunft in fast jeder Silbe an. Die ariosen Einschübe zeigen Wozzeck-Melos.

Gar nicht so unähnlich gebärdet sich ERES HOLZ‘ locker gefügtes MACH (2011) für Trompete solo, das Markus Schwind geradlinig entfaltet. Schwinds Trompetenklang ist haptisch, klar und schartig. Die Virtuosität ist zugunsten motivischer Konzentration eingedämmt und lebt u.a. von Echowirkungen. Der Redegestus ist sachlich beschwörend, so wie in Schakalkopf des gleichen Komponisten der beruhigte Spätstil Schönbergs geheimnisvoll weiterlebt. Kurz: MACH ist sehr hörenswert.
Anschließend bringt das Ensemble ascolta Ascolta-Rajzok (2017) des Ungarn MÁRTON ILLÉS zur Uraufführung. Das Stück, eines der längsten des gesamten Ultraschall-Tages, ist dem Ensemble auf den Leib geschrieben. Ascolta-Rajzok ist virtuos, geschmeidig, durchaus sinnlich. In der kleinteiligen Kalligraphie der Stimmen, der flirrenden Unruhe der Kurzmotive bricht sich ein optimistischer Geist Bahn. Das Werk gliedert sich in klar getrennte Abschnitte. Dadurch wird die Aufnahme durch den Zuhörer erleichtert und das Episodische des Werks betont. Die Wiedergabe durch die ausführenden Musiker ist tadellos.

SAMIR ODEH-TAMIMI kurzes Ja-nári (2003) für drei Blechblasinstrumente und Schlagzeug ist weniger interessant. Ich vermisse Abstraktionsgrad und Verdichtung. Nach der bescheidenen Meinung des Autors hat Odeh-Tamini hochgradig bessere Stücke geschrieben. ENNO POPPES Boulez-Hommage Zwölf (2014) für Violoncello solo wird vorgetragen von Erik Borgir. Die zwölf Mini-Abschnitte von kontinuierlich wachsender Länge fußen auf identischem Motivmaterial, einem aufsteigendem Viertonmotiv, das von einer Art Nachsatz beantwortet wird. Poppe geht ähnlich strukturfixiert vor wie Pierre Boulez. Zwölf ist so klar wie geheimnisvoll. Das regelmäßige Umblättern ist Teil der Komposition und betont milde den Juxcharakter.
FREDERIC RZEWSKI könnte der Großvater (Studium bei Virgil Thompson!) so mancher Komponier-Jungspunde sein, die Ultraschall Berlin bevölkern. Grundlage von Coming together (1972) ist der Bericht eines Augenzeugen einer Gefängnisrevolte Anfang der Siebziger. Der politischen Botschaft unterlegt Rzewski in überzeugender Art und Weise einen kontinuierlichen Teppich aus repetitiven, geringfügig variierten Motiven. Auch hier ist die Wiedergabe beeindruckend. Jeff Burrell ist der Rezitator.

hand werk
Konzert IV geht um kurz nach zehn auf Tauchgang. Er führt in die Tiefen und Untiefen elektronischer Musik. Der Bogen spannt sich von elektronischer Frickelei bis zu vokalen Kabinettstückchen. Verantwortlich zeichnen das Kölner Ensemble hand werk.

Das Beste kommt gleich zu Beginn. ANDREAS EDUARDO FRANK lässt in Table Talk (von 2016) harsche, harte und differenzierte Elektronikklänge aufeinandertreffen. Von den zwei sich am Tisch gegenübersitzenden Performern ausgehend, entwickelt das gut zehnminütige Stück dramatischen Drive. Die durch Manipulationen an Steuergeräten (Buzzer, Fußpedale, Transducer) entstehenden Geräuschaktionen greifen stetig und fließend ineinander. Dabei steht ein Fundus von rund fünf (oder sechs) Geräuschen – nach ad-hoc-Zählung des Kritikers – zur Verfügung, die laufend verändert werden: zwei bedrohliche Knarzgeräusche, helles Sirren, tieffrequenziges Brummen, Fiepen. Dazu treten quasi-kontrapunktisch die Bediengeräusche der beiden Protagonisten. Die Wirkung oszilliert zwischen spacig und auf faszinierende Weise haptisch-schartig.

Es folgt Switches (2007), in dem SAM PLUTA ein elektronisch verzerrtes Cello mit der perkussiven Wucht eines Drumsets konfrontiert. Dem Stück gehen Raffinesse und Mehrdimensionalität deutlich ab, obwohl Jens Ruland hart und genau zuschlägt. So sorgt nur die Lautstärke für glühende Ohren. Dagegen vermag Wings (2006) von CATHY VAN ECK zu überzeugen. Mögen die leicht übermannshohen Paneele, deren Stellung zueinander die drei Performer ständig verändern, auch auf dem Boden scharren und holpern, die so durch Abstrahlungseffekte erzeugten Klangbilder sind durchsichtig und fantasievoll, locken höchst fragil und freundlich ins Ferne.
Dass das pure Vorhandensein von Binärcodes noch keine packende Musik macht, vermittelt der Dreiminüter 3bit (2014). TOBIAS HAGEDORN ordnet hier elektronische Impulse nach den Parametern hoch-tief, laut-leise sowie an-aus. Das wirkt sehr frugal, man vermisst Fantasie und irgendeine Form von Komplexität. Ähnlich problematisch agiert das folgende Stück von SIMON LØFFLER. In b (2012) finden sich die Zuhörer in einem Gesamtkunstwerk aus Rückkopplungs- und Knistereffekten wieder. Durch den abdunkelten Raum schwappen Elektrobrummen und Brummschleifen, die von verändertem Stromfluss generiert werden. Das klingt, als hätte das Netzteil Husten und wirkt doch zahm wie ein Haushamster. Daran ändert auch das Stroboskop-Staccato nichts.
Die Wiederbegegnung mit MARK BARDENS vokalartistischem Chamber (2006/2007) für drei Männerstimmen hinterlässt ein gemischtes Gefühl. Chamber ist im Kern Musiktheater, durch und durch theatralisch. Unzweifelhaft erzeugen die kehligen Röchel-, Keuch-, Zisch- und Ächzkaskaden einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Im Hintergrund mögen Berios experimentale Vokalmusik und Ligetis Aventures bzw. Nouvelles Aventures stehen. Dennoch, wer letztere beiden Stücke einmal mit Solisten der Neuen Vocalsolisten Stuttgart gehört hat, dem kommt die Interpretation von Bardens Chamber doch etwas unpräzise vor, auch wenn genau dies von Komponistenseite („für untrainierte Stimmen“) so gewollt sein mag..

Zu guter Letzt von SERGEJ MAINGARDT SMOG (2012) für vier Performer mit Magnetspulen und Elektrogeräten. Die vier Performer von hand werk sitzen hierzu wie auf Antarktistemperatur heruntergekühlte Roboterklone an ihren Frickeltischen. Leider verzichtet SMOG auf jede Komplexität. Das simultane An und Aus von Ton und Licht wirkt dabei fast infantil.
Auch lesen:
Kritik des Abschlusskonzerts mit Werken von Haas, Šenk, Mantovani und Andre.
Kritik des Konzerts mit Ensemble Nikel und Caleb Salgado im Radialsystem V.
Sollt ich vielleicht auch mal hin :-)
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Hört sich sehr verlockend, aber anstrengend an.
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Ultraschall ist wunderbar, viel besser als z.B. MaerzMusik, um „neue Musik“ kennen und lieben zu lernen.
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Donnerwetter, Sie haben sich hineingewagt. Ich habe das Nachtkonzert ausgelassen, weil ich vor Ascolta schon die beiden Nachmittagskonzerte in den Gehörknochen stecken hatte. Und was sind die Sitze im Radialsystem unbequem. (Tolles Kontrabassrecital am Nachmittag!) Dank Ihnen weiß ich aber, was ich bei HAND WERK versäumt habe.
Illés beim Ascolta-Konzert war an Raffinesse und Klangpräzision kaum zu überbieten. Holz und Poppe sind eigentlich immer gut. Odeh-Tamimi fand ich besser als Sie, reduziert und aggressiv, das saß. Bertelsmeier war für mich ein Tiefpunkt, die Lakonie des Totennummern-Zählens und die Aufgeregtheit im Klang, dazu die albernen Bibelzitate, das hat sich für mich nicht gegenseitig verstärkt, sondern neutralisiert. Hatte aber Donnerstag im Heimathafen ein ganz schönes Stück von Bertelsmeier gehört, viel besser.
Ich schreib morgen was übers gesamte Ultraschall-Schlusswochenende, ich muss mehr Synthese lernen.
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Ah, ich sehe jetzt erst, dass Sie auch die beiden Nachmittagskonzerte besucht haben. Respekt.
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Dacht ich mir doch. Ich habe Ausschau gehalten aber Sie nicht gesehen. Interessant, wie die Gewichte sich stets je nach Betrachtung und Person verschieben. Illés kam mir sehr beeindruckend, doch auch ein bissl kalkuliert vor. Bei Bertelsmeier habe ich den Überbau komplett ignoriert, vermutlich half das. Und Bassist Salgado war eine Klasse für sich.
Das 22-Uhr-Konzert war stellenweise sehr faszinierend. Bei konventionellen Sinfoniekonzerten war ich bislang kein großer Fan von Elektronikeinspielungen. Wenn die rhythmische und klangliche Struktur attraktiv ist und ein dramatischer Verlauf entsteht, kann Computer-Musik durchaus Orchestermusik ebenbürtig sein.
Auf jeden Fall bin ich gespannt auf Ihre Sicht der Dinge.
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Schöne Bilder
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